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Rising Insane – Afterglow Rising Insane – Afterglow
Das große Beben ist vorbei, aber die Erde zittert immer noch. Rising Insane thematisieren auf ihrer neuen Scheibe "Afterglow" traumatische Erfahrungen und ihre Folgen. Rising Insane – Afterglow

Das große Beben ist vorbei, aber die Erde zittert immer noch. Rising Insane thematisieren auf ihrer neuen Scheibe „Afterglow“ traumatische Erfahrungen und ihre Folgen.

Auf ihrer neuen Platte „Afterglow“ beschäftigen sich die Metalcore-Durchstarter Rising Insane mit dem Leben nach einer traumatischen Erfahrung und der Erkenntnis, dass nicht immer alles schon überstanden ist, wenn man sich in Sicherheit wiegt. Das dritte Album der Bremer reflektiert dazu so tiefgreifend wie noch nie verschiedenste Verarbeitungsprozesse psychischer Probleme und erschafft auf dieser Grundlage einen Koloss aus akustischer Wut, Verzweiflung, aber auch dem notwendigen Funken Hoffnung. „Afterglow“ klingt dabei so markerschütternd brachial wie Architects und gleichzeitig so unnachahmlich einnehmend wie Annisokay – eine Gratwanderung, die dafür sorgt, dass die wichtigen Botschaften der Band ihren Weg finden werden.

Als Rising Insane 2017 mit „Nation“ ihr Debütalbum veröffentlichen, ist das Narrativ noch ein ganz anderes. Das Quintett aus Bremen äußert sich auf seiner ersten Platte vor allem gesellschaftskritisch, fasst das große Ganze ins Auge und legt den Fokus kaum auf sich selbst. Dadurch ergeben sich Songs zu weltpolitischen Themen, die zum Beispiel von Al Gores Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ inspiriert sind. Doch schon der Nachfolger „Porcelain“ schlägt mit einem  Mal ganz andere Punkte an: Im Juli 2018 verstirbt die Schwester von Sänger Aaron Steineker an ihrer Brustkrebserkrankung und sorgt damit nicht nur im Leben des Musikers für eine schwerwiegende Paradigmenverschiebung, sondern verändert auch die Themen von Rising Insane nachhaltig. Plötzlich erzählt die Band viel introspektivere Dramen, verhandelt mit dem eigenen Ich und nicht mit den Kämpfen der Weltgemeinschaft. „Porcelain“ wird für Rising Insane zur Aufarbeitung eines Traumas und damit auch zum Wendepunkt, der alles verändern wird.

Denn auch auf dem neuen Album „Afterglow“ schwingen die Dämonen weiter mit, die sich auch auf dem Vorgänger ausgebreitet hatten. „Nach ‚Porcelain‘ dachte ich, ich hätte mit dieser Sache abgeschlossen“, sagt Steineker über die Gedanken, die schließlich zum neuen Werk seiner Band geführt haben. „Ich habe das auch versucht, aber letztendlich lief alles immer wieder aufs selbe hinaus. Ich schreibe immer genau über das, was mich beschäftigt. Dadurch habe ich gemerkt, dass ich einfach noch nicht gesund bin. Mir ging es mental unfassbar schlecht, ich hatte die typischen Symptome einer Depression. Ich bin zum Arzt gegangen, der hat mich dann zu einer Psychologin überwiesen. Genau um diesen Prozess geht es auf ‚Afterglow‘ – zu erkennen, dass mit einem immer noch etwas nicht stimmt, wie man dabei denkt, wie man sich mental und körperlich fühlt – es repräsentiert den Weg, den ich seit ‚Porcelain‘ gehen musste.“

Steineker bekommt von seiner Psychologin die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“, kurz PTBS – eine Krankheit, die einem nach einem Trauma durch gewisse Trigger das zugrundeliegende Ereignis immer und immer wieder durchleben lässt. Gitarrist Sven Polizuk hat sich damit bereits früher auseinandersetzen müssen, nachdem sich sein Bruder 2012 das Leben genommen hatte. In „Afterglow“ manifestiert sich so das Nachbeben tiefer seelischer Zerwürfnisse, die Rising Insane mit beeindruckender Offenheit nach außen kehren. Das Album zeigt dabei auf frappierende Weise die Vielfalt der Fragen auf, die sich in einer posttraumatischen Situation stellen. „Flightless Bird“ setzt sich zum Beispiel mit den Folgen von Anhedonie auseinander – ein innerer Zwang, der einem nach einem schlimmen Erlebnis nicht mehr erlaubt, auch gute Gefühle zuzulassen. „Something Inside Of Me“ wiederum ist musikalisch wie textlich ein gigantischer Wutschrei, der sich an all diejenigen richtet, die dem Thema Mental Health immer noch keine ausreichende Wichtigkeit einräumen. Der Song „The Surface“ fasst vielleicht am besten das beklommene Gefühl zusammen, dem sich Rising Insane auf der neuen Platte stellen – der Track hat schließlich auch das von Sandra Krafft designte Cover inspiriert. „Das Gitarrenriff am Anfang von ‚The Surface‘ klingt für mich immer wie ein Klopfen, als würde man unter Wasser gegen eine Eisschicht schlagen“, meint Steineker dazu. „Das ist für mich zum Sinnbild meiner Gefühle geworden – ich bin im Wasser gefangen und will eigentlich durchbrechen. Aber irgendwas hält mich zurück.“

„Afterglow“ wurde zu großen Teilen von Gitarrist Sven Polizuk in Eigenregie produziert, lediglich das Schlagzeug hat die Band bei Sawdust Recordings aufgenommen. Herausgekommen ist in dieser Konstellation ein Album, das die alten Stärken der Band bewahrt, aber noch viel stärker ineinander fließt, als es die Vorgänger vermochten. „Für mich war auf diesem Album sehr wichtig, dass wir alle Songs in einem Zyklus geschrieben haben“, meint so auch Polizuk. „Man hört wirklich, dass alles in einem Guss ist. Das war mir bei dieser Produktion enorm wichtig.“ Gleichzeitig haben Rising Insane auch ihre Arbeit mit fulminanten Hooks noch weiter ausgebaut, was sich zum Beispiel in einem Song wie „Serenade“ zeigt – hier legt die Band zwar mitnichten einen Track in Form der titelgebenden Abendliedform vor, aber doch einen Refrain, der durch unbestechlich eingängige Qualitäten überzeugt und mitreißt.

Am Ende steht mit Rising Insanes drittem Album eine Platte da, die sich so reflektiert und dabei gleichzeitig so einnehmend wie nie mit tiefdüsteren inneren Abgründen auseinandersetzt, die gleichzeitig aber auch immer wieder die dringend notwendigen Momente der Hoffnung aufzeigt. In „Meant To Live“ bringt die Band so etwa im Aufwärtsgang das auf den Punkt, was man seit „Porcelain“ im Dauerkampf schon alles erreicht hat. Und „Imprisoned“ ist als Album-Closer schließlich das Fazit, das zum Handeln, zum Zusammenhalt und zur Empathie in schwierigen Zeiten aufruft. Das ist eine Botschaft, die gehört werden will. Rising Insane wollen mit ihrer neuen Platte deswegen vor allem wieder die Live-Bühnen erobern und ihre Erlebnisse ganz direkt mit denjenigen teilen, die sie gerade am dringendsten brauchen.

Quelle: Uncle M Music

Lydia Dr. Polwin-Plass

Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de