

Interview mit Gerrit Egg – Mitinitiator der Plattform Metality
InterviewsNews 13. Oktober 2022 Lydia Dr. Polwin-Plass

Gerrit Egg ist Mitinitiator der wohltätigen Plattform Metality. Im Interview für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ hat uns Gerrit beschrieben wie Metalheads via Metality helfen und warum.
Hey Gerrit, schön dass du dir Zeit nimmst. Das Thema Metality passt ja perfekt zum Inhalt unseres Buchs über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene. Erzählst du uns zunächst ein bisschen etwas über dich?
Gerrit: Also ich komme aus Tirol, lebe seit zehn Jahren in Frankfurt und das Thema Metal beschäftigt mich schon seit frühester Jugend. Hab‘ auch früher Haare bis zum Arsch gehabt (lacht). Irgendwann sind sie dann aus beruflichen Gründen gefallen. In manchen beruflichen Sparten und Positionen kommt man leider mit langen Haaren nach wie vor nicht weiter. So habe ich immer ein bisschen zwischen den Welten gelebt. Auf der einen Seite die Konzerte, auf der anderen Seite der Beruf.
Eure Buch Idee zur sozialen Komponente der Metalszene finde ich extrem spannend. Den sozialen Aspekt zu beleuchten, finde ich wirklich super interessant.
Ich kann mich noch gut an meine Jugend erinnern, wenn wir zehn Langhaarigen durch Innsbruck gezogen sind, haben alle die Straßenseite gewechselt. Und der Größte unter uns – ein richtiger großer langhaariger Bär mit riesigen Händen – der war der liebste Mensch, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Der hat jedem geholfen, der ein Problem gehabt hat. Er hat jede Oma über die Straße getragen. Aber wenn ihn jemand in der Nacht gesehen hat, haben die Leute Panik vor ihm gehabt. Diese Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Realität ist mir damals schon ziemlich aufgefallen. Die Außenwahrnehmung ist ganz anders als innerhalb der Community und ganz anders als sie in der Community gelebt wird.
Jetzt lebe ich in Frankfurt und arbeite bei einem Immobiliendienstleister. Ich lebe also immer noch diesen Spagat zwischen den beiden Welten.
Wie kam es zu Metality? Wessen Idee war das?
Gerrit: Das war ein Hirngespinst von ein paar Leuten rund um die Wacken Veranstalter. Wessen Idee das ursprünglich war, weiß keiner so genau. Die ursprüngliche Idee war: Es gibt so viele Metalheads, die nicht nur auf der Couch liegen, Bier trinken und auf Konzerte fahren, sondern in beruflich guten Positionen sind; Akademiker, Leute im Management, die Kinder haben und Familien etc.
Und eigentlich gibt es keine eigene Community, in der die Werte des Metal vertreten sind. Es gibt zwar Communities, um sich auf Konzerten oder Festivals zu treffen, aber nicht um sich mit den Werten des Metal zu befassen. Werte wie die Handschlagqualität oder die Hilfsbereitschaft.
Wenn einer umfällt, helfen die anderen ihm auf. Also dieser positive Aspekt, den Metal mit sich bringt, und der in der Metalszene gelebt wird. Eigentlich alles Werte, die in der Gesellschaft gefühlt immer schlechter funktionieren. Und in der Metal Community ist das zu 100 % vorhanden. Wenn jemand Hilfe braucht, dann wird ihm geholfen. Und das Verhalten der Metalheads untereinander in Wacken ist dafür das beste Beispiel.
In Wacken kannst du voll besoffen herumlaufen, aber es wird dir nichts passieren, weil alle auf dich aufpassen. Überall sonst würde man wahrscheinlich irgendwann von irgend jemanden eine draufkriegen. Das wird dir in Wacken aber niemals passieren. Und das ist auch generell in der Community so. Die Grundidee hinter Metality war genau daraus etwas zu machen.
So haben dann Thomas (Jensen) und Holger (Hübner) vor etwa drei Jahren einen Workshop während des Full Metal Mountain Festivals ins Leben gerufen. Dorthin haben sie ungefähr 50 kluge Köpfe aus der Metal Szene zusammengerufen, um das Projekt anzusprechen. Das Ziel war dieses Wacken Gefühl in die Gesellschaft zu transportieren. Daraus entstand dann die Idee zu einem Metal Summit.
Das nächste Mal trafen wir uns dann auf der Full Metal Cruise. Dort hat dann ein weiterer Workshop mit 25 bis 30 Leuten stattgefunden. Von den Berufen her bunt gemischt. Vom Managementberater, über Musiker bis zur Sozialarbeiterin. Dort entstand dann die Idee ein entsprechendes Netzwerk zu gründen und es mit Leben zu befüllen. Auf unterschiedlichen Ebenen, ohne noch genau zu wissen, wie wir es aufbauen. Das war dann Metality. Aus dieser kleinen Gruppe ist dann das gewachsen, was wir heute kennen.
Daraus sind dann Arbeitsgruppen entstanden, die sich regelmäßig getroffen haben. Meist am Wochenende, um das Ganze mit Leben zu befüllen. Es wurde an der Struktur gearbeitet, an den Themen etc. Es wurden die Werte diskutiert, die vertreten werden sollten, es wurde nach Möglichkeiten gesucht, Traffic zu generieren. Aus diesem zweijährigen Prozess entstand dann Metality. So wie es jetzt steht, mit allen Inhalten, als Verein, mit den Aktionen und dem ersten Metal Summit im Januar.
Durch Corona wurden wir natürlich etwas ausgebremst. Sehr wichtig: Es ist alles freiwillig und ohne kommerziellen Hintergrund. Niemand sollte an der Sache verdienen. Metality ist so aufgebaut, dass es sich selber trägt. Die Idee hinter dem Namen ist die „Metalität“ der Gesellschaft zu erhöhen. Mit dem Ziel die guten Werte, den Spirit aus der Metal Szene in die Gesellschaft zu tragen. Um die Themen Zusammenhalt und Gemeinschaft, aber auch Diversität zu transportieren. Und den Leuten den Mut zu geben, auch außerhalb von Wacken oder der Szene diesen Spirit zu verbreiten und auch dazu zu stehen. Und wenn man genau hinschaut, ist Metal viel offener als viele glauben. Auf der einen Seite ist Metal konservativ mit dieser Handschlagqualität. Auf der anderen Seite ist Metal für alle da. Es kann jeder zum Konzert gehen, egal wie man aussieht, ob man behindert ist, alt oder jung, etc. Inklusion wird gelebt. Rollstuhlfahrer werden von vier Jungs durch den Schlamm getragen, damit sie auch dabei sein können. Und aus der Idee heraus, dass diese Dinge in der Metalszene Selbstverständlichkeiten sind, ist Metality geboren.
Ist Metality ein eingetragener Verein?
Gerrit: Ja, das ist ein gemeinnütziger Verein. Es gibt auch schon ein paar Hundert Mitglieder. Wir sind dabei eine Stiftung aufzubauen. Diese Stiftung soll dann auch den Namen tragen und die Werte verkörpern. Das Stabilste in Deutschland sind Stiftungen. Sollten dabei Vermögenswerte entstehen, werden sie nur sozialen Zwecken zugeführt. Dann werden wir noch eine GmbH gründen, um Veranstaltungen und Kongresse zu veranstalten. Da sollen vor allem für die Gesellschaft relevante Themen diskutiert werden, wie zum Beispiel beim letzten Mal das Grundeinkommen für Musiker. D.h. das ganze Konstrukt besteht aus mehreren Teilen.
Für unsere Mitglieder gibt es auch noch die Local Chapter, die schon begonnen haben zu laufen, aber dann kam Corona dazwischen. Beim letzten Meeting in Frankfurt waren 20 Leute beisammen, die sich vorher noch nie gesehen hatten. Und die Stimmung war so, als würde man sich schon ewig kennen. Auch hier waren Leute aus allen Professionen und Positionen, vom Investmentbanker bis hin zum Manager, vertreten. Nach Corona wollen wir diese Chapter noch intensivieren und hoffen, dass sie zu einem Selbstläufer werden. Das soll nicht zentral organisiert werden, sondern in jeder Stadt soll sich irgendjemand darum kümmern. Die Sache sollte aus sich selbst heraus wachsen – so wie ein soziales Netzwerk.
Startet ihr eure Projekte immer als Gesamtverein oder auch von einzelnen Chaptern aus?
Gerrit: Im Prinzip kann jeder ein Projekt starten. So ist das bisher auch gelaufen. So wie die Schlafsack Aktion mit den 666 Schlafsäcken, die wir für Wohnungslose finanziert haben. Normalerweise werden ja nach dem Festival die übrig gebliebenen Schlafsäcke an Obdachlose verteilt. Weil das diesen Winter durch den Festivalausfall nicht geklappt hat, haben wir Geld gesammelt, um Schlafsäcke zu kaufen.
Am Dienstag haben wir wieder unsere Zoom Sitzung, die haben wir jeden Dienstag. Wir nennen das Backline Meeting, also sozusagen das Meeting der Steuerungsebene. Ein Gast brachte diesmal das Thema Proberäume auf den Tisch. Er meinte, es gäbe zu wenig Proberäume in Deutschland, ob man da nicht etwas machen könne.
Manchmal bieten wir nur die Plattform an, manchmal machen wir auch direkt bei solchen Vorschlägen mit. Die Projekte müssen aber immer dem sozialen Zweck dienen. Die Themen müssen auch immer zu Metality passen, damit die Grundidee immer gewahrt bleibt.
Wir sind in Arbeitsgruppen organisiert und nennen sie Roadgangs. Jede Roadgang bearbeitet unterschiedliche Themen. Dass die Meisten voll im Berufsleben stehen, merkt man natürlich auch manchmal. Weil halt auch oft nach einem Arbeitstag die Energie fehlt, um zum Beispiel noch ein Logo aufzumalen. Unser Art Direktor ist super, hat aber viel zu tun.
Alles was die Leute für Metality machen, das machen sie auch hauptberuflich. So trägt dann jeder bei, was er kann, ohne dass es zu einem Geldfluss kommt.
Oft legt dann auch jemand privat etwas drauf, um die Dinge etwas zu beschleunigen. Die Gründung der Stiftung, zum Beispiel, zahlen wir dann aus unserer eigenen Tasche. Es geht also schon Privatgeld auch drauf, aber das gehört auch dazu. Das passt schon.
Werden diese Aktionen von Mitgliedsbeiträgen oder von Spenden finanziert?
Gerrit: Von beidem. Die Schlafsäcke wurden über Spenden finanziert und jetzt beginnen wir auch die Mitgliedsbeiträge zu nutzen. Alle Kosten, die wir bisher hatten, hat immer irgendjemand aus seiner Privattasche bezahlt. Und der Kostenblock soll auch so gering wie möglich gehalten werden. Erst wenn es dazu kommt, dass wir die Sache noch vergrößern wollen, dann müssen wir darüber nachdenken eventuell Bürokräfte einzustellen oder andere fixe Aufgabenbereiche zu schaffen. Im Moment ist das aber alles Privatzeit und das Geld geht zu 100 % in soziale Projekte.
Wie hoch sind die Mitgliedsbeiträge?
Gerrit: 66,6 € im Jahr. Und als Ehrenmitglied 666 € im Jahr. Jeder, der bei Metality mitarbeitet, ist auch selber Mitglied und zahlt regelmäßig in die Sache ein. Es war uns nämlich wichtig, dass wir bei uns anfangen. D.h. wir haben dann schon eine gewisse Grundkraft und tun uns so leichter Schwungmasse zu erzeugen.
Wie viele Projekte habt ihr so im Jahr?
Gerrit: Durch Spendenaktionen finanzierte Projekte 3 bis 4 im Jahr. Zumindest ist es so geplant. Einmal jährlich wollen wir den Metal Summit machen. Eher auf politischer Ebene und wir versuchen das Thema local für die Regionen zu forcieren. Zum Beispiel für schnelle Hilfe in bestimmten Städten oder Regionen. Wenn zum Beispiel jemand ziemlich plötzlich Geld für einen Rollstuhl braucht. So einen Fall hatten wir bereits. Und natürlich würden wir auch gerne regelmäßig Community-Treffen machen. Eine Idee war zum Beispiel, eine Konzertreihe in Jugendherbergen zu veranstalten. Mit Nachwuchsbands. Keine Konzerte oder Festivals, sondern in kleinem Rahmen.
Oder bei den Hamburg Metal Days würden wir gerne unsere Mitgliederversammlung abhalten. Wenn die stattfinden. Zurzeit ist halt alles etwas schwierig. Wir überlegen immer, wo man mit freiwilligen Spenden und viel freiwilliger Teilnahme etwas aufbauen kann, damit möglichst viele Menschen Spaß dran haben.
Wer trifft eigentlich die finalen Entscheidungen?
Gerrit: Entscheidungen werden bei uns immer von der gesamten Gruppe gefällt. Stimmrecht haben immer diejenigen, die an den Sitzungen teilnehmen. Nehme ich an einer Sitzung nicht teil, habe ich kein Stimmrecht. Eigentlich soll es keine Hierarchie geben. Metality gehört sich selbst. Natürlich muss es Vorstände geben. So ist der deutsche Amtsschimmel. Aber wenn Entscheidungen getroffen werden, dann werden diese von allen an den Sitzungen teilnehmenden Personen zusammen getroffen. Und dann wird demokratisch entschieden. Es gibt innerhalb der Gruppe schon Leute, die ein bisschen steuern. Die Sache organisiert sich ja nicht ganz von selbst. Eine Roadgang zum Beispiel macht die Terminpläne. Die haben zwar auch nicht mehr Stimmrecht, aber sie sind sowas wie Moderatoren. Wir wollen also nicht eine oder zwei Personen voranstellen, auch wenn wir die Leute hätten, die das könnten, sondern wollen, dass alle mitentscheiden können.
Wir wollen die Sache breiter aufstellen und im Idealfall überlebt Metality uns alle. Wenn wir alle irgendwann mal raus gehen, sollte es mit anderen Leuten automatisch weiterlaufen. Die meisten, die da drinnen sitzen, haben es beruflich ja eh schon zu etwas gebracht und legen auch nicht viel Wert auf irgendwelche Titel. Die meisten machen das nicht, um Selbstbestätigung zu finden, sondern weil sie von der Sache überzeugt sind. Es geht auch nicht um Klicks auf den Instagram Accounts. Aus diesem Grund funktioniert’s auch. Ich weiß aus meinem Beruf heraus, wie schwierig es ist, Entscheidungen zu moderieren. Aber das funktioniert bei uns wunderbar. Das einzige, das manchmal passiert, ist, dass wir uns verquatschen und die Sitzung laufen lassen. Aber das gehört dazu, es soll ja auch Spaß machen.
Metal ist ein bisschen chaotisch, deswegen darf das auch ruhig etwas chaotisch und auch ein wenig anarchistisch sein. Wir versuchen auch die Regeln gering zu halten und kein großes Regelwerk aufzubauen.
Klar, wenn jemand gegen unsere Werte verstößt, dann fliegt er raus. Sowas wie etwa rechtsradikales Gedankengut geht gar nicht. Hier hört auch bei uns die Toleranz auf.
Wie viele Chapter habt ihr?
Gerrit: Wir haben sogar in Südamerika ein Chapter mit zwei Mitgliedern. Das gehört zur Internationalisierungsttrategie. Metal ist ja international, aber erst mal konzentrieren wir uns auf Deutschland. Der Rest passiert dann ganz von selber.
Ich (Lydia) habe zwei Damen aus Wien vorgeschlagen für das Chapter Wien, die sehr in Sachen Inklusion engagiert sind und eine eigene Firma haben, um Inklusion auf Festivals zu implementieren.
Das wäre natürlich toll, jeder ist herzlich willkommen sich einzubringen. Das läuft dann so, dass man sich einfach vorstellt und von den anderen herzlich willkommen geheißen wird. Und schon haben wir wieder einen mehr, der sich engagiert. Manchmal fallen Leute auch für einige Monate aus, wegen Jobwechsel oder Sonstigem, aber das gehört auch dazu. Aber das läuft wie gesagt alles nebenberuflich. Da die meisten ja keine Studenten sind, die noch viel Zeit haben, sondern voll im Berufsleben stehen, ist das eben so.
Sind Thomas und Holger auch bei euch aktiv?
Gerrit: Ja, das sind zahlende Ehrenmitglieder. Sie sind natürlich nicht bei jeder Sitzung dabei und auch nicht in jeder Chat-Gruppe, aber immer mal wieder. Der Informationsfluss funktioniert gut und manchmal schalten sie sich auch ein. Auch bei den Entscheidungen herrschen die gleichen Regeln wie für alle anderen. Wenn man an einer Sitzung teilnimmt, entscheidet man mit, nimmt man nicht teil, entscheidet man nicht mit.
Wie viele Mitglieder seid ihr zurzeit?
Gerrit: Wir sind auf jeden Fall dreistellig, aber die genaue Zahl weiß ich jetzt nicht. Der 666te wäre dann das nächste Ehrenmitglied. Ich weiß nicht, ob wir die schon geknackt haben. Wir hoffen natürlich, dass die Sache noch weiter wächst. Denn es gibt in Deutschland sicher Zehntausende von uns.
Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass, wenn man auf der Seite Geschäftsführungsebene kommuniziert, immer mehr Metalheads darunter findet. Bei uns in der Geschäftsführung sind mehr Metalheads als Nicht-Metalheads. Wenn man dazu steht, dass man Metal hört, dann tun es die anderen auch, und so kommt man dann drauf, wie viele wir eigentlich sind. Bei einem meiner Kollegen habe ich das vor kurzem auch erfahren. Von ihm hätte ich das auf jeden Fall nicht gedacht. Er ist Mitte 50 eigentlich relativ konservativ gekleidet und durch nichts Äußeres ist erkennbar, dass er Metalhead ist. Jetzt weiß ich, er steht vier Tage in Wacken in der ersten Reihe im Schlamm. Bei meinem Nachfolger in meinem alten Job ist das genauso. Vier Tage bei brütender Hitze und Schlamm in vorderster Reihe. Kaufmann und Zahlen-Mensch, aber auch Metalhead. Allein in unserer Geschäftsführung haben wir drei Leute, die regelmäßig nach Wacken fahren.
Lydia erzählt vom alljährlichen XING-Wackengruppen-Stammtisch im Biergarten
Wie geil! Genau das ist es! Wenn man genau diese Energien und auch die finanzielle Kraft, die dahintersteckt, nutzen kann und kanalisiert, um sie positiv zu verstärken, um damit dann Gutes zu tun, dann sind wir genau bei der Grundidee von Metality. Wenn von fünf DAX-Konzernen die Chefs dabei sind, lässt sich damit viel erreichen. Denn genau darum geht es ja, dass jeder gesellschaftliche Verantwortung übernimmt. Wenn man das Glück hat, auf der Sonnenseite des Lebens gelandet zu sein, dann sollte man mehr Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen als andere. Das ist genau der Punkt. Jeder trägt seinen Teil bei, aber aliquot muss es auch stimmen. So ist es auch bei Metality: diejenigen die mehr verdienen, werfen auch mehr in den Topf. Das ist eigentlich logisch und auch richtig so. Jeder so wie er kann. Wenn man diese Kraft nimmt und multipliziert auf die Gesamtheit, dann lässt sich damit einiges bewegen. Und genau diese Me(n)talität sollte in die Gesellschaft getragen werden, damit das irgendwann einmal in der Gesellschaft genauso läuft wie in der Metalszene und sich auch dahingehend entwickelt, dass sich Menschen nicht in Wacken oder innerhalb der Szene anders verhalten als außerhalb. Dieses Verhalten soll in die Gesellschaft getragen werden. Und dazu gehört auch, dass die Metalheads dazu stehen, dass sie Metal hören oder nach Wacken fahren. Warum schreibt man das nicht einfach ins LinkedIn-Profil? Man kann das doch transparent machen. Das ist doch nichts Schlechtes, im Gegenteil. Es gibt ja wohl schlimmere Outings, als zuzugeben, dass man Metalhead ist. Normalerweise schadet das auch nicht der Karriere. Die Einstellung offenlegen und dann daraus etwas schaffen.
Bei der Metal Summit haben wir das einer sehr honorigen Runde erzählt, und die waren alle begeistert. Moderiert wurde die Runde von Reinhold Beckmann. Die Teilnehmerliste findet ihr bei uns auf der Homepage. Das Streaming war gratis und wurde uns von der Firma zur Verfügung gestellt. Alles über Beziehungen. Die Leute wollten mal was Gutes tun. Das war für uns ein weiterer Beweis dafür, dass die Idee funktioniert. Wenn man sowas als normale Firma auf die Füße stellen möchte, dann wäre das extrem teuer. Es gibt genug Leute die bei so einem positiven Projekt mitmachen wollen, wenn es die richtige Plattform dafür gibt. Natürlich muss auch das Thema passen. Aber es hat halt gepasst.
Hast du vielleicht ein paar schöne Anekdoten für uns über Erlebnisse, die du mit Metality und in der Metal Szene gemacht hast?
Gerrit: Als ich meinen Nachfolger kennen gelernt hab, beim Bewerbungsgespräch, hat mich ein Kollege darauf vorbereitet und gesagt: Schau dir den mal an, der tickt so wie du. Also bin ich hinunter gegangen, hab 1 Minute mit ihm geredet und wusste sofort, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Diese gemeinsame Wellenlänge war sogar schon da, ohne dass wir wussten warum. Dann habe ich erfahren, dass er auch Metalhead ist und wir beide nach Wacken fahren. Drei Monate später waren wir das erste Mal gemeinsam auf einem Konzert.
Irgendwie spürt man das, wenn ein Seelenverwandter gegenübersitzt. Wenn er in Wacken ankommt, sagt er immer: „Endlich wieder normale Leute.“ Der Spruch trifft es genau auf den Punkt. Wenn man diese gemeinsame Ebene erkannt hat, dann ist es egal, ob jemand stinkreich ist, eine Führungsposition hat, oder einfacher Arbeiter ist. Die Verbindung ist auf jeden Fall da.
Als mir die Idee das erste Mal präsentiert wurde, wusste ich schon nach den ersten paar Worten, dass ich da dabei sein möchte. Die Magie ist einfach da.
Hilfsbereitschaft ist bei diesem Klientel etwas ganz Normales. Das wird nicht mehr als etwas Besonderes angesehen, sondern ist die normale Umgangsform untereinander. Ich war auch eine Zeit lang Rettungssanitäter, als ich Zivildiener war. Witzig daran ist, dass wir bei der Kelly Family hunderte Ohnmächtige und sehr viel zu tun hatten, bei den Böhsen Onkelz hingegen, hatten wir überhaupt nichts zu tun (lacht).
Wie war denn dein erstes Wacken?
Gerrit: Sehr gesittet, weil ich schon etwas älter war (lacht). Cool, aber gesittet. Ich wurde vom Thomas eingeladen und hatte es davor eigentlich nie so richtig geschafft. Eigentlich hätte ich sehr gerne Wacken mit 20 gesehen. Da wäre ich auch sicher erste Reihe Mitte gestanden. Denn früher war ich immer ganz vorne im Pit. Aber es war trotzdem ein Erlebnis.
Das Klientel in Wacken ist ja prinzipiell älter geworden. Das Durchschnittsalter war also sicher vor 20 Jahren anders als jetzt. Es ist ein unglaubliches Erlebnis, wenn man so aus dem Nichts oder aus dem Wald heraus plötzlich auf dem Gelände landet, wo zig Tausende Jungs und Mädels feiern.
Da ich vom Thomas eingeladen war, konnte ich einen Tag früher dort sein und mir den Aufbau ansehen. Sehr beeindruckend und so viel Arbeit. Faszinierend, was die da hingestellt haben. Was aus einer kleinen Idee entstehen kann, ist beeindruckend.
Ich kann nicht sagen, dass es die größte Veranstaltung war, auf der ich je war, denn ich war mal bei AC/DC mit 130.000 Leuten. Irgendwie habe ich es dort geschafft in die erste Reihe zu kommen und als ich mich umgedreht hatte, sah ich bis zum Horizont nur Menschen. 130.000 Menschen auf einer Spur, sehr beeindruckend. Das hat mich natürlich noch mehr beeindruckt, weil die Leute nicht über ein Gelände verteilt waren, sondern alle auf einem Fleck.
Wie siehst du denn die anderen sozialen Aktivitäten, für die die Wacken-Veranstalter aktiv sind?
Gerrit: Das ist dasselbe wie bei Unternehmen. Die Frage ist immer: Mache ich es nur aus Kommerzzwecken oder mache ich es mit Herz? Mache ich es, weil ich es muss oder mache ich es, weil ich daran glaube. Thomas und Holger glauben zu 100 % an das, was sie machen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Bei anderen Veranstaltern ist man sich nicht so sicher. Die machen das auch oft nur, weil man es von ihnen erwartet, oder es vorgeschrieben ist. Stichwort Quotenfrau.
Es ist doch gut, dass man die Leute zu bestimmten Dingen verpflichtet, da freiwillig oft viel zu wenig passiert.
Also in den letzten Jahren, habe ich in Frankfurt doch gesehen, dass es Bühnen und Tribünen für körperlich beeinträchtigte Menschen gibt. Die werden da auch extra und separat hingeführt. Ich habe das Gefühl, es ist allgemein etwas besser geworden.
Heute stellt man sie nicht mehr ganz hinten in der Halle ab, damit sie möglichst unauffällig sind, sondern man versucht sie eher weiter vorne zu platzieren – mit guter Sicht. Dadurch dass die Klientel allgemein älter wird, wird es auch auf den Konzerten langsam besser. Vielleicht ist es bei Konzerten, wo nur 20-jährige hingehen, nicht so ein Thema. Bei jungen Menschen ist das Thema Behinderung auch oft nicht so auf dem Schirm, wie bei älteren. Als junger Mensch will man sich oft mit solchen Dingen nicht auseinandersetzen, sondern nur Spaß haben und sein Leben leben. Aber es ist sehr gut, dass hier mehr passiert.
Ich glaube, dass es auch durch neue Technologie besser wird für Behinderte. Wer weiß, ob nicht in ein paar Jahren diese Menschen wieder im Moshpit mitmachen können. Vielleicht haben die ja alle mal Prothesen, mit denen sie dann wieder springen können und bei der Wall of Death mitmachen können. Exoskelette zum Beispiel.
Was meinst du, kann die Gesellschaft von den Metalheads lernen?
Gerrit: Die Offenheit, die Ehrlichkeit. Ein Metalhead sagt anderen viel ehrlicher und viel eher etwas ins Gesicht als andere Leute. Im Positiven und im Negativen. Weniger Maske, mehr Authentizität. Auch dass man mehr zu sich selber steht. Wie zum Beispiel zu den Äußerlichkeiten. Dass man sagt, „ja ich habe halt einen Bierbauch“.
Kein Metalhead käme je auf die Idee seinen Bierbauch zu kaschieren. Man steht zu seinem Äußeren. In der Metal Szene muss man nicht perfekt sein.
Auch die Handschlagqualität. Ein wenig weg von der Scheinwelt in Richtung echte Welt. Auch wenn Metal eine Bühne aufbaut, ist diese sicher authentischer und ehrlicher, als die Scheinwelten in denen sich viele sonst so bewegen. Wenn das erste Mal ein DAX-Vorstand sagt, ich lasse mir die Haare wachsen, weil ich Metal höre, dann ist damit auch eine Art von Diversität gegeben. Wenn wir damit aufhören, konform sein zu müssen, und zu uns selbst stehen, dann bewegen wir uns raus aus dem immer gleichen Fluss, der zum Beispiel auf Instagram gerade fließt.
Wir wollen zu unserer Musik und zu unseren Werten stehen. Das ist auch das, was Metality propagiert.
Wo würdest du Metality gerne in der Zukunft sehen?
Gerrit: Als Selbstläufer und Netzwerk, das sich selbst trägt und selbst organisiert. Mit vielen regionalen Gruppen. Wo sich Menschen zu Hause fühlen, Gleichgesinnte finden und ihre positive Energie einbringen und in die richtige Richtung kanalisieren können. Wie groß es wird, ist letztlich nicht wichtig, aber schön wäre es, wenn es uns alle überlebt.
Hast du irgendein Herzensprojekt, dass du gerne in Angriff nehmen würdest?
Gerrit: Ich bin jemand, der versucht Wände einzureißen. Ich glaube, dass Probleme zwischen Menschen meist auf Missverständnissen basieren und dass die meisten Menschen doch versuchen ihr Bestes zu geben. 1 % mag wirklich schlecht sein, und da ist vielleicht auch Hopfen und Malz verloren, aber ich glaube nicht, dass es so viele sind, wie die meisten denken. Wirklich schlechte Menschen sind für mich Menschen, die anderen absichtlich, nicht unbewusst, absichtlich weh tun. Und mit solchen Menschen möchte man natürlich nichts zu tun haben.
Diese 1 % würde ich gerne auf eine Insel oder einen anderen Planeten verbannen, wo sie sich gegenseitig fertig machen können (lacht).
Da würde ich gerne ansetzen. Mehr Offenheit für die andere Meinung, andere Meinungen zulassen und einen gesunden Diskurs führen. Es gibt viele Themen, wo beide Meinungen ihre Berechtigung haben. In den seltensten Fällen hat nur einer Recht und es gibt nicht nur die eine Wahrheit. Mehr Verständnis füreinander, das wäre mir sehr wichtig. Das würde ich gerne propagieren.
Und Vorurteile abbauen, indem man zum Beispiel irgendwo in schicken Arbeitsklamotten auftritt, und dann plötzlich ein Metal-T-Shirt anzieht und den Menschen zeigt, dass man trotzdem immer noch derselbe Mensch ist wie vorher im Anzug.
Stichwortabfrage:
Rituale:
Rituale sind sehr wichtig, auch in Wacken: zum Beispiel das erste Bier nach der Ankunft.
Auch in unserer Gesellschaft sind Rituale wichtig, weil sie Stabilität und Bedeutung geben. Selbst das erste Bier bekommt eine größere Bedeutung, wenn es zum Ritual geworden ist. Rituale sind also wirklich was Tolles und die muss man unbedingt haben
Ernährung
Ernährung ändert sich mit dem Älterwerden. Mit 20 hat man sich anders ernährt als mit 50. Für mich ist Ernährung ein bewusster Vorgang. Man sollte sich überlegen, was man in sich hineinstopft. Geistig wie auch körperlich. Genauso wie sich der Geist entwickelt, mit dem was man ihm anbietet, genauso entwickelt sich der Körper. Aber man sollte daraus keine Religion machen.
Wie stehst du zur Massentierhaltung?
Ich bin ganz klar dagegen und wir kaufen nur Bio Hendl und Bio Fleisch.
Ich komme aus Tirol. Da stehen die Kühe noch auf der Weide. Ich verstehe, dass man Fleisch isst, aber von der glücklichen Kuh, die fünf Jahre auf der Alm leben durfte. Wenn die dann geschlachtet wird, ist das in Ordnung, aber Massentierhaltung ist ein absolutes No-Go.
Ich bin ein Tierfreund und habe selber drei Katzen und auch früher immer Tiere gehabt. Generell habe ich ein großes Problem mit Tierquälern. Tönnies Fleisch kommt mir nicht auf den Teller. Nicht nur wegen der Tiere, sondern auch wegen der Arbeitsbedingungen der Menschen.
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit heißt für mich, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Was bewirkt mein Tun in der Zukunft? Und wenn ich möchte, dass die nächsten Generationen auch noch glücklich auf diesem Planeten leben können, dann verhalte ich mich entsprechend. Das ist für mich Nachhaltigkeit. Mit jeder Faser meines Lebens muss ich mich entscheiden Verantwortung zu übernehmen, oder auch nicht.
Werte
Jeder der zu Metality kommt, muss den Wertekanon akzeptieren. Ein Wertegerüst erleichtert auch das Leben, wenn man dann einen klaren Kompass hat. Und jeder der keinen klaren Kompass hat, findet im Leben keinen richtigen Weg. Auch den Kindern muss man helfen ihre eigenen Werte zu entwickeln.
Ethik
Ethik und Moral hängen sehr eng mit Werten zusammen. Moral ist Praxis und Ethik ist die Theorie, die diskutiert wird. Wir haben auch bei Metality sehr viel über Ethik, Moral und Werte diskutiert. Wichtig ist, dass man diese Begriffe ins tägliche Leben übertragen kann. Deswegen ist mir Moral wichtiger als Ethik.
Wacken
Das geilste und größte Metal-Festival der Welt.
Schwarz
Schwarz ist meine Lebens- und meine Lieblingsfarbe. Und früher hatte ich eine komplett schwarze Garderobe (lacht). Inzwischen ist sie etwas vielfältiger. Schwarz ist ja auch ein Symbol unserer Gemeinschaft. Schwarz ist für unsere Gemeinschaft auch sowas wie eine Erkennungsfarbe.
Toleranz
Metality steht für Toleranz. Wir haben auch viel darüber diskutiert, vor allem wo Toleranz auch aufhören muss. Muss man denn einem Nazi gegenüber tolerant sein? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Toleranz muss auch ihre Grenzen haben.
Alter
Wir wollen alle alt werden, aber niemand will alt sein. Man sollte den Alterungsprozess nicht zu wichtig nehmen. Vor allem sollte man nicht Zahlen mit Lebenseinstellungen verknüpfen. Man sollte aus jedem Lebensabschnitt und jedem Alter das Beste machen. Alter spielt in der Szene eigentlich keine Rolle und auch nicht für Metality. Es gibt Menschen, die sind jung, aber im Geiste alt, und es gibt Menschen die sind alt, aber im Geiste jung. Alter spielt also keine Rolle, außer den körperlichen Beschränkungen, die das Alter mit sich bringt.
Finanzen
Ich würde Finanzen gerne mit Geld übersetzen. Und Geld ist ein Betriebsmittel. Ein notwendiges Betriebsmittel, um die Dinge zu tun, die man tun will. Geld sollte kein Götze sein und Geld sollte auch kein Maßstab von Leistung sein. Im Sinne von: ich bin toll, weil ich 1 Million mehr habe als der andere. Geld ist ein Betriebsmittel, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Und ich bin der Meinung, im Moment auch alternativlos.
Umweltschutz
Meine Mutter war eine Mitbegründerin der Grünen in Tirol. Umweltschutz ist ein Bestandteil von Nachhaltigkeit und eine Basis dafür. Es müssen natürlich auch Kompromisse eingegangen werden, aber wir müssen das Thema globale Erderwärmung sehr ernst nehmen. Zum Teil müssen wir auf Veränderungen reagieren und zum Teil uns selbst verändern. Eine Aufgabe, der wir uns alle zwangsläufig stellen müssen.
Gemeinschaft / Zusammenhalt
Das ist die Idee von Metality.
Gesellschaftliche Verantwortung
Sollte jeder übernehmen. So viel wie man von der Welt geschenkt bekommt, sollte man auch zurückgeben. Und Menschen, die mehr geschenkt bekommen, sollten mehr zurückgeben. Das ist für mich gesellschaftliche Verantwortung.
Familie
Sehr, sehr wichtig. Familie muss aber nicht unbedingt die Blutsverwandtschaft sein. Familie können durchaus auch Freunde sein. Zur Nazizeit wurde der Begriff Familie leider ziemlich missbraucht.
Die Grundidee ist eine Gemeinschaft, die zueinander steht, sich gegenseitig beschützt und füreinander einsteht. Eine Familie sollte ein offenes System sein, in die auch jeder rein heiraten darf, um sich mit der Außenwelt zu verbinden. Die Tiroler sind alle eine große Familie, genauso wie die Metalheads (lacht).
Danke für das tolle Gespräch, Gerrit und man sieht sich im Chapter Frankfurt
Interview: Lydia Polwin-Plass und Michael Gläser
„WACKEN – das perfekte Paralleluniversum: Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann„, unser Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene, könnt ihr überall im Buchhandel oder signiert über info@metalogy.de bestellen.
Lydia Dr. Polwin-Plass
Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de