Metalogy.de - Das Magazin für Metalheadz
KOCHKRAFT DURCH KMA – Alle Kinder sind tot KOCHKRAFT DURCH KMA – Alle Kinder sind tot
Die Band, die unter anderem als Mitgründerin der „Cock am Ring“-Initiative bekannt ist, hat selbst für die absurdesten Possen der Gegenwart eine Antwort parat,... KOCHKRAFT DURCH KMA – Alle Kinder sind tot

Die Band, die unter anderem als Mitgründerin der „Cock am Ring“-Initiative bekannt ist, hat selbst für die absurdesten Possen der Gegenwart eine Antwort parat, die von grotesker Überzeichnung bis schmerzendem Fingerzeig alle Nuancen bereithält. Gewonnen wird diese Bandbreite auch durch die einzigartige musikalische Gestaltung, für die die bloße Bezeichnung „Elektro-Punk“ eigentlich eine Beleidigung ist. „Alle Kinder sind tot“ ist der spottende Zeigefinger in einer vor Lächerlichkeit strotzenden Egozentriker-Welt.

Ziemlich genau vier Jahre sind seit dem ersten, ziemlich wilden Album „Endlich Läuse“ vergangen. Doch mittlerweile scheint es, als würde die Welt selbst all die Geschichten erzählen, die man früher noch für satirisch brillant inszenierte Komödien gehalten hätte. „Alle Kinder sind tot“ kann deswegen kaum anders, als alle Inspiration aus einer Wirklichkeit zu ziehen, in der besorgte Deutsche den Klimawandel durchaus aufhalten wollen, solange das keine Auswirkungen auf den Belag des heimischen Weber-Grills hat. Auf zwölf Tracks versammeln Kochkraft durch KMA eine wildgewordene Parade der schlimmsten Auswüchse der Menschheit, die in all ihrer Furchtbarkeit die dringliche Frage stellt, ob man in so einer Welt noch Kind bleiben kann oder sogar Kind bleiben sollte.

Der Albumtitel ‚Alle Kinder sind tot‘ lässt sich auf zwei Arten lesen“, erklärt Sängerin Lana Van da Vla. „Einerseits ruinieren die Menschen den Planeten, bekriegen sich gegenseitig und arbeiten an ihrem eigenen Aussterben. Und gleichzeitig sind auch unsere inneren Kinder tot. Warum ist ‚kindisch sein‘ eigentlich ein negatives Attribut? Der sogenannte ‚Ernst des Lebens‘ kommt eh früh genug. ‚Alle Kinder sind tot‘ ist also eine zornige Feststellung, aber auch die Inszenierung des Kindes in uns.“ 

Der gleichnamige Titeltrack, auf dem die Rap-Posthardcore-Durchstarter Sperling als Feature zu hören sind, repräsentiert dabei vor allem die düstere Seite dieser zweigeteilten Lesart. Der Song formuliert über martialischen Elektro-Beats den Zustand einer Welt, die als Resultat von blinder Geldgier in Flammen aufgehKochkraft_AKST_Album_Cover_Digital_2000px copy.jpgen wird. Feuer aus falschem Idealismus ist  Thema im Opener „Auf jungen Stuten lernt man fluten“, in dem aller Nationalismus schließlich nur eine apokalyptische Konsequenz hat: „Schwing die Flagge unter der du stehst / Und dann sieh zu, wie sie in Flammen aufgeht.“

Kochkraft durch KMA pendeln den Sound des Albums auch aufgrund der neuen Komplexität der behandelten Themen viel stärker als je zuvor zwischen kompositorischen Extremen. Während etwa die Reprise des Songs „Moonwalk durch die Nachbarschaft“ zum strukturell wildesten gehören dürfte, was die deutsche Musiklandschaft im Jahr 2022 erleben wird, ist „Tanz mit Attitüd‘“ schlicht ein packender Dance-Hit, der schon in seinem Titel zwischen Lebensgenuss und Haltung pointiert das verkörpert, was Kochkraft durch KMA auszeichnet. Wenn es sein muss, kann die Band so unbequem werden wie im Titeltrack, so energetisch wie in „Influencer:innen hassen diesen Trick“ und so mitreißend wie in „Wir fahren schnellerer“, das inmitten seiner ironischen Haltung gegenüber dem Heiligtum der Motorisierung trotzdem noch einen verdammt eingängigen Song mitbringt, bei dem man selbst mitsausen möchte.

Dass Kochkraft durch KMA trotz allem Zynismus die Hoffnung nicht aufgegeben haben und für eine bessere Realität kämpfen, zeigte sich jüngst in der vielbeachteten Initiative „Cock am Ring“, die sich gegen Geschlechterungerechtigkeit in Festival-Line-Ups einsetzt. Die Band hat im Rahmen der Kampagne gemeinsam mit dem Label Ladies & Ladys einen Sampler zusammengestellt, in dem FLINTA+-Artists zu Gehör kommen. Neben einem gewaltigen Medienecho resultierte daraus sogar ein eigenes Festival, das im September in Münster stattfindet.

Warum eine solche Aktion im Jahr 2022 immer noch nötig ist, zeigt auf „Alle Kinder sind tot“ der Song „Mancave“, der die Schwächen hinter maskuliner Dominanz schonungslos auseinandernimmt. „Die Idee zum Song ist uns gekommen, als wir bei einer Probe kopfschüttelnd über Hobbyräume geredet haben“, erinnert sich Nicki Louder. „Von den ganz harmlosen, in denen echt krasse Eisenbahnen entstehen, bis hin zu denen, die für uns mehr als bedenklich sind, in denen Frauen keinen Zutritt haben und in denen all die sexistischen Witze gerissen werden, die in der Öffentlichkeit nicht geäußert werden würden. Dass solche Domizile idealisierter Männlichkeit immer noch existieren, ist eigentlich das deutlichste Zeichen dafür, dass toxische Maskulinität nicht nur nicht verschwunden ist, sondern sich vielleicht sogar immer weiter in abgeschlossenen Echokammern hochstaut.“

„Alle Kinder sind tot“ wurde produziert im Tonstudio Liebling und im Toolhouse Studio mit David Maria Trapp und erscheint am 23. September 2022 digital und auf klimaneutral hergestelltem, rot-orangen Vinyl. Die allesamt per Siebdruck veredelten Cover der physischen Ausgabe kommen in verschiedenen Varianten daher: Die auf 50 Stück limitierte Version in orange gibt es exklusiv im Band- und im Uncle M-Shop, die ebenfalls auf 50 Stück begrenzte schwarze Version ist nur auf Tour erhältlich.

Fazit: Nach rund 40 Minuten Spielzeit lässt einen „Alle Kinder sind tot“ so schließlich mit einer Zwiespältigkeit zurück, die tiefschürfender kaum sein könnte. Ein Album, das immer wieder gehört werden will. Kann man in dieser Welt überhaupt noch tanzen? Wahrscheinlich muss man das sogar. Bleiben wir Kind!

Quelle: Uncle Sam

Lydia Dr. Polwin-Plass

Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de