Live Review: Between The Buried And Me – 1. Oktober 2019 – Szene Wien
NewsRückblicke 18. Oktober 2019 Rueckblicke
Mathe kann so faszinierend sein! Between The Buried And Me kamen, um Raum und Zeit neu zu ordnen.
Im Vorjahr kam mit „Automata I und II das letzte -geteilte- Album der Math/Metalcore-Prog Metaller heraus. Eine ausgedehnte Europe und US-Tour führte die fünf Mannen nunmehr auch in die Szene Wien. Vor voller Hütte breiteten BTBAM eine umfassende Werkschau aus. Dabei konnten sie aus den Alben BTBAM (2002), Alaska (2005), The Silent Circus (2006), Colors (2007), Parallax II (2012), Automata II (2018) schöpfen. Die Setlist war mit achtzehn Titeln in zwei Parts, inklusive der drei Zugaben, übervoll.
Wer hat das nicht schon erlebt, daß man mit seinen Gedanken vom Konzert abschweift, da das Gebotene nicht genug Attraktion bietet. Keine Sekunde Langeweile hier und das ganze ohne Pyrotechnik- Spuk und Beleuchtungs-Overkill. Lediglich bodenständige LED-Panele und selten ein paar weiße Spots brachten etwas Licht in die Sache. Für die Fotos war das nicht hilfreich, was für resignierendes Schulterzucken bei uns Fotografen im Graben sorgte.
Auch brauchte es keinerlei „und jetzt alle“ Publikumsbeteiligungen, um im zweiten Set den ganzen Saal auszucken zu lassen- und das ist bekanntlich selten der Fall. Auch kamen Titelansagen, was mir heute bei vielen Bands abgeht, man will sich ja als Publikum adressiert fühlen. BTBAM sind bei der Arbeit sehr konzentriert, es bleibt weder Zeit für Herumgehampel, noch für andere Bespaßungsversuche abseits der Musik.
Die Musik der Fünf aus Charlotte /VA wird als Mix von Prog mit Math/Metalcore beschrieben. Das ist keine Schonkost für Musiker und Zuhörer gleichermaßen. Drei der Musiker sind Veganer, was beweist, daß Fleisch als Antrieb nicht erforderlich ist. Die Gitarren spielen als treibendes Element mal die gleiche Line, später diversifizieren sie sich wieder, sodaß ein komplexes Klangbild entsteht. Das ist das spannende, denn innerhalb des Infernos aus Lärm und Speed befindet sich eine Textur, so kann die Aufmerksamkeit zwischen den einzelnen Instrumenten wechseln, oder sie verschmelzen lassen. Komplexe rhythmische Muster werden durch häufige Tempowechsel ergänzt. Da und dort auch gleitend langsamer werdend, nicht nur Half/Doubletime.
BTBAM haben eine Form gefunden, komplexe und fordernde Musik leichter verdaulich zu schreiben, ohne auf Radiotauglichkeit zu schielen. Verglichen mit etwa Dillinger Escape Plan, mischen sich hier mehr Prog-Elemente hinzu, es gibt auch immer wieder Halftime Entspannungsphasen, die kontrastierende Harmonie reinbringen. Zu jedem Zeitpunkt sind die Songs jedoch fein durchkomponiert und durchdrungen von Ernsthaftigkeit. Seltene einfache Akkordzerlegungen geben den Musikerfingern eine kleine Pause.
Bedenkt man noch, daß die einzelnen Titel so zwischen sechs und zehn Minuten lang sind, ergibt das ein immenses Arbeitspensum, das allein schon gewürdigt werden darf.
Im Sweetspot zwischen den PA- Türmen stehend, gerieten mir angesichts des Elementarereignisses vor mir Raum und Zeit aus den Fugen. Man kann sich in diesen Raum aus Schallwellen fallen lassen und die Umgebung ausblenden. Wieviel Zeit war vergangen? Schwer zu sagen!
Ähnliches kann man bei Kindern beobachten, die im Kinderpuppentheater vollkommen entrückt, den bemalten Holzpuppen eine Seele einhauchen und alles andere vergessen können.
Mag sein, daß der Teil verbliebene Rest des dritten Bieres das Erlebnis gesteigert hat. Der andere Teil verteilte sich zu Beginn des zweiten Sets aufgrund meiner Position am Rande eines Pits auf meinem Shirt.
Die Reaktion der Fans schwankte zwischen fassungsloser Erstarrung angesichts der Urgewalt und Hingabe an die Extase.
Fazit: Ein in vielerlei Hinsicht mitreißendes Konzert. Die Prog-Superstars brachten einen interessanten Querschnitt aus ihrem Schaffen. Sie sind in der Lage, technisch sehr anspruchsvolle Songs live fehlerfrei und höchst präzise zu spielen. Zwischen leichtfüssig, flink und unfassbar heavy ist alles dabei. Hier spielen sie in einer Liga, mit zB. Dream Theater. Zu dieser technischen Exzellenz gesellt sich der enorme Druck und das Engagement der Band.
Spannende, abwechslungsreiche Songs, denen zu folgen, alle Aufmerksamkeit beansprucht, machen das Erlebnis perfekt. Ein absoluter Tip, leider gibt es heuer keine Gigs mehr im deutschsprachigen Raum.
Jedenfalls Platz Eins in meiner internen – höchst objektiven- Wertung jener Gigs mit dem höchsten Wert an Zeit und Raum- Aufhebung.
Michael Neumann
Setlist
Set 1:
Astral Body (Parallax II)
Lay Your Ghosts to Rest (Parallax II)
Alaska (Alaska)
More of Myself to Kill (BTBAM)
The Coma Machine Eck
Mordecai (BTBAM)
Reaction (The Silent Circus)
Mirrors (BTBAM)
Obfuscation (BTBAM)
The Black Box (Parallax II)
Telos (Parallax II)
Bloom (Parallax II)
The Proverbial Bellow (Automata II)
Glide (Automata II)
Voice of Trespass (Automata II)
Zugaben:
Selkies: The Endless Obsession (Alaska)
Viridian Colors