Für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ haben wir mit Szenemaler Jens Rusch gesprochen. Dabei haben wir unter anderem einiges über Jens‘ eigene Krebserkrankung, die Defizite in unserem Gesundheitssystem und seine Initiative (Laut)stark gegen Krebs erfahren.
Hi Jens, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst für unser Interview. Kannst du uns ein bisschen etwas über dich und dein Projekt „Lautstark gegen Krebs“ erzählen? Das Thema passt ja sehr gut zu unserem Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene.
Jens: Aus meiner eigenen Krebserkrankung resultiert das Verständnis für andere Krebs-Betroffene. Und ich habe auch die Mankobereiche in unserem Gesundheitssystem deutlich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Das soll keine Kritik sein, aber ich hab‘ deutlich gesehen, wo Ärzte an ihre Grenzen kommen. Daraus ist unsere eigene Initiative erwachsen. Begonnen haben wir mit dem grünen Bändchen unter dem Motto „Stark gegen Krebs“. Daraus wurde dann später „Lautstark gegen Krebs“.
Wie es dazu kam, erzähl‘ ich euch jetzt. Ich hab‘ ein viertel Jahr in Kliniken verbracht und wurde dabei sehr gut betreut von phantastischen Ärzten und Pflegern, aber auch Schwächen und Mankobereiche in unserem Gesundheitssystem kennengelernt. Und ich hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Außerdem hatte ich das Bedürfnis etwas zurückzugeben, mich zu bedanken, denn schließlich hat man mir am Ende ja doch mein Leben gerettet.
1972 haben wir ein fürchterlich bescheuertes Event gemacht. Bei uns im Watt am Deich. Wir leben ja hier in Norddeutschland. Stellt euch vor, man steht bis zu den Knien im Schlamm und versucht Fußball zu spielen. Das sieht denkbar bescheuert aus. Das haben wir öfter mal gemacht und eine Kiste Bier mitgenommen und hatten mächtig Spaß dabei.
Und in der Klinik kam mir dann die Idee mehr daraus zu machen. Wenn man dafür Eintritt nehmen würde, könnte man mit dem Geld sinnvolle Sachen machen.
Dann hab‘ ich nach Gleichgesinnten gesucht und unter dem Namen „Wattolümpiade“ die Idee umgesetzt. Die Sache ist nach einigen Jahren ziemlich gewachsen. Die gesamte Welt-Presse war an unserem Projekt interessiert und alle elementaren Multiplikatoren.
Wir haben denen gutes Kamerafutter geliefert und die Sache ist um die ganze Welt gegangen. Ich hab‘ dann immer nach dem Festival recherchiert und teilweise in chinesischer oder kyrillischer Schrift den Namen „Wattolümpiade“ gefunden. Einfach irre! Reuters beliefert ja die ganze Welt mit News und Infos. So ist es zu einer großen Sache herangewachsen und wir haben viel mehr Geld damit eingenommen, als wir uns je erwartet hätten. Und mit diesem Geld wollten wir natürlich sinnvolle Dinge tun.
Ich habe sehr schnell festgestellt, dass es bei uns in den Kliniken an der Westküste keine Palliativstation gibt. Austherapierte Menschen, die in Würde und schmerzfrei sterben wollten, hatten keine Unterstützung. Sie wurden absolut alleingelassen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch den so genannten Sterbetourismus in die Schweiz und England. Unser Gesundheitswesen hat Sterbehilfe nicht vorgesehen, und ein Arzt macht sich kriminell, wenn er Sterbehilfe gibt. So suchte man nach einer Entsprechung dafür und fand sie in der Palliativmedizin.
Und ich bin jemand der immer Klartext redet und kollidiere deshalb auch manchmal mit den Ärzten. Inzwischen weniger, weil man mich inzwischen respektiert. Heute bin ich sogar Ehrenmitglied im onkologischen Arbeitskreis. Ist für mich eine große Ehre und Anerkennung. Das zeigt auch, dass man unsere Intention verstanden hat.
Austherapierte Menschen haben nur einen einzigen Wunsch, sie wollen schmerzfrei sterben. Und jeder, der einmal Krebs gehabt hat, der weiß, dass man sich mit diesem Gedanken befassen muss. Krebs im Endstadium ist eine schreckliche Tortur – es ist menschenunwürdig, was in unserem Gesundheitssystem passiert. Teilweise kann man sagen „war“, da wir ja jetzt die Palliativmedizin haben.
Ich habe einmal jährlich die Krebs Informationstage organisiert, weil wir Geld hatten. Geld ist das absolute Zauberwort. Wir konnten uns wirklich teure Referenten, tolle Spezialisten, einladen. Teilweise haben wir sie aus Indien und Israel einfliegen lassen.
Wir hatten die Referenten gebeten ihre Vorträge aus Sicht von Betroffenen zu halten. Diese Veranstaltungen waren extrem erfolgreich, wir mussten sogar Vorträge wiederholen, wurden von der Ärztekammer zertifiziert und hatten unsere Vorträge in Kliniken gehalten. Es hat sich also gut entwickelt.
Dann haben wir aber gemerkt, dass wir an unsere Grenzen stoßen und Unterstützung brauchen. Mit Holger Hübner war ich schon lange befreundet und wir haben auch eine familiäre Verbindung. Seine Frau war eine Nachbarin von meiner Frau. Holger hat dann gesagt, dass er und Thomas sich sowieso karitativ engagieren. Und wir hatten mit unserem Projekt ja bereits Vorarbeit geleistet. Sie meinten, wir sollten einfach sagen, was wir brauchen, sie würden uns helfen. Das ist sicher schon mindestens zehn Jahre her.
Ab diesem Zeitpunkt wurde unser Projekt immer professioneller. Wir haben dann zusätzlich zur Wattolümpiade auch noch andere Charity Veranstaltungen organisiert. Charity Konzerte. Unter dem Namen „Wattstock“ (lacht).
Dafür haben wir ein Zirkuszelt vom ehemaligen chinesischen Nationalzirkus gemietet und mit verschiedenen Bands – unter anderem immer dabei Fury in the Slaughterhouse – Konzerte organisiert. Fury in the Slaughterhouse sind sehr liebe Freunde von uns, die uns schon immer unterstützt haben.
Plötzlich bekamen wir von überall Unterstützung. Ab diesem Zeitpunkt nannten wir unser Projekt „Lautstark gegen Krebs“. Und auf Holgers Wunsch wurde aus dem grünen Bändchen ein schwarzes (lacht).
So hat sich das dann noch weiterentwickelt. Der Höhepunkt für mich war, als wir in einem Ärztehaus in der Stadt eine ehemalige Tierarztpraxis mietfrei angeboten bekamen. Da wir ständig mit der schleswig-holsteinischen Krebsgesellschaft zusammenarbeiten, die auch den größten Teil unserer Spenden erhält, weil sie über eine vorhandene Infrastruktur verfügt, nahmen wir dieses Angebot sehr gerne an. Die Räumlichkeiten wurde dann zum Krebsberatungszentrum Westküste. Dort treffen sich Selbsthilfegruppen, finden Vorträge statt, etc. Die schleswig-holsteinische Krebsgesellschaft ist in Wacken auch immer vor Ort mit dabei und hat dort ihren eigenen Stand. Wir unterstützen uns gegenseitig. Wir haben einen Psychoonkologen, der gegen Honorar aus Kiel kommt und Beratungsstunden macht. Unglaublich, was sich dort an Aktivitäten entwickelt hat.
Wir sind ein großartiges Team, das auch bei der Wattolümpiade, in Wacken und überall dabei ist. Das ist ein richtiges Power Pool geworden, mit unfassbar viel Solidarität. Sowas kenne ich außerhalb der Metalszene nicht.
Kurzfristig wurde es auch etwas kompliziert, weil die Leute alles etwas durcheinandergebracht haben, und etwas verwirrt waren, wegen „Lautstark gegen Krebs“ und „Stark gegen Krebs“. Und so haben wir beschlossen wieder unser altes Schema zu fahren und wieder zurückzukehren zum grünen Band und zu „Stark gegen Krebs“ und nur im Zusammenhang mit Wacken, dann „Lautstark gegen Krebs“ und ein schwarzes Band einzusetzen. Und so konnten wir die Verwirrung etwas glätten.
Inzwischen gibt es schon jede Menge Palliativstationen, auch eine in Itzehoe. In Brunsbüttel haben sie sogar an die Klinik angebaut, extra für die Palliativstation.
Seid Ihr immer noch ein gemeinnütziger Verein?
Jens: Ja, das haben wir erstritten. Die Episode war bemerkenswert. Wir wurden zum Finanzamt zitiert und der Landtagspräsident, ein Freund von mir, hat uns begleitet. Es kommt ja nicht allzu häufig vor, dass Metal Freaks am Finanzamt antanzen und den Landtagspräsidenten mitbringen. Aber wir konnten die überhaupt nicht damit beeindrucken. (Lacht) Man hat uns mindestens 2 Stunden in einem regelrechten Verhör zerpflückt. Dabei fühlt man sich wie ein Kleinkrimineller.
Langer Rede, kurzer Sinn: der Finanzbeamte hatte letztlich doch noch etwas Resthumor und sagte, dass er uns für ein Festival am Wochenende die Gemeinnützigkeit nicht nehmen möchte, wenn wir es schaffen die Aktivitäten vernünftig übers Jahr zu verteilen. Und es müsste sozusagen „im Dienste der Volksgesundheit“ passieren. Ihr seid noch zu jung, ihr könnt euch daran nicht erinnern, aber genau das stand früher auf den Präservativ-Automaten. „Im Dienste der Volksgesundheit“ (lacht).
So haben wir dann unsere Aktivitäten auf das ganze Jahr verteilt. Das war die Geburtsstunde der Krebs-Informationstage. So war eigentlich das Finanzamt der Geburtshelfer für die Krebs Informationstage (lacht).
Seitdem gehen die eigentlich sehr moderat mit unserer Organisation um. Klar, wir müssen Steuern bezahlen und haben auch einen Steuerberater, aber man geht sehr wohlwollend und moderat mit uns um. Glaube, jetzt haben sie verstanden, weshalb wir das machen.
Beinah wäre aber auch unser Projekt am Finanzamt gescheitert, obwohl wir jeden Cent, den wir eingenommen haben, für gemeinnützige Zwecke verwendet und an karitative Vereinigungen weitergegeben haben.
Und die Metalheads hatten drei Euro Eintritt gezahlt, es hat ja niemand dieses Geld geklaut, sondern redlich verdient.
Wo siehst du heute die größten Herausforderungen?
Jens: Diese Projekte sind ja nie zu Ende, die laufen ja weiter. Ein Projekt musste ich aber gerade aufgeben und zwar wollte ich ein reines Sterbezimmer einrichten. Ein so genanntes Palliativ-Hospiz, mit der Verabreichung adäquater Medikamente. Auch die sofortige Verfügbarkeit von THC wäre dabei enorm wichtig, ohne Anträge zu stellen und andere Hürden überwinden zu müssen. Die Klinik hat einen Giftschrank, und da darf THC auf keinen Fall fehlen.
Leider konnte ich mich bisher mit diesem Plan nicht durchsetzen. Das kollidiert mit allen möglichen Regularien in den Kliniken. Leider sind wir hier noch lange nicht soweit, wie ich es gerne hätte, aber ich bleibe dran.
Ich habe zwei Gemälde gemacht, von denen wir einen Druck erstellt haben und sie von Sabaton und Cemican signieren ließen.
Natürlich wirkt hier auch das Wacken Team mit, da das ansonsten verpuffen würde. Dazu ist die Zielgruppe dann doch wieder zu klein. Aber das W:O:A hat ein riesiges Netzwerk.
Man kann sich gar nicht vorstellen wie schlimm die Regularien und Hürden für Verlosungen sind. Wir mussten die Aktion vom Innenministerium absegnen lassen. Die wiederum haben uns an das örtliche Ordnungsamt verwiesen. Die Bürokratie und die Regeln sind unfassbar. Das sind etliche Seiten, die man da durchackern muss. Bis 40.000 € darf man dabei einnehmen, und der Wert, den man anbietet, muss dem entsprechen. Das ist natürlich bei einem Kunstobjekt schwierig zu beurteilen. Denn wenn der Künstler sagt, ein Bild ist 40.000 € wert, dann ist es 40.000 € wert. Wir haben die Genehmigung gerade vor einer Woche bekommen. Das Geld, das bei der Verlosung hereinkommt, soll wieder für „Lautstark gegen Krebs“ eingesetzt werden.
Was wäre denn das nächste große Projekt für „Stark gegen Krebs“ und „Lautstark gegen Krebs“?
Jens: Für unsere eigenen Festivals: das „Wattstock“ und die „Wattolümpiade“, schwimmen uns zurzeit die Felle weg. Die kann man wegen Corona leider nicht in Angriff nehmen, wir sind doch eher pessimistisch, dass das in diesem Jahr noch klappen könnte. Und danach wahrscheinlich erst mal auch nicht, denn auch Musiker haben Familien, die sie ernähren müssen. Und wenn sie zwei Jahre diese Möglichkeit nicht hatten, um Geld zu verdienen, dann steht Ihnen nach Corona sicher nicht der Sinn danach, Benefizkonzerte zu geben und an Charity Festivals teilzunehmen. Die müssen erst mal versuchen ihre eigenen Sachen wieder in Ordnung zu bringen. Deshalb bin ich zurzeit eher im Leerlaufmodus. Denn immer, wenn wir solche Festivals in Angriff nehmen, signalisieren wir auch den Verwendungszweck. Natürlich ist der Bedarf weiterhin da. Bei uns in der Region wird beispielsweise ein stationäres Hospiz angestrebt. Es gibt hier nämlich einen Hospizverein, der ambulant tätig ist. Die MitarbeiterInnen betreuen austherapierte Krebs-Patienten. Und dieser Verein hat kein eigenes Haus mit eigener Palliativstation. Das wäre ein großes Projekt, das ich gerne unterstützen würde. Aber aus genannten Gründen, wäre es zu optimistisch das jetzt konkret angehen zu wollen.
Aber Krebs hört leider nie auf, und deswegen hören auch unsere Aktionen nie auf.
Beim letzten „Fury in the Slaughterhouse“ Konzert haben wir 25.000 € für die DKMS gesammelt. Und wir haben auch selbst hier Stammzellen-Typisierungen gemacht, das gehört dann auch zum Spektrum unserer Tätigkeiten. Ich schätze mal es waren über 800 Stammzellen-Typisierungen, die wir hier gemacht haben. Und wir hatten auch schon die ersten konkreten Fälle, wo dann Spender freudestrahlend zu uns kamen, weil es ihnen gelungen ist, mit Ihrer Spende ein Leben zu retten. Das sind einfach wundervolle Momente für uns.
Gab es ein Projekt, das euch besonders am Herzen lag?
Jens: Ja, die Palliativstation. Das ist aber auf meine eigene Problematik zurückzuführen. Wenn man Krebs hatte, dann hat man auch posttraumatische Belastungen. Die Angst bleibt ein ständiger Begleiter. Jede Nachuntersuchung ist mit großer Angst verbunden. Jede kleinste Auffälligkeit, wie Lymphknotenschwellungen, lösen sofort große Angst aus. Bei mir war Gott sei Dank 14 Jahre nichts. Ich bin ein so genannter Longtime Survivor. Deshalb bin ich auch für viele Krebs-Betroffene ein Leitbild.
Man macht das instinktiv: als ich damals meine Diagnose bekam, habe ich sofort recherchiert, wer das alles überlebt hat und was die gemacht haben, um gesund zu werden. Das liegt in unseren Genen – es liegt so viel in unseren Genen.
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft etwas von dem Metalheads lernen kann?
Jens: Wenn die Gesellschaft bereit dazu wäre, etwas von den Metalheads zu lernen, dann hätten sie einen großen bunten Strauß zur Verfügung.
Als ich zum Beispiel in Wacken mit Dirk Illing die Ausstellung „W:O*Art“ entwickelt hatte, die wir jetzt seit ungefähr acht Jahren dort machen, tauchte einmal das Thema Schleswig-Holsteinisches Musik Festival auf. Klassische Musik, schlecht besucht, aber 1000e Unterstützer. Es findet nach wie vor eine Minderbewertung der Metalszene statt und eine – aus unserer Sicht – zu hohe Bewertung der Klassik. Die Förderbereitschaft im Klassikbereich ist unverhältnismäßig höher als für Metal. Metal wird nach wie vor in den Schmuddelbereich abgeschoben, obwohl hier die größten Virtuosen zu finden sind. Das ist wirklich empörend und absolut falsch! Die Metal Szene ist ein eigenständiger Kosmos von hoher Vitalität. Und Wacken habe ich – im positiven Sinne – als gesellschaftlichen Ausnahmezustand empfunden.
Als behütetes Refugium. Ich habe dort noch niemals Gewalt erlebt. Das Einzige, was ich diesbezüglich je erlebt hab‘, war bei einem Konzert der Gruppe Freiwild – die ich übrigens nicht mag – als einer ausrastete. Sofort kamen aber andere, haben ihn beruhigt, ihm ein Bier in die Hand gedrückt und schon war wieder alles gut. Am Ende lächelte er wieder. Ich habe nur gesagt: „als Therapieform war mir das noch nie bekannt, aber es funktioniert“(lacht).
Diese völlige Gewaltfreiheit kennt man außerhalb des Festivals in der Gesellschaft nicht.
Auch Inklusion könnte die Gesellschaft von der Metalszene lernen. In der Gesamtgesellschaft tut man sich mit Inklusion wahnsinnig schwer. In Wacken ist es eine Selbstverständlichkeit und ein sehr homogener Prozess. Hier gibt es keine Abgrenzungen – im Gegenteil, man hat so nach und nach Strukturen entwickelt, die Inklusion zu einer Selbstverständlichkeit machen. Es wurde hier eine Infrastruktur geschaffen, die Menschen mit Behinderungen, eine Teilnahme möglich machen. Ladestationen für Elektrorollis, spezielle Toiletten, Urinbeutel, die manche Menschen brauchen. Daraus wurde ja auch kein großes Theater gemacht, sondern das wurde einfach geschaffen. Ich habe dazu auch ein Bild gemalt von Rollstuhlfahrern die crowdsurfen. Und daran könnte sich die Gesellschaft orientieren. Ich finde es toll, dass ihr all dieses Engagement in eurem Buch zusammenfassen wollt. Ist ein sehr guter Weg, darüber freue ich mich sehr. Und euer Projekt ist absolut unterstützenswert.
Als meine Frau in der Reha war, weil sie sich die Kniescheibe zerdeppert hat, sagte sie zu mir: „bevor du jetzt dumm rum sitzt kannst du eigentlich auch ein Bild malen“ (lacht). Und da entstand das Bild mit den crowdsurfenden Rollifahrern. Daran habe ich dann dreieinhalb Monate gearbeitet. Ich habe auch einige von diesen Rollstuhlfahrern kennen gelernt und mich immer gefragt wie sich diese Rollstuhlfahrer wohl dabei fühlen.
Ich selbst habe ein Hochrad, ein schönes altes riesiges Hochrad. Und damit fahre ich gerne auf dem Deich spazieren. Das fühlt sich an wie „Fliegen für Arme“. Da schaut man links und rechts 12 m runter. Also hinfallen darf man dabei auf keinen Fall. Und so ungefähr muss sich das für die Rollifahrer anfühlen. Deshalb habe ich ihnen als Metapher auf meinem Bild Adlerflügel gemalt. Ich arbeite ja sehr gerne mit Metaphern und Symboliken, die Betrachter meiner Bilder auf Anhieb verstehen, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Und diese Flügel, habe ich aus Händen gebildet, denn auf Händen werden sie ja tatsächlich getragen. Dabei habe ich auch die Probleme erkannt, wenn zum Beispiel die Räder nicht richtig arretiert sind, dann rutschen sie den Leuten weg und damit ist die Fallgefahr stark erhöht. Ist natürlich sehr gefährlich. Manche haben auch seitliche Ausgänge und dann fallen die Urinbeutel runter, und dann schrecken sich die Leute und lassen los. In dieser Aktion ist natürlich viel Dramatik. Man muss also mit sehr viel Sachverstand daran gehen.
Ich fotografiere jeden Abend, den Stand und die Arbeitsphase meiner Malereien auf der Staffelei und veröffentliche die Bilder auf Facebook. Denn ich möchte gerne unter Beweis stellen, wie akribisch ich arbeite, denn eigentlich spricht mich auf jeder Ausstellung zumindest eine Person an, ob ich das alles auf Photoshop gemacht hätte. Das ist so die Vorstellung von manchen jungen Leuten, dass man alles auf Knopfdruck digital macht. Ich bin aber old school und male meine Bilder wirklich mit der Hand – Pinsel und Bleistift und sitze Monate lang an einem Bild. Das musst du heute unter Beweis stellen, sonst glaubt dir das keiner.
Das hat aber auch Folgen:
Ein Mädchen, Rollifahrerin, querschnittgelähmt, schrieb mir folgendes: „Unsere Gruppe besteht aus acht Leuten mit unterschiedlichsten Behinderungen. Einer von uns ist schon total verwirrt und kümmert sich nur darum, dass immer genug Bier da ist. Über andere Dinge kann man mit ihm auch nicht mehr reden. Eine von uns ist blind, eine oder einer davon ist taub und so hat jeder eine andere Behinderung. Wir fahren immer gemeinsam auf die Festivals und unterstützen uns gegenseitig, denn jeder hat sein Manko woanders, und die anderen können das ausgleichen. Aber manchmal gehen uns die Gesprächsthemen aus, dann kann man nicht immer nur über Bier oder Jägermeister sprechen, oder einander ärgern. Aber jetzt sprechen wir sehr gerne über dein aktuelles Bild. Jetzt haben wir ein Thema und reden jeden Abend über dein Bild.“
Dann habe ich ihr natürlich kostenlos einen Druck vom Bild geschickt. Ist das nicht toll, was man bei Menschen erreichen kann?
Ein weiteres Bild zur Inklusion, das ich gemalt habe, stellt Menschen mit Blindenstöcken dar – es sind drei Menschen, die ich auch auf dem Metalmarket kennen gelernt habe. Einer von ihnen hatte um den Hals etwas, das aussah wie eine kleine Taschenlampe. In Wirklichkeit war es aber ein Monocular.
Ein Mädchen aus der Gruppe, konnte mit dem Monocular noch ein bisschen sehen und erklärte den anderen meine Bilder. Sie hatte noch 5 % Sehvermögen und gelernt mit dem Ocular Flächen Zentimeter für Zentimeter abzusccannen. In ihrem Gehirn setzt sie die Einzelteile dann zusammen und kann sich das Gesamtbild so vorstellen. So sah sie sich meine Bilder an und konnte sie den anderen danach beschreiben. Das sind eben solche Besonderheiten, die man in Wacken vielleicht nicht auf den ersten Blick sofort sieht..
Da kam mir die Idee den Hintergrund mit Blind Guardian zu gestalten. Damals wusste ich aber noch nicht, dass die Band öfter mal Charity Veranstaltungen für Blinde macht
Wie waren deine ersten Eindrücke von Wacken?
Jens: Anfangs bin ich, obwohl ich 20 km von Wacken entfernt wohne, gar nicht auf das Festival gegangen, da ich dachte es wäre nicht meine Musik. Heute habe ich fast ein schlechtes Gewissen, denn es sind sehr viele Bands dabei, die auch meinem Geschmack entsprechen. Zum Beispiel habe ich Sabaton sehr zu schätzen gelernt, und auch Riverside, die mag ich unheimlich gerne und viele andere.
Die Szene wird inzwischen gefährlich alt. Ich gehöre natürlich auch zu denen, die es begrüßen, dass das Programm gut gemischt ist. Man wird in Wacken sehr subtil zu Metal Gruppen hingeführt. Man lernt auch viele tolle neue Bands kennen, die man eventuell sonst übersehen hätte. Für mich sind die Türöffner aber Bands wie Deep Purple oder Alice Cooper. Wenn ich solche Bands in Wacken sehe, bin ich glücklich. Ja auch Apocalyptica. Diese Band hat mich mit Wacken versöhnt. Apocalyptica musste ich auch gleich malen.
Ich habe Gott sei Dank das Privileg, mich im Artist Village bewegen zu dürfen, und da lernt man natürlich auch die Leute kennen. Da kann ich die Leute auch gleich direkt um Erlaubnis fragen, ob ich sie abbilden darf. Apocalyptica sind sehr nette allürenfreie Musiker. Und da gibt sehr viele andere, die auch so sind. Die bekommen dann auch immer gleich unser grünes Bändchen. Denn wenn die großen Stars es tragen, dann orientieren sich auch viele andere daran. Dann wollen es auch die anderen haben, und wir bitten um fünf Euro Spende für die Bändchen, die dann wieder an die Schleswig-Holsteinische Krebsgesellschaft gehen.
Für Sea Shepherd haben wir auch eine Ausstellung gemacht. Die sind auch bei der Wattolümpiade immer dabei. Das sind meine Helden.
Welches deiner Bilder bedeutet dir am meisten?
Jens: Das mit den Rollstuhlfahrern. Man sagt ja immer: die Mutter liebt ihr letztes Kind am meisten. Und das war eines meiner letzten Bilder. Das ist ein riesiges Bild – viel größer als die anderen.
Günni rief mich, während ich auf diesem Bild gearbeitet habe, an und sagte: da ist ein Fehler in deinem Bild. Auf deinem Bild ist ein Bein zu viel abgebildet. Daraufhin erzählte er mir, dass man ihm in der Zwischenzeit ein Bein abgenommen hatte. Ich war geschockt und sagte daraufhin, ob ich es retuschieren sollte. Aber er meinte, ich solle es so lassen, das wäre dann wie ein Zeitdokument. Als ich angefangen hatte zu malen, war sein Bein ja noch dran.
Hast du auch schon mal CD Covers gemalt?
Jens: Ja, schon mehrere. Bei einigen Bildern hätte ich mir auch gewünscht, dass sie auf einem Cover landen. Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass berühmte Bands wie Sabaton ihre Star-Grafiker haben. Da kommt man als Quereinsteiger nicht so gut hinein.
Schön war die Geschichte mit Cemican. Die Gruppe brachte aus Mexiko sehr viel Bildhaftigkeit mit. Mayakult zum Beispiel und während ich an einem Bild zu dem Thema arbeitete, war in Hamburg eine Maya Ausstellung – die haben wir uns angesehen. Daraufhin hatten die Veranstalter beschlossen 2020 unter das Motto Maya zu stellen und machten dazu eine großartige Ankündigung am Ende des Festivals 2019. Auch die gesamte Grafik auf der Website wurde im Maya Stil gemacht. Ich denke, dass ich da ein bisschen der Schrittmacher war durch meinen Dialog mit der Gruppe Cemican.
Die Band lief toll gestylt auf dem Gelände herum, mit Federn und tollem Kopfschmuck. Super sympathische Jungs und da ich spanisch spreche, kam ich mit denen auch sofort ins Gespräch. Und als ich sie dann nach dem Festival malte, fühlten sie sich derartig geehrt und ernst genommen. Sie waren mächtig stolz darauf, dass man auf dem größten Metalfestival der Welt ihre Kultur entdeckt hat. Das Bild haben sie dann auf allen sozialen Medien in ganz Lateinamerika geteilt. Ich hatte noch nie zu einem Bild so viel Resonanz wie durch Cemican. 2018 hatten sie gespielt und 2019 wurden dann Fotos von ihnen auf der Bühne gemacht, weil sie für das neue Generalthema so gut passten.
Ein Metal Künstler aus Venezuela, Jesus Lhysta – Jesus heißt nicht nur Jesus, sondern auch Jens – Er hat schon sehr viele Covers gemacht und schrieb mir, dass das schönste für ihn wäre, einmal in Wacken ausstellen zu dürfen.
Seine Bilder sind sehr düster, aber auch ausgesprochen gut. Und so überließ ich ihm die Hälfte meiner Hängefläche in Wacken. Leider kam es nicht dazu, weil ja 2020 Wacken wegen Corona ausfiel.
Auch solche Dialogsituationen, über die ganze Welt, gibt es eigentlich nur in der Metalszene.
Da er aber kein Geld hatte, um nach Deutschland zu fliegen, empfahl ich ihm sich an das venezolanische Goethe-Institut zu wenden, da es ein Kulturaustauschabkommen mit Venezuela gibt. Monate lang lief er von Behörde zu Behörde, irgendwann hatte er es geschafft.
Wirkst du auch in anderen Hilfsprojekten, die Wacken so am Laufen hat, mit?
Jens: Da gibt es teilweise Überschneidungen. Zum Beispiel mit dem Blutspende Projekt. Wir helfen uns auch gegenseitig aus, aber ich habe meine Schwerpunktthemen – die haben immer mit Krebs zu tun. Wir haben auch die Stände immer nebeneinander und helfen uns auch mit Personal, zum Beispiel wenn jemand ein Konzert hören möchte.
Wie oft gelingt dir denn das?
Jens: Wir sind ja mit der Wacken Foundation meistens in Bühnennähe, das ist ein Glück. Dadurch bekommt man doch ein bisschen etwas mit. Wenn jemand mal weg möchte, um eine Band zu hören, dann unterstützen ihn die anderen. Ich mache mir auch für das Festival keinen Plan, sondern höre mir nur spontan Konzerte an. Ab und zu ist mal jemand dabei, den ich unbedingt hören möchte, aber meistens läuft das spontan ab. Ich lasse mich auch gerne überraschen und lerne gerne neue Bands kennen.
Wie war deine erste Wacken Erfahrung?
Jens: Früher habe ich eigentlich immer mit dem Rücken zur Bühne gearbeitet, wenn ich Skizzen gemacht habe. Da ja die Menge andauernd in Bewegung ist, ist es mit dem Skizzieren ziemlich schwierig. Deswegen fotografiere ich heute. Es stellt sich ja auch keiner hin und posiert 20 Minuten lang. Also hatte ich zunächst die Musik immer im Rücken. Heute stehe ich andersrum. Mich hat das Publikum vom ersten Tag an total fasziniert. Auch diese – mir als Künstler sehr entgegenkommende – Form von Exhibitionismus. Und da es bei der Hitze sehr viele Leute gab, die sehr wenig anhatten, konnte ich ihre Tattoos sehr genau sehen. Und da waren gigantisch gute Tattoos dabei.
Ich bin eigentlich aus gesundheitlichen Gründen kein Tattoo-Freund – es gibt einen Haufen Argumente, die gegen das Tätowieren sprechen. Und es gibt natürlich auch sehr schlechte Tätowierer – denn um so ein Instrument zu bedienen, muss man nicht unbedingt ein guter Zeichner sein. Aber gerade in Wacken habe ich sehr viele unglaublich gute Tattoos gesehen. Diese sind oft sehr versteckt und nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar. Aber hier hat man die Gelegenheit sich einfach die Klamotten vom Leib zu reißen, ohne, dass es einem jemand übelnimmt, und da kamen großartige Kunstwerke zutage. Mein Plan ist ein Bild, auf dem Festivalbesucher zu sehen sind, die auf der Brust Kupferstiche von Albrecht Dürer haben.
Mich als Maler fasziniert also oft das was ich sehe noch mehr als das was ich höre. Das war ein richtiger Kosmos, der da auf mich einwirkte, unfassbar viele tolle Eindrücke, manchmal fühlte ich mich fast wie ein Schlachtenmaler. Briten haben immer zu ihren Schlachten Schlachtenmaler mitgeschickt und so ähnlich hatte ich mich gefühlt.
Was ist für dich und deine Arbeit auf dem Wacken Open Air schlimmer: Schlamm oder Hitze?
Jens: Also Schlamm bin ich ja von der Wattolümpiade gewöhnt. Aber mir macht prinzipiell beides nichts aus. Wenn man nach Wacken fährt, weiß man ja, dass man mit dem Wetter klarkommen muss, sonst ist man ja dort fehl am Platz. „Rain or Shine“ habe ich verinnerlicht.
Man hat ja in der Zwischenzeit auch eine richtig tolle Infrastruktur geschaffen, die WCs, die Bier-Pipeline, alles ist eigentlich sehr gut durchdacht.
Die haben ja recht viel Geld in die Hand genommen, und sehr viel investiert in die Infrastruktur und auch in die Infrastruktur für eine funktionierende Inklusion. Abgesehen davon ist so ein Festival unfassbar viel Verantwortung. Und wenn dann sowas wie Corona kommt, ist es natürlich ziemlich tragisch.
Welchen Einfluss hatte denn der Ausfall des Wacken Open Air auf die Region?
Jens: Also für die Leute, die vermieten, ist es natürlich bitter. Vermietet wird ja von Wacken bis nach Sylt. Aber ich denke die Vermieter werden das schon verkraften, wenn sie mal 3 Tage oder eine Woche leer stehen. Ja, die Menschen direkt aus der Region sind natürlich etwas träge und für die ist das Wacken Open Air natürlich das Highlight des Jahres. Um so ein Festival zu organisieren, muss man doch auch in gewisser Weise leidensfähig sein. Denn das Wacken Open Air ist ja international und in allen Medien vertreten.
Stichworte:
Rituale
Jens: Crowddiving
Ernährung
Jens: Da sind immer so viele tolle Essensstände, kulinarisch ist Wacken für mich eine Offenbarung. Ich hab‘ noch nie so gut indisch gegessen wie in Wacken. Ich freue mich immer schon drauf. Auch auf den nächsten Barbarenspieß freue ich mich.
Wie stehst du denn zur Massentierhaltung?
Jens: Eigentlich esse ich ja gar kein Fleisch mehr. Ich möchte die Antibiotika, die man den Tieren gibt, nicht mitessen. Vom Tierleid ganz zu schweigen. Ich bin ein eingefleischter Tierfreund und ich möchte die Antibiotika nicht mitessen und immun werden.
Massentierhaltung? völlig außen vor. Wenn solche Schlachtereien unter Corona zu leiden haben, dann bin ich voller Schadenfreude. Dann werden hoffentlich einige Tiere weniger tot gequält. Ich versuche zwar Vegetarier zu werden, aber die Kochgewohnheiten meiner Frau stehen dem etwas entgegen. Meist sortiere ich aber das Fleisch aus und gebe es ihr auf den Teller.
Nachhaltigkeit
Jens: Ja, was da alles gemacht wird. Viva con Aqua. Es wird gesammelt und sehr auf Mülltrennung geachtet, was natürlich nicht einfach ist bei einem Festival von dieser Dimension. Früher waren teilweise die großen Firmen, mit denen das Wacken Open Air zusammengearbeitet hat, problematisch. Aber auch die haben ihre Gewohnheiten inzwischen teilweise angepasst. Es fand und findet in Wacken ein Prozess statt, wo Vernunft ein wichtiges Signal geworden ist. Ganz platt ausgedrückt: Vernunft verkauft sich immer besser inzwischen.
Das ist doch die einzige Chance. Wenn man die großen Konzerne umstimmen möchte, geht es immer nur um Geld. Entweder Konsumverzicht oder wir kaufen nur bei denen ein, die vernünftig sind. Das wäre eigentlich so mein Wunsch. Wünsche haben aber viel mit Utopien zu tun. Und ehrlich gesagt, sehe ich für unseren Planeten im Moment schwarz. Ich hoffe nur, dass ich den Rest meiner Jahre ohne Kriege und schlimmere Katastrophen durchleben kann. Meine Frau und ich haben keine Nachkommen, sonst würde man sicher anders denken.
Ich bin ein großer Fan der Filme von Attenborough. Er schafft es immer wieder, dass ich mich mit diesem Planeten versöhne. Der macht ganz wunderbare Filme. Nur wir Menschen zerstören diesen Planeten, kein Tier ist daran schuld, nur wir Menschen.
Werte
Jens: Zusammengehörigkeitsgefühl, Hilfsbereitschaft, all das wird in Wacken praktiziert. Vor allem der Umgang mit gehandicapten Personen gefällt mir besonders gut.
In Wacken legt man auch besonders viel Wert auf Markenschutz. Denn in einem Jahr wurden auf dem Parkplatz einige polnische T-Shirt Fälscher hochgenommen.
Ethik
Jens: Ein kosmopolitisches Grundverständnis ist eine gute Basis gegen Rassismus. Leider gibt es auch im Metal, vor allem im Black Metal einige, die von den Texten her nicht in Ordnung sind. Solche Gruppen mag ich natürlich nicht. Humanismus gehört für mich in diesen Bereich. Und Ethik und Ästhetik genauso. Das wird in der ganz großen Mehrheit der Szene auch so respektiert und wahrgenommen.
Wacken
Jens: Was war das noch schnell? (Lacht) Wacken stand immer für die finsterste Dorfidylle, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wenn man rausgegangen ist, hat man gesagt „Wacken, Nutteln, Paris“. Das stand dafür, dass man rausgeht. Es gibt ja da einen ganz wunderbaren Film über Wacken, wo dieser ländliche Kulturbereich deutlich wird. Und wenn grad nicht Festival ist, dann ist es das auch heute noch so. Aber jeder hat im Hinterkopf, dass dort auch etwas gigantisch Großes stattfinden kann.
Schwarz
Jens: Man kann das tatsächlich an der Grundfarbe erkennen, wie sich das Spektrum dort verändert hat. Als ich da vor vielen Jahren das erste Mal hinkam, war Schwarz die einzige Farbe. Alle andersfarbigen fielen dort tatsächlich auf. Heute ist das anders. Denn heute siehst du Ehepaare mit kleinen Kindern an der Hand und alle Generationen vertreten und damit auch ein größeres Farbenspektrum. Denn die tragen oft ihre ganz normalen bunten Alltagsklamotten. Und ich muss sagen, dass ich das fast ein bisschen schade finde. Aber die Alteingesessenen erkennt man dann natürlich heraus. Denn die sind immer noch schwarz gekleidet.
Toleranz
Jens: Toleranz ist eigentlich der rote Faden, der sich durch das Festival zieht.
Alter
Jens: Das fragst du mich? (Lacht) Ja, meine Altersgruppe wird immer dominanter in Wacken.
Die Wacken Foundation hat sich ja immer sehr in der Nachwuchsförderung engagiert. Welcher andere Festival-Veranstalter macht sich denn darüber überhaupt Gedanken? Die haben dafür sehr viel Mühe aufgewendet und auch die Infrastruktur geschaffen.
Finanzen
Jens: Ich muss sagen, dass ich als Unternehmer eine Heidenangst hätte so ein großes Festival zu organisieren. Ich hab‘ so ein bisschen im Laufe der Jahre mitbekommen was da für Kosten entstehen. Natürlich sind auch die Einnahmen toll, aber jeder Cent ist verdient. Bei einem Kartenverkauf von 80.000 Stück, kann man das ja auch hochrechnen. Dem gegenüber stehen enorme Kosten für die Infrastruktur. Und diese Kosten wären immer noch da, wenn ein Festival schieflaufen würde. Gar nicht auszudenken. Diese Szenarien will man sich gar nicht vorstellen. Wenn da zum Beispiel durch irgendetwas Panik ausbrechen würde, und man steckt im Schlamm fest und kann nicht weglaufen, dann war’s das gewesen. Aber das Gute ist, dass gerade in Wacken auch die Sicherheitsvorkehrungen sehr gut sind. Mit solchen Ängsten müssen Veranstalter von Großveranstaltungen immer leben. Denn du trägst enorme Verantwortung. Das ist also ein zweischneidiges Schwert. Also mit einem Festival wohlhabend zu werden, ist absolut verdient.
Und was meine persönlichen Finanzen betrifft (lacht), die sind im Vergleich natürlich überschaubar. Aber ich bin immerhin mit der Kunst alt geworden und als Künstler alt zu werden, das ist schon die halbe Miete. Und wenn du bis ins hohe Alter die Glaubwürdigkeit nicht verloren hast, dann wird es natürlich noch viel mehr wertgeschätzt, als wenn du als junger Künstler startest. Wir sind zwar alles andere als wohlhabend, aber wir sind immerhin schuldenfrei. Und ich habe immer nach dem Motto gelebt und kann das auch nur jedem jungen Menschen empfehlen: Gib niemals Geld aus, das du nicht hast. Und das haben wir gemacht.
Umweltschutz
Jens: Leider werden Entscheidungen nur in politischen Gremien getroffen. Nur das ist wirklich nachhaltig, da können wir protestieren so viel wir wollen. Wenn man sieht, wie sich ursprünglich engagierte Parteien plötzlich zu Lobbyisten entwickeln, sich in diesem ganzen Politikbetrieb integrieren und mit ihm untergehen, dann habe ich sehr wenig Hoffnung.
Ich verstehe aber auch viele Protestveranstaltungen nicht. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie die Landwirte mit ihren Traktoren nach Berlin fahren, um zu demonstrieren – manches ist ja auch wirklich nachvollziehbar – aber wir leben hier direkt an den Äckern und bekommen das Bienensterben hautnah mit. Ich bin ein aufmerksamer Beobachter und bekomme es mit, wie wenig Vögel und Insekten noch in unseren Gärten sind. Dass daran nur die Landwirtschaft schuld ist, das hören die nicht gerne.
Funktionieren würde es nur, wenn sich Märkte darauf einstellen. Wenn wir denen klarmachen, dass wir bereit sind, etwas mehr Geld auszugeben, damit Dinge umweltschutzkonform produziert werden. Auch wenn ich gewisse Dinge heute fast als perspektivlos ansehe, bin ich immer noch bereit mich zu engagieren.
Gemeinschaft/Zusammenhalt
Jens: Wir haben ja 17 Jahre in Spanien gelebt und sind 1995 zurück nach Deutschland gezogen, weil wir eine alte Schule gekauft haben und einen zweiten Wohnsitz nicht finanzieren konnten. Die Bilder, die wir mittransportiert hatten, waren alle 60 × 80 cm groß. Wisst ihr warum? So groß ist die Ladefläche des Passats (lacht). Und eigentlich hätten wir überall leben können. Und wenn ich nach Düsseldorf oder in eine andere größere Stadt gezogen wäre, wäre ich heute sicher viel wohlhabender, aber wir haben uns entschieden in unsere Heimatstätte zurückzukehren. Am Anfang haben wir das oft in Frage gestellt. Und dann bin ich an Krebs erkrankt – spätestens da haben wir gemerkt, dass das die richtige Entscheidung war.
Gesellschaftliche Verantwortung
Jens: Ich glaube, da bin ich kein schlechtes Beispiel. Alles was ich in Bezug auf Krebshilfe mache, mache ich ja nicht für mich. Das mache ich für andere. Und viele meiner Freunde haben die Messlatte ähnlich hoch angesetzt wie ich. Oft wird das hinterfragt, warum jemand sowas macht: „Der muss doch etwas davon haben“. Wenn man jemandem keine Geldgier unterstellen kann, dann unterstellt man eben Eitelkeit oder Profilierungssucht. Nein, das mache ich nur aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus.
Welches ist dein Lieblingstier?
Jens: Pangolin. Habe ich gerade gemalt.
Dein Lieblingsfilm?
Jens: Ich habe gerade erst einen tollen alten Western gesehen: “Hostiles – Feinde“. Der geilste Western den ich je gesehen habe. Schonungslos und fernab jeglicher Klischees. Und man begreift hinterher was in der amerikanischen Volksseele genetisch verankert ist. Und weshalb heute Leute auf das Capitol stürmen. Man versteht auch die amerikanischen Waffengesetze, wenn man diesen Film gesehen hat: Wenn du umgeben bist von Feinden, dann musst du dich selbst bewaffnen, ansonsten bist du schutzlos. Dieses Credo tragen die idiotischen Waffennarren in Amerika immer noch vor sich her. Das bringt dieser Western zum Ausdruck.
Dein Lieblingsbuch?
Jens: „Zettel‘s Traum“ von Arno Schmidt
Deine Lieblings CD?
Jens: Fury in the Slaughterhouse, das hängt damit zusammen, dass ich eben mit der Band sehr eng befreundet bin.
Dein Lieblingsessen?
Jens: Mehlbeutel. Kennt ihr das? Das ist eine nordische Spezialität. Woanders heißt das „Bunter Hans“ oder so. Meine Mutter hat uns das immer zubereitet, wenn wir aus Spanien gekommen sind. Das hat eine große symbolische Bedeutung für mich. Meine Mutter lebt natürlich nicht mehr, aber immer, wenn ich das esse, ist sie mit am Tisch.
Dein Lieblingsgetränk?
Jens: Jiaogulan-Tee. Ich züchte ja diese Pflanzen. Das ist mein drittes Lebenswerk. 2004 war die Tsunami Katastrophe und 2005 hatten wir durch ein Benefizkonzert 20.000€ eingenommen. Das Geld haben wir für ein Waisen-Kinderdorf in Khao Lak gespendet. Das Musterdorf war in Chiang Mai im Norden. Und wir hatten von der Lufthansa Presseplätze gesponsert bekommen. Wir waren insgesamt dreimal in Thailand, um dieses Waisen-Kinderdorf zu entwickeln.
Und mit in diesem Flugzeug war Kai Wingenfelder von Fury in the Slaughterhouse. So haben wir uns auch eigentlich kennengelernt, in Thailand. Und die Waisenkinder hatten Sommerferien und da wurde eine CD eingespielt.
Die Kinder wurden in drei Disziplinen eingeschult: Tourismus, traditionelle Tänze und ökologischer Landbau. Und die züchteten Pflanzen, die ich noch nicht kannte. Ich war natürlich immer auf der Suche nach einer alternativen Heilmethode für Krebs. Und diese Pflanze heißt Jiaogulan. Der König von Thailand hatte damals alle Agrarökonomen und Mediziner angewiesen bezüglich Heilmitteln, die in der traditionellen chinesischen Medizin zur Behandlung von Krebs verwendet werden.
Da Thailand eine ähnliche Klimazone ist, wollte er, dass man diese Pflanzen auch nach Thailand holt. Ich bat dann die Waisenkinder um ein paar Pflanzen Rhizome und habe sie in nassen Taschentüchern und Plastiktüten mittransportiert. Ich war der erste der diese Pflanze nach Deutschland brachte und habe nach kurzer Zeit festgestellt, dass sie in unseren Breiten überleben kann. Auch bei -18° im Winter. Sie stirbt zwar oberirdisch ab, kommt aber im Frühjahr wieder.
Ich hab‘ mir dann ein Treibhaus gebaut und mir meine eigenen Medikamente gemacht. Ich trinke die ganze Zeit diesen Tee. Ich bin normalerweise sehr skeptisch gegen alternative Heilmethoden, aber ich halte auch Vorträge zum Thema Komplementärmedizin. Ich hab‘ auch schon ein Buch über Jiaogulan geschrieben.
Auf Facebook habe ich eine Gruppe mit über 6000 Leuten, überwiegend Krebspatienten, eine Art Selbsthilfegruppe.
Dein Hobby
Jens: Ich habe eine Zeit lang Insekten gezüchtet. Da hatte ich über 20 Terrarien in meinem Atelier. Das war mein allerliebstes Hobby. Ich kannte aus Spanien dieses Zirpen der Grillen. Das hat mir hier am allermeisten gefehlt als wir zurückgekommen sind. So habe ich beschlossen sie zu züchten. Begonnen hat also meine Insektenzucht mit Grillen. Ich hatte darunter auch sehr wertvolle und sehr große Tiere.
Dein liebstes Reiseziel?
Jens: Eigentlich Altea in Spanien. Weil ich dort ja gelebt habe. Dort hab‘ ich auch noch eine Radierpresse. Dort hatte ich einen Lehrauftrag an der Uni und sehr viele Freunde. Aber durch Corona …
Gibt es irgendetwas, das du gar nicht kannst?
Jens: Ja, Rechnen. Ich glaube ich habe leichte Dyskalkulie. Nicht sehr schwer ausgeprägt, aber ich habe eine Aversion gegen das Rechnen. Ich rechtfertige das immer mit Hirnhälften-Dominanz. Denn die kreative Seite ist ja bei mir sehr ausgeprägt (lacht).
Deine größte Sorge oder Angst?
Jens: Ich möchte gerne vor meiner Frau sterben.
Was liebst du am meisten?
Jens: Natur. Ich hab‘ mal ein Bild gemacht über Naturreligion. Da kommt das sehr gut zum Ausdruck. Eigentlich bin ich ja Agnostiker. Ich bin also nicht sonderlich religiös, aber wenn man Krebs bekommt, lernt man zu beten. Man sucht nach Erklärungen. Und ich bin schon immer sehr naturliebend gewesen. Aber ich habe dann gemerkt, dass diese Liebe noch viel mehr beinhaltet als die Bewunderung eines schönen Ambientes. Da gibt es auch ein Werteschema, das man erkennen kann, wenn man dafür sensibel genug ist. Natur hat fast etwas Religiöses.
Was verabscheust du am meisten?
Jens: Oh, da gibt es eine Menge. Verlogenheit, Zwiespältigkeit, Rassismus und vor allem auch Egoismus. Alleine diese Diskussion zurzeit – diese Impfverweigerer haben einen massiven Egoismus. Die Menschen mit Vorerkrankungen, die gefährdet sind, wie ich zum Beispiel: wo ihr zum Beispiel nur eine Grippe bekommt, bekomme ich eine Lungenentzündung. Und wenn dann Corona noch dazu kommt, dann stirbt man daran. Und diese Menschen, bringen mich und andere in Lebensgefahr. Und das ist gelebter Egoismus. Das kann man nicht gut finden.
Dein größter Wunsch oder Traum für dich selbst?
Jens: Ich würde gerne an der Staffelei sterben. Das hört sich vielleicht ein bisschen martialisch an, aber ein Tänzer würde auch gerne in der Pirouette sterben. Ein Konzertpianist würde gerne am Flügel sterben und ein Metalmusiker möchte auf der Bühne sterben. Einen besseren Tod kann man sich doch gar nicht vorstellen.
Dein größter Wunsch oder Traum für die Welt?
Jens: Genug Selbstheilungskräfte, um die Menschheit zu verkraften.
Was würdest du gerne der Welt mitteilen?
Jens: Trag‘ uns das nicht nach, was wir dir angetan haben.
Was würdest du gerne der Menschheit mitteilen?
Jens: Wir haben zwar wenig Beispiele dafür, dass das Gute dominiert. Aber wenn wir uns anschauen, was nach dem Desaster zwischen 1933 und 1945 war, dass dann doch eine friedliche Gesellschaft entstanden ist, die auch die Arschlöcher verkraftet, die immer wieder versuchen diesen alten Geist heraufzubeschwören und Unfrieden stiften, dann fühle ich, dass da doch eine Kraft ist, die wir vielleicht nicht genau benennen können – aber sie ist da. Und wenn wir diese Kräfte stärken und die Gefahren ernst nehmen, dann habe ich auch noch eine leise Hoffnung für die Welt.
Interview: Lydia Polwin-Plass und Michael Gläser
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Bilder von Jens Rusch findet ihr hier: https://www.atelier-rusch.de/
Lydia Dr. Polwin-Plass
Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de