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Interview mit Wacken Co-Gründer Thomas Jensen Interview mit Wacken Co-Gründer Thomas Jensen
Für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ haben wir mit Wacken Open Air Co-Founder Thomas Jensen... Interview mit Wacken Co-Gründer Thomas Jensen

Für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ haben wir mit Wacken Open Air Co-Founder Thomas Jensen gesprochen. Dabei haben wir ihn zu seinen Herzensprojekten befragt, zu Organisatorischem bezüglich W:O:A und zu privaten Themen. Hier das gesamte Interview.

Hallo Thomas, danke dass du dir  Zeit nimmst.

Inzwischen seid ihr ja ein Riesenunternehmen und macht viel anderes neben Wacken. Wird euch das nicht manchmal zu viel?

 Thomas: Zu viel will ich jetzt nicht sagen. Natürlich nervt das an der einen oder anderen Stelle. Vor allem der administrative Teil. Man muss auch aufpassen, dass das, weshalb man das alles gemacht hat – also die Musik, die Künstler und die Fans – nicht zu kurz kommt. Ansonsten gibt es immer noch den Spruch: Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Das stimmt bei mir ja irgendwo. Für mich gilt auch immer noch, Musik ist das Geilste auf der Welt und hat eine sehr große Bedeutung. Das kann mir eigentlich nie zu viel werden. Man muss natürlich mit der Familie und den Kindern die Balance finden. Die finden natürlich nicht alles toll, wofür ich mich gerade begeistere und mich dann oft schlecht losreißen kann. Die fordern dann aber lautstark ein, dass ich die Aufmerksamkeit auch auf etwas anderes lenken soll. Aber ich glaube, das geht sicher jedem so.

Dass ihr ein erfolgreiches Unternehmerduo geworden seid, ist das Segen oder Fluch?

Thomas: Dass wir von dem, was wir lieben, leben können, ist natürlich der Wahnsinn. Für Holger und mich ist noch lange nicht Zeit, in Rente zu gehen. Nach wie vor heißt es für uns: Auf zu neuen Ufern und wir schauen auch, wo es nochmal weitergehen kann. Wir machen natürlich immer auch Fehler und müssen auch manchmal Lehrgeld bezahlen. Aber es macht uns natürlich immer noch Riesenspaß.

Können gesellschaftskritische Texte deiner Meinung nach etwas bewirken?

Thomas: Ich glaube immer noch an den Song von Stiff Little Fingers „I believe in the power of guitar and drum“ und glaube auch immer noch an drei Akkorde. Ich denke, Musik hat auch schon viel bewegt. Greenpeace ist zum Beispiel auf einem Festival entstanden. Man darf aber nicht glauben, dass ein Song oder eine Band alleine die Welt verändert, nur weil es sie gibt. Das wäre ein bisschen zu einfach gedacht. Ich glaube aber schon, dass Musik eine Energie freisetzen kann, ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen und zum Denken anregen kann. Musik begleitet einen auch durchs Leben, egal was man erreichen will. Gesellschaftskritik ist ja auch oft kämpferisch. Ich denke schon, dass Musik da einen Impuls setzen kann. Ein Typ wie Trump ändert sich aber nicht, weil einer einen Song gegen ihn geschrieben hat. Ich glaube aber auch, dass Leute wie Neil Young da ein anderes Bewusstsein geschaffen haben. Musik wird ja auch von allen politischen und gesellschaftlichen Strömungen eingesetzt. Am besten natürlich für die gute Sache, aber es gibt ja auch Gegenbeispiele. Für mich ist Musik nach wie vor rebellisch. Da hat sich nichts geändert.

Habt ihr schon mal aus ethischen Gründen eine Band abgelehnt?

Thomas: Die buchen wir dann erst gar nicht. Wir versuchen aber auch, den Künstlern möglichst viele Freiheiten einzuräumen. Das siehst du an den Shows, die wir gehabt haben, wie Rockbitch oder Gorgoroth. Ich will bei den Texten auch gar nicht mitreden. Wir haben ja auch Pete Steele mit „Panic War“ auf der Bühne gehabt. Da gibt es natürlich auch einige Kritiker. Die Kunst muss schon frei bleiben. Wacken ist als weltoffenes Festival bekannt. Wenn da die Freiheit der anderen eingeschränkt wird, lassen wir das nicht zu.

Redet ihr bei der Bandauswahl noch mit?

Thomas: Klar reden wir mit. Unsere Leute würden auch keine Band buchen, die nicht in diese Community reinpasst. Wir wollen schon das ganze Spektrum des Metal haben, aber es muss in diese Community reinpassen.

Ihr macht sehr viele soziale Projekte. Initiiert ihr die selber oder kommen die Organisationen eher auf euch zu?

Thomas: Da gibt es alles. Wenn du zum Beispiel an unsere Aktion mit der DKMS denkst, die ja richtig Wellen schlägt, die kam durch das persönliche Schicksal unseres Freundes Thomas Hess. Seine Tochter war erkrankt und brauchte eine Spende. So haben wir die DKMS kennengelernt und ein ganz enges Verhältnis aufgebaut. Das kam also aus einer persönlichen Geschichte. Die Landfrauen aus unserer Gegend präsentieren sich ja auch auf dem Wacken. Die Beziehung zu Sea Shepherd kam durch einen Kumpel, der mal bei uns gearbeitet hat und jetzt großer Aktivist ist. Der ist auf uns zugekommen und fragte, ob er nicht auf dem Wacken was machen kann. Es gibt also ganz oft persönliche Gründe oder Anfragen von Fans. Für das Rote Kreuz mache ich immer mal wieder den Botschafter. Das hat sich aus einem Gespräch mit unserem Sanitätsdienst auf dem Festival ergeben. Die sind halt an uns herangetreten und haben gefragt, ob wir dazu bereit wären. Das ist auch immer unser Credo: Wenn du Teil der Family bist, versuchen wir auch dich zu unterstützen.

Mit der Wacken Foundation haben wir zunächst geplant, viel mehr auf Charity zu machen. Dann haben wir aber gedacht, dass es gegen die Armut in der Welt oder gegen die Probleme von Kindern schon sehr viele Organisationen gibt. Da mussten wir dann nicht auch noch mitmachen. Daher hat die Wacken Foundation nun diesen totalen Metal-Ansatz gekriegt, weil wir der Szene etwas zurückgeben wollten. Das ist für uns eine genauso wichtige Charity – Unterstützung einer benachteiligten Kultur. Wir haben dann auch gesehen, dass da noch viel Luft nach oben ist. Eigentlich muss man hier noch viel mehr machen. Manchmal entscheiden wir das auch aus dem Bauch heraus. Generell hat ja jeder die „Pflicht“ – wenn er die Möglichkeit dazu hat – etwas für die Gemeinschaft zu tun.

Gibt es ein Projekt, das dir besonders am Herzen liegt, oder eines, das du unbedingt irgendwann noch machen möchtest?

Thomas: Wir wollen besonders die (Wacken) Foundation noch ein ganzes Stück voranbringen. Wir wollen auch, dass sich die ganzen Teile untereinander noch stärker befruchten und unterstützen. Ein Metalhead, der zur Blutspende geht, könnte dabei ja noch eine Nachwuchsband hören. Da müssen wir mal sehen, was man machen kann. Oder Kids zur Musik zu bringen – das Wacken Music Camp. Wenn du da bei der Abschlussveranstaltung bist und die nach nur einer Woche Songs und wirklich handgemachte Musik präsentieren, und wenn der Bassist von Saxon, Nibbs nebst Kader dort Stunden gegeben hat, dann ist das einfach großartig. Ich will auch gar nicht sagen, was uns da wichtiger ist. Wenn wir jemandem, der todkrank ist, eine zweite Chance geben, weil wir einen Knochenmarkpender finden, das ist natürlich großartig, da kann ich persönlich aber wenig tun. Ich wünsche zumindest keinem, dass ich ihm das Blut abnehme (lacht).

Auf jeden Fall ist auch der Metal Battle dabei. Das ist ja schon eine Art soziales Projekt. Der Metal Battle ist auch ein absolutes Herzensprojekt von Holger und mir, weil das ja mehrere Komponenten beinhaltet. Einmal bringt das die ganze Welt zusammen – auf einem ganz anderen Level, genau wie das Festival. Aber der Metal Battle ist bei den geilen Promotern, die wir haben, eine Community in sich selbst. Mittlerweile haben wir da ja auch schon ein paar Bands entdeckt, wie Battle Beast zum Beispiel. Aber darum geht’s ja gar nicht, weil einige meinten, ob das sowas sein sollte wie „Deutschland sucht den Superstar“. Am besten haben das die Jungs aus der Mongolei und Ungarn damals im Wacken 3D-Film beschrieben. Man ist schon Gewinner, wenn man überhaupt da ist. Beim Metal Battle ist sicherlich noch ohne Ende Luft nach Oben. Da können wir noch ganz viel machen. Auch über die Metal Community hinaus. Auch wenn sich das jetzt nach ganz großem Pathos anhört: Das verbindet schon Länder und Nationen, die sonst wenig miteinander zu tun haben oder sich vielleicht gar nicht so gerne mögen und wo es sonst Konflikte gibt. Auf dieser Ebene haben wir Megaresultate. Auch, wenn du unser International Camp siehst, wo alle, die mit dem Bus kommen, zusammen campen und zum Teil über die Gräben von Wacken Brücken bauen – die Mexikaner mit den US-Amerikanern zum Beispiel – dann ist das schon ein Statement. Die beweisen, dass du aus einer Euro-Palette die besten Brücken bauen kannst. Das sind für mich Bilder gewesen, die kannst du mit Geld gar nicht bezahlen. Wenn du dann über das Jahr im Fernsehen oder in der Presse siehst, wie es sonst abgeht, und du im Vergleich dann siehst, wie es mit ganz einfachen Mitteln, wie einer Dose Bier, einer Bratwurst und einem gegrillten Maiskolben, auf einem ganz anderen Level funktioniert. Das ist auch das, was Wacken ausmacht und was jetzt allen so ein bisschen fehlt.

Was ist denn generell für dich das Besondere an den Metalheads?

Thomas: Die Community. Dass du so sein kannst, wie du willst und akzeptiert wirst.

Wir haben das Gefühl, dass ihr und das Wacken Open Air dazu beigetragen habt, dass Metal gesellschaftsfähig geworden ist. Wie siehst du das?

Thomas: Das ist ja immer so ein bisschen Fluch und Segen zugleich. Selbst ich als Subkultureller, der ich ja eigentlich gar nicht mehr bin, muss mich damit abfinden, dass ich weiß, dass ich über 50 bin. Das will ich eigentlich gar nicht wahrhaben. Ich fühle mich immer noch soziologisch gesagt als subkultureller Jugendlicher. Aber gerade das ist das, was für mich Rockmusik ausmacht. Ich höre ja auch alles von den 60ties bis zum modernen Zeug. Wenn ich jetzt Zielgruppe wäre, hätte ich da gar keinen Bock drauf. Auch wenn man ja vielleicht auch gemocht werden möchte, wollen wir doch dreckig, laut und gefährlich bleiben. Das ist ein bisschen ambivalent. Manchmal auf niederem Niveau, aber manchmal auch auf ganz hohem Niveau. Wir waren immer stolz auf unsere Bands, auf unsere Musik und auf unsere Fans. Diese Stereotypen. Wir wollen auch gerne mal überraschen. Wer Wacken kennt, der weiß, dass wir auch gerne mal für die eine oder andere Überraschung gut sind. Ich glaube auch, dass es in der Welt – auch wenn ich Schwarz-Weiß als Farbkombination irre liebe – irre viele Grautöne gibt. Diese Grautöne und diese Vielfalt herauszufinden ist das, was das Ganze ausmacht. Gerade die Vielfalt macht sehr viel aus – sei es nun in der Kulinarik, sei es in der Musik oder bei den Menschen. Ich will jetzt nicht den ganz großen Bogen zu Artenvielfalt spannen. Soweit habe ich ja noch gar nicht gedacht. Aber das ist einem ja über die Pandemie links und rechts um die Ohren gehauen worden, dass du für ein gesundes Leben eine gesunde Vielfalt brauchst. Ich hätte nie gedacht, dass die Dinge so eng beieinander liegen. Aber so ist es ja im Prinzip. Da ist man jetzt sowohl fasziniert als auch schockiert, welche Dimensionen das alles hat. Das willst du ja auch gar nicht auf einem Festival.

Unser Hauptmotiv ist eigentlich immer noch: Wir wollen eine Party für unsere Kumpels feiern. Das sind jetzt ja ein paar mehr geworden über die Jahre. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus. Und wenn ich jetzt auf einem Festival bin, in diesem Paralleluniversum, in diesem utopischen Raum, der da jedes Jahr entsteht, damit kann ich da natürlich auch ganz andere Sachen machen. Anfang des Millenniums kam mal die Diskussion auf, dass Wacken zu viel macht. Zu viele Bühnen, zu viele Bands, zu viel Drumrum. Für mich ist aber die Auswahlmöglichkeit ein Zeichen von Freiheit. Ich kann schon das Argument nachvollziehen, wenn Leute sagen, dass das eine Lawine ist und man sich besser fokussieren könnte. Aber dafür gibt es ja andere Events. Oder ich gehe auf ein Konzert von einer Band. Wenn ich Iron Maiden mit der neusten Produktion sehen will, dann kaufe ich mir halt ein Ticket. Holger ist da noch viel extremer als ich. Er lädt ja seine besten Kumpels auf musikalische Weltreisen ein. Wo die überall schon waren. Ich habe ja kleine Kinder. Holgers Tochter studiert ja schon. Der hat ein bisschen mehr Zeit und Freiräume. Aber wir sind nach wie vor auch Fans. Wir wollen auch die Rebellion nicht verlieren. Rockmusik muss auch rebellisch bleiben.

Ihr habt auf dem W:O:A sehr viel in Richtung Inklusion gemacht, damit jeder teilnehmen kann. Metallplatten für Rollstuhlfahrer zum Beispiel.

Thomas: Das ist ja das Credo: Jeder soll die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen. Ich weiß natürlich auch, dass das Festival sehr teuer ist. Aber wir gucken auch immer noch nach Möglichkeiten. Wenn sich zum Beispiel jemand das Christmas-Ticket ergattert, dann hat er schon das T-Shirt mit dabei. Für eine Woche Urlaub ist es, wenn du es in Relation setzt, noch relativ wenig Geld. Gut, wenn du natürlich richtig Party machen willst, wird es schon wieder richtig teuer. Aber, wie gesagt, ist unser Credo, dass jeder die Möglichkeit haben soll. Es gibt zum Beispiel auch ganz tolle Aktionen von Nils Christiansen mit seiner Facebook-Gruppe. Die haben Kohle gesammelt und das Geld dann in Tickets investiert. Holger und ich haben dann ein bisschen Taschengeld draufgepackt. Das ist zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn du alle Ungerechtigkeit der Welt beseitigen willst. Aber immerhin zeigt das: We care about Metal.

Unser Grundmotiv ist auch, Leute zusammenzubringen. Am liebsten über Generationen, aber auch über Grenzen hinweg. Das ist das, was sich für mich so die letzten Jahre …. Keine Ahnung, ich weiß nicht ob das durchs Alter kommt, aber auch viel durch Journalisten, das muss ich ja auch mal sagen, durch unsere Jubiläen, erstmal der 25. Und dann das 30-jährige, wurden wir viel gefragt, warum Wacken so erfolgreich ist und was das ausmacht. Man kommt irgendwie darauf, … bei mir muss das jetzt ein anderer analysieren, aber wenn ich einen Typ wie Holger analysiere, seit ich Holger kenne, versucht der auch Leute zusammenzubringen und auf Veranstaltungen zu gehen. Dann werden da Bustouren organisiert. Dann hat er Karten besorgt. Das macht er nach wie vor. Das macht er für den Wackener Fussballverein. Also, dieses Leutezusammenbringen – manchmal ist das auch Netzwerken – bei Holger ist das Motiv aber eher Leute zusammenzubringen und auch verschiedene Leute zusammenzubringen. Das zieht sich auch wie der berühmte rote Faden durch das Festival. Das sieht man auch am T-Shirt „Wacken World Wide“. Ich weiß gar nicht wie alt es ist, aber das gibt es wohl schon 15 Jahre. Ein schwarz-weißes T-Shirt. Dieses Motiv passte für die Digitalisierung in der Pandemie, und als wir die Idee für das WWW – World Wide Wacken hatten. Die Gedanken waren immer schon da. Der Metal Battle ist aus dem gleichen Gedanken heraus entstanden. Wir driften dann immer mal in die eine oder andere Richtung ab, aber am Schluss bringen uns die Fans zurück oder der Wind oder was auch immer.

Sind in Sachen Inklusion denn noch weitere Maßnahmen geplant?

Thomas: Klar, das ist ja ein Ongoing Process und wird  nie aufhören. Interessant waren zum Beispiel Versuche, Musik für Gehörlose erfahrbar zu machen. Wenn ich mit meinen Kopfhörern so weitermache, bin ich auch bald dabei (lacht). Bei der Bundeswehr haben sie damals festgestellt, dass auf der linken Seite, mit der ich immer zur Box stand beim Bass-Spielen, mittlerweile etwas fehlt.

Aber das ist natürlich auch gesellschaftlich interessant. Da können wir vielleicht auch helfen. Wir können Öffentlichkeit herstellen, wie wir es zum Beispiel bei der Blutspende gemacht haben. Aber uns interessieren solche Konzepte aber auch. Wie kann ich das, was ich liebe, für andere erfahrbar machen, die anders unterwegs sind oder für einen Blinden zum Beispiel. Von Jens Rusch kommen da ja tolle Bilder. Blind Guardian oder der crowdsurfende Rollstuhlfahrer. Das sind Dinge, die ich noch gar nicht so gesehen habe. Und das ist natürlich das Spannende, dass wir mit so geilen Leuten sowas machen dürfen. Und mit geilen Leuten meine ich nicht nur die Leute auf der Bühne, sondern vor allem auch die Leute vor der Bühne. Und natürlich auch unser Team. Da kommen natürlich auch immer viele Gedanken. Ein Mitarbeiter von uns hatte mal einen Unfall und heute betreut er genau diesen Bereich mit ganz viel Herzblut. Wir werden das immer weiterentwickeln, aber beim Thema Inklusion steht die gesamte Gesellschaft ja gerade erst am Anfang. Auf die Frage „Was könnt ihr noch machen?“ könnte ich sagen: „Alles“. Ich weiß natürlich auch, wie die Rollis im Schlamm stecken geblieben sind. Wir sind auf einer landwirtschaftlichen Fläche. Aber da haben ja zum Glück auch die Fans geholfen. Es gibt ja die eindrucksvollen Bilder, wo Rollis auf Händen getragen werden. Auch diese Bilder – eines davon benutzen die bei Metality ganz intensiv – versinnbildlichen das, was man mit dieser Community erreichen kann. Der „König von Wacken“ ging ja jetzt auch gerade durch die Presse. Er konnte uns 2019 auch noch einmal besuchen. Das sind natürlich Highlights. Wir hatten auch mal Wachkomapatienten in Krankenbetten bei uns. Dazu gibt es auch einen NDR-Betrag. Das war sehr bewegend. Wenn wir bei so etwas mitmachen dürfen, machen wir das natürlich auch. Und wenn das Leuten Hoffnung gibt oder Spaß macht –Hauptsache das Ganze macht Spaß. Ist doch so. Wir sind ja im Entertainment-Bereich. Ich finde, dass das auch kein Schimpfwort ist. Dafür sehe ich uns auch zuständig. Und wir wollen alle hier haben. Aus allen Ländern, alle Gender, mit Bein, ohne Bein, egal.

Wie stellst du dir ein Cradle-to-Cradle-Festival, also ein absolut nachhaltiges Festival vor?

Thomas: Wo alles irgendwie in einem Kreislauf wiederverwertbar ist. Wo die Felder dadurch, dass wir da sind, eher besser werden. Spannenderweise kann man da alleine durch die Auswahl von Materialien ganz viel beeinflussen. Da sind wir aber noch ganz weit zurück. Noch viel weiter zurück als bei der Inklusion. Am Anfang dachten wir, dass das mit dem Müllsammeln schon schön und gut ist. Aber wenn sich viele Menschen treffen, wird auch was hinterlassen. Wacken steht ja auch für Freiheit. Deswegen wollen wir da auch nicht überall Verbotsschilder haben. Aber wenn wir es mit den richtigen Materialien und den richtigen Ressourcen hinkriegen, sollte ein Cradle-to-Cradle möglich sein. Wir haben uns ja auch das Ziel gesetzt in den nächsten zehn Jahren dahingehend richtig viel zu bewegen. Ich denke, wenn wir alle mithelfen und das ganze Team sich damit beschäftigt – die Fans haben es ja schon bewiesen. Wir hatten ja 2019, also bei der letzten stattgefundenen Edition, diesen Hashtag #greenwacken. Es war unglaublich, wie die Felder ausgesehen haben. Im Stern war jetzt was drin über ein Festival in Leeds. Bei uns gab es Campgrounds, da hat die Kolonne gedacht, die Müllsammler seien schon da gewesen. Das war unglaublich. Die Bilder gibt es auch immer noch auf Instagramm unter #greenwacken. Und dazu gab es keine große Marketingkampagne. Das war keine Riesenaktion. Das war unser Kommunikationsteam mit den Fans zusammen und echt organisch. Das ist aus sich selber heraus entstanden. Absolut irre. Das zeigt mir, dass es da ganz viel Bereitschaft gibt. Und wenn wir da die richtigen Impulse kriegen, …. Wir müssen natürlich noch einen Haufen lernen und das eine oder andere Buch lesen (lacht). Ich weiß gar nicht, wann Holger den Claim hatte „Save the Holy Ground“. Den gibt es ja auch schon ewig. Wir sehen das genau in dieser Tradition. Das hat nichts mit dem Wahlkampf zu tun oder weil alle das gerade so machen. Es ist auch gut, dass das alle machen. Es ist ja ein ganzes Stück weit mehr ins Bewusstsein gerückt. Unsere Motivation war am Anfang natürlich auch, die enormen Müllkosten in den Griff zu kriegen. Aber das ist ja auch unsere Heimat und  unsere Felder. Die Felder sind so wichtig für die Community, da muss man schon drauf aufpassen. Aber es hat ja jeder sowieso Interesse daran Ressourcen zu schonen, denn sie sind endlich. Mark Twain hat gesagt: „Buy land. They are not making any more.“ Man muss kein großer Philosoph sein, um zu erkennen, dass die Ressourcen irgendwann alle sind. Und wer Kinder hat, hat natürlich auch eine Verpflichtung, etwas übrigzulassen. Wir können nicht den ganzen Kuchen aufessen. Jetzt gerade redet jeder über „Sharing Communities“. Da sage ich: Das haben wir alles schon. Wenn du nachts rumläufst und dein Zelt nicht findest, kriegst du überall ein Bier. Das ist die geilste Sharing Community. Da können sich in den Metropolen alle an die Füße fassen. Gut, es ist nicht alles Gold was glänzt. Obwohl eigentlich schon (lacht). Es ist aber auch dabei noch Luft nach oben. Wir haben aber ganz viele Elemente. Wir haben diesen Zusammenhalt. Ein ganz natürliches Verhalten der Fans untereinander. Natürlich gibt es da auch immer mal das eine oder andere Problem. Aber es ist ja so viel schon da. Und dann glaube ich: Wer, wenn nicht wir, sollte diese Probleme in den Griff kriegen. Wenigstens als kleine Utopie oder als Vorschlag, denn das würde ja auch schon helfen. Als Vorschlag an den leise-Musik-hörenden Rest der Gesellschaft (lacht).

Die Gesellschaft kann also etwas von uns Metalheads lernen?

Thomas: Ja, wenn sie will. Am Ende soll das ja auch noch Spaß bringen. Das darf man auch nicht vergessen. Aber wenn du sechs Tage in Wacken bist, hast du ja noch über 350 Tage Zeit dir philosophisch Gedanken zu machen. Dann kann man ja auch erst mit allen Themen umgehen. Aber in Wacken muss das ganze Ding Spaß machen. Es muss Rock’n’Roll sein, sage ich mal. Wenn das alles zu kompliziert wird, hat ja keiner mehr Bock drauf. Es muss auch ein bisschen ballern. Wenn es nicht ballert, ist das auch scheiße.

Interview: Lydia Polwin-Plass und Michael Glaeser

Headerbild: Pressebild ICS

Lydia Dr. Polwin-Plass

Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de