Interview mit Victor Smolski (Almanac, Rage, Lingua Mortis Orchestra, Mind Odyssey, etc.) Teil 1
InterviewsNeue Scheiben, Film- und BuchtippsNews 3. März 2022 Lydia Dr. Polwin-Plass
Ich habe letzte Woche ein weiteres Interview mit Gitarrenhexer Victor Smolski geführt. Das Interview werde ich in drei Teilen veröffentlichen, wobei die ersten beiden heute und morgen erscheinen werden. Und der dritte erst in einigen Monaten. In diesem interview spricht Victor unter anderem über handgemachte Musik, wo dies im Metal zum Teil nicht mehr der Fall ist und über Crossover Projekte zwischen Klassik und Metal.
Hallo Victor, schön dich wiederzusehen.
Welche Projekte hast du aktuell am Start?
Victor: Dieses Jahr ist meine neue Solo CD an der Reihe. Die ist auch schon fast fertig. Das ist so eine Art Best of meiner instrumentalen Solosongs, auch Rage- und Almanach Songs. Das Album wird dieses Jahr noch veröffentlicht via Massacre Records. Das Label gehört zur AFM Familie. Wir haben mit ihm einen neuen Vertrag abgeschlossen. So gehören auch meine älteren Scheiben zu dieser Label Familie. Das passt ganz gut, so kann man die älteren Sachen auch ein bisschen auffrischen.
Und es ist ein neues Hörspiel geplant. Es macht mir Riesenspaß die Musik als Stimmungsmacher einzusetzen und damit Atmosphäre zu schaffen.
Ist Metal immer noch handgemachte Musik?
Victor: Als ich in den 90er-Jahren aus beruflichen Gründen nach Deutschland gekommen bin, faszinierte mich dieses mittlere Niveau der Lebensqualität. Und genau das macht Menschen glücklich. Mittlerweile gibt es aber diese Mitte nicht mehr, denn die Arm-Reich-Schere ist extrem auseinandergegangen. Das ist eine wirklich grausame Entwicklung. Für Musiker ist die Zeit gerade sehr schlecht. Mir fällt es als Lehrer extrem schwer, jüngere Musiker zu motivieren, professionell und nicht nur als Hobby Musik zu machen, da die Perspektiven in Bezug auf Verträge mit Plattenfirmen, Verkäufe von CDs, Schutz der Urheberrechte, etc. sehr schlecht sind. Sehr berühmte Bands haben es etwas leichter aber für kleinere oder mittelständische ist es äußerst schwierig. Und das betrifft die gesamte Kultur, auch Schauspieler und andere Kulturschaffende.
Ich finde auch, was im Fernsehen geboten wird, ziemlich problematisch, denn es gibt kaum mehr Bildungsfernsehen, sondern nur mehr Schrott. Und auch was auf den sozialen Medien teilweise geboten wird, empfinde ich als sehr schlechten Trend. Und genauso ist es zum Teil mit den Ausbildungen. Für die Menschen wird es immer schwerer zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden.
Ganz schlimm finde ich, dass es inzwischen Bands gibt, die mit Play-back arbeiten. Kein Problem habe ich damit, wenn Leute Play-back verwenden für Orchesterparts, große Chöre, Effekte oder Instrumente, die nicht live auf der Bühne anwesend sind. Zum Beispiel auf Club-Tours kann man kein Orchester mitnehmen. Da lässt sich Play-back nicht vermeiden.
Aber wenn ich dann sehe, dass größere Bands gar nicht wirklich spielen, sondern Play-back und Spuren von Studiotracks benutzen, dann finde ich das wirklich schlimm. Und was ich noch schlimmer finde, ist dass das Publikum dann teilweise den Sound von solchen Bands als besonders gut bewertet, während sie Bands, die wirklich live spielen dann als schlecht empfinden. Es ist aber nicht schwer dicken fetten Sound im Studio zu produzieren. Live hingegen ist es viel schwieriger. Und dieser Fake-Sound beeinflusst das Publikum. Es mag diesen fetten Sound. Wenn dann danach eine Band auftritt, die wirklich live spielt, hat sie gegen diesen Studio-Sound keine Chance. Live-Sound ist nie mit Studio-Qualität gleichzusetzen.
So werden Live-Performances zu Diskotheken und dieses Live-Gefühl von früher, als jede Band ihren eigenen Sound mitbrachte, geht immer mehr verloren. Man hat sofort gemerkt, wie die Musiker alle an bestimmten Tagen drauf sind, manchmal gut und manchmal weniger gut. Und so gab es immer diese Spannung, ob die Band einen guten oder einen schlechten Tag hatte. Und jede Band hat anders geklungen. Heute, auf den großen Festivals, klingen die Headliner sehr oft gleich, weil sie fast alle mit der Unterstützung von Extraspuren arbeiten. Das ist sehr schade, denn es bedeutet das Ende der echten Live-Musik.
Das macht mich sehr traurig. Ich habe sogar schon Gitarristen gesehen, die ganz andere Griffe gespielt haben, als es aus der Box herausschallte. Auch wenn der Sänger vom Mikro weg geht und die Stimme ist immer noch genauso laut, dann ist es eindeutig.
Als ich mit Lingua Mortis in Wacken spielte, hat uns das Publikum verglichen mit Nightwish, die ohne Orchester sondern mit Orchesterklängen vom Play-back aufgetreten sind. Wir hingegen haben mit 60 oder 70 Leuten live auf der Bühne gespielt ohne Soundcheck, was normalerweise eigentlich unmöglich ist. Und unser Sound wurde kritisiert, weil er nicht so fett war wie der Sound von Nightwish. Aber das ist klar, im Studio klingt immer alles fetter. Am fettesten ist der Sound, wenn ich einfach eine CD auf der Bühne abspiele, aber das hat nichts mehr mit Live-Musik zu tun.
Möchtest du mir ein bisschen etwas zu deinem Projekt „The Heretic“ erzählen?
Victor: ja, da habe ich sehr viel klassische Musik gespielt mit klassischen Philharmonieorchestern und Gitarre und da kam mir die Idee zu einem Hörspiel. Ich hatte sehr viele Angebote auf dem Tisch von verschiedenen Radiosendern für die Produktion von Hörspielen. Vor allem von russischen Sendern und am Ende habe ich in drei Sprachen produziert: Deutsch, Englisch und Russisch. Das war ein sehr interessantes Projekt komplett basierend auf klassischer Musik. Dabei wurde die E-Gitarre zu einem Teil des Orchesters. Mittlerweile habe ich auch schon ein paar andere Hörspiele gemacht – das fasziniert mich sehr. Man kann damit so schön Atmosphäre erzeugen, mit Texten und Geschichten. Ich habe für die Texte viel in Archiven recherchiert, und Mike hat dann auch noch die ideale Stimme dazu geliefert. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Sehr spannend!
Durch dieses Stöbern in Archiven, kam ich dann auch auf die Bach-Idee. Dabei habe ich auch Informationen entdeckt, die man in Büchern nicht zu lesen bekommt. Über Mozart, Bach, deren Privatleben, etc.
Was ich vorher nicht wusste, auch damals wurde schon ziemlich viel Musik geklaut. Da haben Leute in der einen Kirche irgendetwas gehört, sind in eine andere Stadt gefahren und haben es dort unter ihrem Namen verkauft. Sowas wie Urheberrechte oder den Schutz durch die GEMA gab es damals noch nicht.
Interessant ist auch, wie das damals geschäftlich gelaufen ist. Bach war zu Lebzeiten überhaupt kein Rockstar, im Gegenteil man kannte ihn kaum. Sein Bruder war sogar viel erfolgreicher als er. Und sogar seine Kinder galten damals schon als cooler als er selbst. Erst lange nach seinem Tod entdeckte man seine Orgelübungen und Kompositionen. Und dann gab es plötzlich einen Hype um ihn. So ging es vielen Komponisten. Auch Albinoni wurde plötzlich mit einem Hit zum Superstar. Und alle anderen Werke kennt dann kein Schwein.
Ob ein Werk populär wird, hat oft mit dem Werk selber gar nicht so viel zu tun. Das liegt eigentlich mehr in der Hand der Plattenfirmen, am richtigen Zeitpunkt, der Fangemeinde und an der PR. Eigentlich gibt es viele Bands, die sich viel mehr Erfolg verdienen würden. Auf der anderen Seite gibt es große Stars, die vielleicht qualitativ gar nicht so viel zu bieten haben.
Welches Crossover Projekt zwischen Klassik und Metal findest du persönlich besonders spannend?
Victor: Da gibt es viele spannende Projekte. Zum Beispiel von Metallica ist unglaublich professionell gemacht. Dahinter steckt natürlich auch viel Geld und der große Namen von Metallica. Dazu kommt natürlich auch noch, dass die Songs alle riesen Hits sind. Wenn man Hits bei Konzerten hört, achtet man weniger auf den Sound, denn man hat den Klang ja schon im Kopf, also klingt er immer gut. Auf jeden Fall ist es von Michael Kamen sehr gut arrangiert. Das Arrangements und auch die Orchesterarbeit waren unglaublich toll. Was ich nicht so toll fand, war die Zusammenarbeit von Metallica mit dem Orchester bei Live-Auftritten. Sie haben viel zu stark ihr eigenes Ding abgezogen. Das war für mich kein richtiges Zusammenspiel. Metallica haben ihre Songs gespielt und das Orchester hat versucht Metallica zu folgen. Ich glaube Metallica waren diesem Projekt nicht zu 100 % gewachsen. Da gab es andere, die das viel besser gemacht haben. Wie zum Beispiel das Trans Sibirien Orchestra.
Aber bei vielen Projekten war die Mitarbeit Externer total wichtig. Ohne Michael Kamen hätte das nicht funktioniert. Leider gibt es sehr wenige Musiker, die sowas selbst arrangieren. Auch Blind Guardian brauchen dafür immer einen externen Gastmusiker, der sowas umsetzt oder sein Wissen beisteuert.
Einige progressive Metal Bands können sowas. Symphony X oder Dream Theater zum Beispiel. Das ist sehr hohes Niveau und jeder Musiker weiß genau was er macht. Äußerst professionell. Auch wenn sie vielleicht nicht mit Orchestern auftreten, sind ihre Arrangements genial. Einige haben auch klassische Ausbildungen. Und das merkt man: keine schiefen Töne, alles passt zusammen, die Gitarrenläufe sind perfekt abgestimmt. Alles perfekt durchdacht.
Ich versuche meinen Schülern beizubringen – und gerade seit Corona – habe ich extrem viele tolle Musiker dazugewonnen – dass es nicht um die Geschwindigkeit beim Spielen geht, sondern vielmehr um die Musikalität. Musik verstehen, Musik genießen, komponieren, gut zuhören und diese unglaublich spannende Welt zu entdecken.
Ist Komposition Teil der Ausbildung in der Schule in der du unterrichtest?
Victor: Ja, genau. Songwriting, Arrangieren, Komponieren, all das sind Bestandteile der Ausbildung. Wir tauschen Tracks, komponieren miteinander, Ich maile den Schülern Spuren und sie müssen dazu etwas Eigenes beisteuern. Am meisten geht es um den Spaß an Musik, und gar nicht stil-gebunden. Da gibt es auch eine tolle Schule, die in Kombination mit indischer Musik, die sehr beruhigend ist, spacige Musik macht. Damit werden sogar Schlafstörungen bekämpft und andere Probleme. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie Leute Musik wahrnehmen.
Ich vergleiche das immer gerne mit dem Lesen von spannenden Büchern. Das kann man auch nicht so nebenbei, beim Kochen oder Fernschauen machen. Sondern man konzentriert sich auf eine Sache. Genau so funktioniert es mit der Musik. Wenn man Musik hört, muss man in einer bestimmten Stimmung sein und Bock darauf haben, um sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich genießen zu können. Klar gibt es auch gute Laune-Hintergrundmusik, die man so nebenbei hören kann, aber es gibt sehr viel Musik, wo man genau zuhören und tief in sie eintauchen muss. Musik zum Träumen, Musik, die Tiefe hat.
Manchmal hab` ich das Gefühl, dass heute junge Menschen sich oft durch ihre Kopfhörer mit Einzelsongs zuballern, aber sich nicht in ganze Alben hineinfallen lassen. Einige Songs muss man aber auch öfters hören, um sie wirklich zu verstehen und zu mögen. Manche funktionieren gleich beim ersten Mal, manche aber auch erst, wenn man sich mit Ihnen befasst. Und diese Zeit sollte man sich nehmen. Die Musik ist eine derartig tolle und umfangreiche Welt, sie ist es wert, dass man sich mit ihr beschäftigt und auf Entdeckungsreise geht.
Und Livemusik funktioniert am besten, wenn man sieht was man hört. Das ist zwar im Moment schwierig. Ich versuche zum Beispiel meinen kleinen Sohn immer auf Konzerte und Proben mitzunehmen, damit er dieses Gefühl kennen lernt und mitbekommt, wie Musik entsteht. Wenn man zum Beispiel sieht, wie ein Schlagzeuger den Rhythmus erzeugt oder auf einem Cello die Musik durch die Finger auf dem Hals und das Streichen mit dem Bogen entsteht. Oder wie man durch das Zittern mit den Fingern Vibrato erzeugt. Wenn man das sieht, speichert man das Gelernte viel besser. Um Einblick zu bekommen, ist ein besseres Verständnis schon sehr wichtig.
Interview und Foto: Lydia Polwin-Plass
Den zweiten Teil könnt ihr morgen auf Metalogy lesen.
Lydia Dr. Polwin-Plass
Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de