Interview mit Nils Bade, DRK Kaltenkirchen – zuständig für das Wacken Open Air
InterviewsNews 6. Oktober 2022 Lydia Dr. Polwin-Plass
Im Interview für unser Buch „Wacken – Das perfekte ParallelFür unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ erzählte uns Nils Bade vom DRK Kaltenkirchen über die Freundlichkeit der Metalheads und die Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort.
Hallo Nils, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst. Wie du weißt, veröffentlichen wir ein Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene, erklärt am Beispiel Wacken. Könntest du dich kurz vorstellen und erzählen, was du beim DRK Kaltenkirchen machst und was du mit dem W:O:A zu tun hast?
Nils:Also, 2004 hat das DRK Kaltenkirchen den Sanitätsdienst im Rahmen des Wacken Open Air übernommen. Bis dato hatte das eine andere DRK-Organisation gemacht. 2004 sind wir mit Holger zusammengekommen, da war der Nils S. noch mit dabei, und dann haben wir das Ganze übernommen. Ich war damals Bereitschaftsmitglied und Nils S. war Bereitschaftsleiter. Das war irgendwie eine relativ kurzfristige Nummer. Im März oder April, hieß es, dass wir im August mal eben dieses Festival machen sollten. Zur damaligen Zeit war es noch nicht so groß, ca. 45.000 Leute. So haben wir damals innerhalb kürzester Zeit das Wacken Open Air vom Bereich des Sanitätsdienstes her aufgebaut. Mittlerweile bin ich Bereitschaftsleiter. Den Nils S. gibt es im Rahmen der Bereitschaft nicht mehr bei uns. Während des Wacken Open Air koordiniere ich den gesamten Bereich des Lagers, der Logistik und dergleichen. Das ist mein Hauptaufgabenbereich. Ich bin aber auch dementsprechend seit dem ersten Tag dabei und aus der Runde der Helferschaft und der Organisatoren bin ich der Einzige, der seitdem – also seit 2004 – durchgängig dabei ist. Ich bin gleichzeitig noch Schatzmeister im DRK-Ortsverein und auf Grundlage dessen mache ich mit dem Jürgen S. zusammen die Vorstandsebene, die während des W:O:A auch entsprechend zugange ist.
Wieviele Einsatzkräfte gibt es bei euch im Ortsverein und wieviele kommen auf dem W:O:A zum Einsatz?
Nils: Wir fahren mit 500 bis 550 Helfern zum W:O:A. Das geht aber nicht nur vom Montag bis zum Sonntag, sondern wir fangen im Schnitt eine Woche früher mit dem Bühnenaufbau an, der unsererseits abgesichert wird. Und auch im Nachgang, wenn wir alle am Sonntag heimfahren, bleiben einige Besatzungen bis Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag, bis der Bühnenabbau soweit erledigt ist, vor Ort. Wir fahren etwa 18.000 Dienststunden für ein W:O:A vor Ort mit unseren Helfern. Das ist eine relativ große Zahl. Man muss aber sagen, dass diese 18.000 Dienststunden bei uns über alle Bereiche gelten. Wir haben ja unsere eigene Kücheneinheit dabei. Wir machen unser Catering also selber. Ganz am Anfang hatte das Wacken Open Air uns noch mitversorgt. Das gab aber immer Diskrepanzen. Wenn nachts um 2 oder 3 Uhr die Roadies ins Bett gingen, haben unsere Leute noch 5 bis 6 Stunden Dienst. Die wollen dann nachts um 1 Uhr natürlich ganz normal essen. Das war immer ein Riesenproblem, auch wenn es Kleinkram ist. Wir waren 2 Jahre mit beim Festival im Catering und dann haben wir überlegt, wie wir das anders hinkriegen könnten. Dann wurden wir gefragt, ob wir das selber organisiert bekommen und seit damals – 2006 oder 2007 – nahmen wir dann unsere eigene Kücheneinheit mit. Wir haben also unsere eigene Küche mit dabei. Wir haben unser eigenes Office-Team mit dabei. Wir haben unsere Lager- und Logistik-Einheit, von der ich der Vorturner bin und natürlich den Sanitätsdienst. Und wir haben auch eine eigene Presse-Abteilung mit dabei, die eine eigene Wacken Open Air Sani-Seite und eine tägliche Zeitung macht, damit die Leute immer informiert sind, was anliegt, was anlag oder wieviele Patienten wir versorgt haben.
Warst du komplett von Anfang bis Ende mit dabei?
Nils: Meistens komme ich am Freitag vor dem Festival an und ich fahre meistens sonntags nach Hause. Wobei ich das große Glück habe, dass ich nur 20 Kilometer entfernt wohne. In Itzehoe. Für mich ist das also immer ein halbes Heimspiel. Meistens bin ich dann Freitag, Samstag und Sonntag nur tagsüber da und ab Montag, wenn die Festival-Besucher kommen und für uns der Großkampf beginnt, bin ich 24 Stunden im Schnitt da. Ich habe einen kleinen Wohnwagen, in dem ich mich dann ausruhen und nächtigen kann.
Wo übernachten denn die Einsatzkräfte?
Nils: Das Gros übernachtet auch dort. Da muss man sagen: Wir haben jedes Jahr über 1.000 Bewerbungen auf diesen Sanitätsdienst. Wir nehmen aber nur 550 mit, mal 530 oder 570, abhängig davon, wie die Schichten gebucht werden. Die kommen aus ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz, Holland, Dänemark. Von überall her kommen die dann zu einem, wie wir es liebevoll nennen, „Familientreffen“ nach Wacken. Einige schlafen im Zelt, einige im Wohnwagen oder Wohnmobil und das Gros schläft in der Turnhalle in Wacken in der Nähe vom Gelände. In der Turnhalle wird mit knapp 300 Leuten genächtigt. Das ist natürlich sehr laut und eher schlafraubend.
Wie wird denn entschieden, wer mitkommt?
Nils: Wir suchen immer eine gute Mischung aus. Natürlich gibt es Keypoints, bei denen du froh bist, wenn du den vom letzten Jahr wieder dabeihast. Gewisse Heads setzen wir unsererseits schon. Die bewerben sich natürlich, und wir nehmen sie dann auch an. Beim Rest gilt bei uns immer noch: Wer zuerst kommt, malt zuerst. Wir starten im Schnitt normalerweise im Dezember mit unseren Anmeldungen – und so war es auch beim letzten Mal 2019 so – sind innerhalb von 14 Tagen 70 bis 80% der Dienste besetzt. Chance hat bei uns jeder, der eine entsprechende sanitätsdienstliche Ausbildung hat. Bewerben kann man sich bei uns über ein Internetportal. Das läuft dann über die www.drk-kaltenkirchen.de-Seite. Da ist dann ein Wacken-Schädel und wenn du draufklickst, kannst du dich bewerben und erfährst dann irgendwann, ob du dabei bist oder nicht. Du musst natürlich deine Personalien angeben und deine Qualifikationen hochladen. Und dann kannst du halt nur hoffen, dass du genommen wirst. Das ist halt das Thema dabei.
Deckt ihr das Dorf eigentlich auch mit ab?
Nils: Ja, jahrelang haben wir das Dorf mit Fußstreifen oder Fahrzeugen gemacht. Seit zwei Jahren gibt es jetzt aber die Unfallhilfestelle „Dorf“ an der Duhorn-Apotheke. Da stellen wir eine Sanitätsstation, das ist ein 6-Meter-Container bzw. eine große mobile Sani-Station. Seitdem wird auch das Dorf unsererseits mit abgedeckt.
Gibt es Dienste, die besonders beliebt sind? Können die Bewerber Wünsche angeben?
Nils: Nein, das ist gar nicht machbar. Wenn jemand unbedingt Bullhead City oder Bühne machen möchte, ist das einfach schwierig, weil der Aufgabenbereich sehr umfangreich ist. Es macht überhaupt keinen Sinn, einen auf ein Quad oder ein KTW zu setzen, der das Gelände nicht kennt. Da macht es Sinn, jemanden im ersten Jahr erstmal mit einem alten Hasen hinzusetzen und sie zusammen fahren zu lassen. Im Folgejahr kann der das dann vielleicht alleine machen. Wenn es heißt, dass zum Beispiel am Duschcamp C was los ist, dann wissen die alten Hasen ganz genau, wie sie da querfeldein hinkommen. Unsere Quad-Jungs wissen einfach wie sie auf dem schnellsten Weg zu diesem Duschcamp kommen. Ein neuer müsste sich über die Pläne erst einlesen. Gerade an den ersten Tagen. Daher können wir sagen, wo jeder eingeteilt wird. Man kann sich für Küche, Technik oder Sanitätsdienst bewerben. Aber in den einzelnen Abteilungen kann man vorher nichts genau sagen. Das hängt auch vielfach von der fachlichen Qualifikation ab. Ich bin zum Beispiel ein ganz großer Freund von Krankenschwestern und Krankenpflegern. Die sind super Personal. Die machen natürlich bei uns am Behandlungsplatz am meisten Sinn, weil die Fuß- und Handverbände par excellence machen. Da sind Rettungssanitäter oder Rettungsassistenten nicht so gut, weil die mehr für das Notfallmedizinische da sind. Krankenschwestern und Krankenpflegern sind bei uns diesbezüglich natürlich viel besser im chirurgischen Bereich untergebracht. Es gibt natürlich trotzdem immer wieder Wünsche, die man auch gegebenenfalls berücksichtigen kann, aber wir versprechen nichts.
Ihr habt auch Leute aus anderen Ländern dabei. Wird bei euch Deutsch gesprochen oder auch Englisch?
Nils: Primär wird deutsch gesprochen. Bei den Schweizern ist es ganz spannend. Das sind meistens Deutsche, die in die Schweiz gegangen sind. Ich erinnere mich da gerade an einen Notarzt, der irgendwo in einem Spital arbeitet, aber schon seit Jahren zu uns kommt. Eine unserer Größten ist unsere Wilhelmine, die aus Belgien kommt und perfekt Holländisch, aber auch Deutsch spricht. Es gibt ja hier und da einen Holperer, aber sprachlich ist das kein Problem. Unsere primäre auf dem Behandlungsplatz ist also Deutsch. Aber jeder Mitarbeiter hat eine Identifikationskarte (Anmerkung: Er zeigt uns seine von 2014.) auf der es unten eine Länderkennung (Flaggen) gibt. Das haben wir mit den diversesten Ländern und dabei geht es darum, welche Sprachen der Mitarbeiter kann. Die Sprachen werden also einfach da drauf gepostet. Schwedisch, Holländisch, Englisch, Französisch. Jeder Mitarbeiter hat die Karte auch immer so zu tragen, dass man die auch sehen kann. Unsere grundsätzliche Sprache auf dem Behandlungsplatz ist also Deutsch und für die Patienten können wir die Sprachoptionen über die Länderkennung darstellen. Ansonsten haben wir noch eine relativ große Sammlung über 25 Sprachen, wo man einen Querverweis machen kann, wenn einem zum Beispiel das Bein weh tut. Es gibt ja doch immer mal wieder Sprachen, die wir nicht so alltäglich auf dem Behandlungsplatz finden.
Wie war es für dich, als du das erste Mal in Wacken warst?
Nils: Ein kultureller Schock. Musikalisch komme ich überhaupt nicht aus der Richtung. Zumindest zu damaliger Zeit. Meine Jugend war sehr elektrolastig. Als es dann 2004 hieß, dass wir das Wacken Open Air machen – da war ich 25 oder 26 – dachte ich, dass man das ja mal versuchen könnte. Dann habe ich mich der ganzen Sache ein bisschen genähert. Wenn ich mit den Bands komme, die ich jetzt höre, finden die Metalheads das eher softrockig. Volbeat und Metallica. Das ist für mich zumindest schon mal ein Schritt in diese Richtung. Ich bin also nicht mehr komplett außen vor. Aber das erste Mal war für mich ein Kulturschock. Ich hatte vorher noch nie ein Festival mitgemacht. Aber als ich das erste Mal durch diese Hecke gegangen bin – unser Sanitätsbereich liegt ja am Vorplatz gleich links bei den Geldautomaten – und das erste Mal am Mittwoch oder Donnerstag dieses Infield gesehen habe, auf dem 50.000 Leute tobten, da war das schon sehr beeindruckend. Für uns war es natürlich gut, dass sich das W:O:A langsam aufgefüllt hat. Der Platz wurde langsam voller – von Montag auf Dienstag auf Mittwoch. Aber wenn du dann das erste Mal am Donnerstag die volle Dröhnung im Infield mitgemacht hast, da warst du erstmal ein bisschen platt. Also ich zumindest. Aber da ich nun schon seit 2004 dabei war, habe ich natürlich schon viele volle Infields gesehen. Das W:O:A ist schon ein bisschen zum Wohnzimmer geworden.
Wie war es für dich, als du das erste Mal mit den Metalheads in Kontakt kamst?
Nils: Ich komme aus dem Rettungsdienst. Ich bin auch zu der Zeit schon mehrere Jahre Rettungsdienst gefahren. Einen Metalhead hattest du immer schon mal gesehen auf irgendwelchen Dorfveranstaltungen oder ähnlichem. Aber in dieser großen Zahl habe ich sie irgendwie lieben gelernt, weil die Metalheads in meinen Augen ein superfriedvolles Volk sind. Die sind lieb, nett, freundlich und kümmern sich auch um den Nächsten. Und das ist etwas, was ich absolut schätze. Das hast du in vielen Szenen nicht. Da bleiben die Jungs mal liegen. Da wird sich nicht drum gekümmert. Aber bei den Metalheads werden die (gefühlt) immer mitgenommen, unter den Arm genommen, irgendwo hingesetzt und jemand achtet auf sie. Das hast du bei einigen anderen Szenen nicht. Von der Warte aus war ich immer relativ offen, was andere Menschen betrifft und das fand ich schon immer super. Und die Metalheads schätze ich. Da gibt es zwar auch mal ein lautes Wort, aber wenn du da eine klare Ansage machst und relativ konsequent erscheinst, dann wird das auch wahrgenommen. Eine der für mich interessantesten Geschichten: Als ich irgendwann mal mit dem KTW (Krankentransportwagen) auf das Gelände fuhr und es gerade mal wieder Rush Hour war, strömten viele Leute in Richtung Infield. Wir mussten da aber leider mit dem Auto durch. Das bekamen aber ein paar Leute mit, da wir relativ verzweifelt am Hupen waren. Dann hat sich vor uns ein Pulk von fünf oder sechs Leuten gebildet, der uns eine Rettungsgasse frei gemacht hat. Die Leute fragten, wo wir hinmüssten, sind dann vorgestürmt und haben uns die ganze Strecke lang den Weg frei gemacht. So konnten wir ganz locker hinterherfahren, ohne dass wir die Hörner anmachen mussten. Ihr habt das vielleicht auch schon mitgekriegt, dass wir nicht so gerne mit Horn auf den Platz fahren. Hupe geht noch, aber nicht mit dem Horn, weil es einfach viel zu laut ist und viel zu viel Aggressionen macht. Das bringt einfach nicht viel. Wenn es geht, versuchen wir das zu vermeiden.
Wie lange machst du generell schon Rettungsdienst?
Nils: Ich habe Ende der 90er meine Rettungsdienstausbildung gemacht. Hauptberuflich bin ich aber im Vertrieb und verkaufe Medizintechnik. Passenderweise. Das mache ich auch schon seit über 20 Jahren. Aber dem Rettungsdienst bin ich immer treu geblieben. Ich fahre auch immer noch nebenbei. Ehrenamtlich. Das lässt mich auch nicht los.
Gibt es andere besondere Erlebnisse, die du mit den Metalheads gehabt hast?
Nils: Anekdoten und Erlebnisse gibt es Tausende. Es gibt verschiedene Kategorien. Für mich war aber die größte Geschichte, als ich 2007 auf dem W:O:A meine Frau kennengelernt habe. Im Sanitätsdienst. 2009 haben wir dann geheiratet. 2008 habe ich ihr auf dem Wacken Open Air auf dem Hubschrauberlandeplatz einen Antrag gemacht. Und 2009 haben wir an dem Freitag nach dem W:O:A auch geheiratet. Wenn, dann die volle Dröhnung. Ich habe ja knapp 14 Tage auf Wacken Open Air mit allen Auf- und Abbauten zu tun. 2009 waren wir dann Montag und Dienstag noch beim Abbau dabei und haben freitags dann geheiratet.
Dann gibt es natürlich auch absolut skurrile Geschichten. Woran ich mich gerne erinnere, ist ein spezieller Patient. Ich weiß gar nicht in welchem Jahr das war, aber das werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Es kam also ein junger Mann bei uns auf den Behandlungsplatz und trägt vor seinem Gesicht eine 5-Liter-Dose Bier. Er wollte so bei uns in den Behandlungsbereich und ich habe ihm dann gesagt, er solle doch sein Bier draußen lassen, weil da Alkohol verboten ist. Da sagt er zu mir: „Ganz witzig.“, nimmt die Hände weg und die Dose war immer noch an derselben Stelle wie vorher. Seine „Freunde“ hatten ihm nämlich diese 5-Liter-Dose Bier an die Stirn geklebt. Mit Sekundenkleber. Und damit er auch weiß, womit die Dose festgeklebt wurde, haben sie diese Tube mit Sekundenkleber noch ans Ohrläppchen geklebt. Und so stand er dann vor uns. In meinen Augen war das einer der Knallerpatienten schlechthin. Zum Glück war die Dose leer, sonst hätte er wahrscheinlich auch noch Nackenprobleme gehabt.
Und wie bekommt man sowas ab?
Nils: Vorsichtig. Ganz vorsichtig mit Aceton. Das haben wir auch irgendwie hingekriegt und dann haben wir ihm das Aceton mitgegeben damit seine Kumpel das zu Ende machen konnten. Das war wirklich eine skurrile Nummer.
Gab es auch mal kritische Situationen?
Nils: Jedes Jahr gibt es kritische Situationen. Das muss man ganz klar sagen. Das Wetter ist ja immer unser Gegenspieler. Du hast auch immer allergische Reaktionen, die kritisch werden können. Wir haben Herzinfarkte. Wir haben Schlaganfälle. Wir haben auf dem Platz schon Reanimationen gehabt. Wir haben schon Gasexplosionen gehabt. Die Bandbreite ist relativ groß. Man muss das Ganze aber auch ins Verhältnis setzen. Das ist eine Stadt von 100.000 Einwohnern. Mit allem Drum und Dran. Inklusive Roadies und allen die da sind. Und alle sind eine Woche lang zusammen. In Deutschland gibt es keine Großstadt von 100.000 Einwohnern, wo in einer Woche diese Bilder nicht zu beobachten sind. Wo nicht ein Bauarbeiter vom Gerüst fällt. Wo nicht jemand angefahren wird. Wo keiner einen Herzinfarkt hat oder keiner eine allergische Reaktion hat. So eine Großstadt kenn ich nicht. Deshalb ärgere ich mich immer, dass es immer publiziert wird, wenn einer verstorben ist oder so. Dabei ist das völlig normal. Das ist eine Großstadt von 100.000 Einwohnern und da passieren Unfälle und Erkrankungen. Das ist einfach so. Ich mache mir da überhaupt keine Gedanken drüber. Dafür kann man auch überhaupt niemanden in die Verantwortung nehmen. Auch nicht die Veranstalter. Das wäre totaler Blödsinn. Bei 100.000 Einwohnern passiert so etwas halt. Das passiert auch in Hintertupfingen oder sonst wo, wenn da eine 100.000-Einwohner-Stadt wäre.
Passiert auf dem W:O:A weniger als auf anderen Festivals?
Nils: Also, wir haben eine Range von 2.800 bis 3.500 Versorgungen über die Festivalzeit. Das steigt Mittwoch, Donnertag und Freitag. Je länger die Jungs und Mädels auch da sind, desto kaputter sind sie. Dann platzen die Füße auf und dann kommen die Harnwegsinfekte. Was man aber auch sagen muss: Wir vom San-Camp machen ja nicht nur die Schnittwunden oder das Nasenbluten oder den umgeknickten Zeh. Bei uns ist ja auch die Hausarztpraxis, Medikamente werden abgeholt oder Wiedervorstellungen gemacht. Bei uns werden auch, wenn es machbar ist, Kleinigkeiten genäht. Ich finde das völlig ok und auch nicht übertrieben. Im Vergleich sind zu der 100.000-Einwohner-Stadt die 3,5% ganz normal und überhaupt nicht viel. Ich finde es insgesamt relativ überschaubar. Es sind aber auch viele Bagatell-Fälle dabei. Wenn einer mit einem Magen-Darm-Infekt vorbeikommt oder mit Blasen an den Füßen oder eine Kopfschmerztablette braucht, dann wird das bei uns auch schon als Behandlung gezählt. Das wir alles dokumentiert.
Was machst du gegen Magen-Darm-Geschichten?
Nils: Wenn das ärztlich abgeklärt ist, haben wir auch Durchfalltabletten da.
Mich (Michael) habt ihr mal mit Verdacht auf Norovirus ins Westküstenklinikum Brunsbüttel gesteckt.
Nils: Das ist natürlich eine andere Geschichte. Man muss natürlich sehen, dass wir zwar eine Diagnostik dahaben, aber keine große. Keine Labordiagnostik. Und bei Verdacht auf Norovirus müssen wir dem natürlich nachgehen. Das ist besser, als wenn du das halbe Camp mit dem Norovirus ansteckst.
In der jetzigen Zeit akzeptiert man das ja umso mehr.
Nils: Die jetzigen Zeiten sind noch viel, viel schwieriger. Ich habe noch gar keine Idee, wie es denn dieses Jahr weitergeht. Es laufen schon diverse Vorbereitungen und auch wir haben Ideen und machen Konzepte. Aber, das wird ein spannendes Jahr. Ich wage noch keinerlei Prognosen abzugeben. Die Hoffnung ist natürlich groß, aber wir schauen mal, was da wird. Ich wünsche es mir auf jeden Fall.
Was ist deiner Meinung nach das Besondere an der Metalszene?
Nils: Die Metalheads sind einfach friedlich. Grundsätzlich finde ich sie einfach friedlich. Sie sind unheimlich loyal. Die Hilfsbereitschaft kenne ich von anderen Großveranstaltungen eigentlich nicht. Und was für mich immer noch eine Tugend ist, ist, dass die Metalheads nicht hinterfotzig sind. Man kennt das leider auch im Rettungsdienst. Wenn es mal zum Streit kommt, was ja durchaus mal vorkommen kann und was absolut legitim ist, und es kommt zum Äußersten, also zu Gewalt, dann gibt es in meinen Augen dort nur Mann-gegen-Mann und nicht Mann-gegen-Gruppe. Das ist das was ich häufig in anderen Kulturen und anderen Szenen erlebe. Da wird dann mit einer ganzen Gruppe auf einen eingekloppt. Bei den Metalheads wird sich gegenseitig mal auf die Glocke gehauen, dann hilft der eine dem anderen wieder hoch und dann geht man an den nächsten Tresen und trinkt ein Bier. Dann ist das Ganze ausgeräumt, geklärt und dann war es das. In anderen Szenen sehe ich so etwas nicht. Bei den Metalheads gibt es auch noch Grenzen. Wenn einer auf dem Boden liegt, dann reicht’s. In anderen Szenen wird dann erst richtig angefangen. Das ist ein Problem. Das sehen wir auf diversen Großveranstaltungen auch außerhalb des Wacken Open Airs. Dass dann noch weiter draufgetreten und draufgeprügelt wird. Das ist schrecklich in meinen Augen. Es ist eine echte Tugend der Metalheads: Mann-gegen-Mann, dann hilft man sich hoch, dann wird ein Bier getrunken und dann ist das Thema geklärt. Das finde ich toll, solange niemand anderer in Mitleidenschaft gezogen wird.
Und die Hilfsbereitschaft finde ich fantastisch. Ich habe eine schöne Geschichte zum Thema Hilfsbereitschaft. Einmal mittags kam ein junger Mann auf dem Behandlungsplatz an und sagte, er habe ein Problem. Auf die Frage, wo das denn sei, wollte er es nicht so öffentlich im Eingangsbereich sagen. Darauf haben wir ihn in unsere Box für Intim-Gestaltung mitgenommen. Dort zog der junge Mann seine Trainingshose runter. Da kam zum Vorschein, dass er sich aus Gaffer Tape (Panzerband) eine Unterhose gebaut hatte. Komplett. Er hatte wohl des Nächtens Geschlechtsverkehr gehabt, aber es gab zu der Partnerin noch einen richtigen Partner, der dazugekommen war. Da hat der junge Mann fluchtartig das Zelt verlassen – ohne seine Klamotten – und rannte entsprechend im Adamskostüm über den Platz. Nachdem er ein paar Leute nach einer Tüte oder so gefragt hatte, war das Einzige, was man ihm zugeworfen hatte, eine Rolle Gaffer Tape. Und aus dieser Rolle hat er sich dann hochmotiviert eine Unterhose geklebt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er nicht rasiert, danach war er eher gewachst nachdem wir ihn endlich daraus befreit hatten. Soviel zum Thema Hilfsbereitschaft. Ich fand’s toll, dass man ihm immerhin eine Rolle Gaffer Tape zur Verfügung gestellt hat.
Was ist dir lieber: Schlamm oder Hitze?
Nils: Hitze. Definitiv. Hitze, weil die Nachbereitung viel angenehmer ist als bei Schlamm. Mal ehrlich gesagt: Wir hatten ja diverse Jahre schon ordentlich Schlamm. In unserem Equipment bleibt der Schlamm ewig drin. Wir haben Autos, die 10 bis 15 Jahre alt sind und noch Schlammschichten im Unterboden von den ersten Jahren haben. Ich kann mich noch an Jahre erinnern, in denen wir verzweifelt unsere Autos geputzt haben. Mit Hochdruckreinigern und Hohlraumversiegelung. Schlamm ist eine Katastrophe. Staub kann man dagegen gut wegwischen. Das ist ok. Aber Schlamm ist schlimm. Wir sind natürlich dagegen gerüstet, aber wenn ich die Wahl habe, dann lieber Sonne. Auch, wenn wir dann ein paar mehr Hitzeerschöpfte haben. Und auch die Barfußgeher, die sich die Füße zerschnitten haben. Bei Schlamm kommen wir auch mit den Fahrzeugen kaum noch auf den Campground. Das ist ein Riesenproblem. Wir müssen dann All-Rad-Fahrzeuge aus dem ganzen Land Schleswig-Holstein dazu holen, um die Versorgung gewährleisten zu können. 2006 oder 2007 war es ja auch ein riesiges Schlammdebakel. Da haben wir das erste Mal mit den Quads angefangen. Die sich für uns als absoluten Glücksfall herausgestellt haben, weil wir dadurch viel, viel schneller an jeder Einsatzstelle auf dem Festivalgelände sind. Zumindest auf dem Campground. Wir schicken normalerweise ein Quad und einen Krankenwagen parallel los. Das Quad ist durchschnittlich in der Hälfte der Zeit vor Ort und kann schonmal vorversorgen, bis die Kollegen dann da sind. Seit dem letzten W:O:A gibt es auch Metallplatten auf den Hauptwegen, so dass wir schonmal die Lebenslinien gesichert haben, um reinzukommen. Gerade hinter der Bullhead City läuft jetzt komplett eine Straße rein. Da hat der Veranstalter schon unheimlich viel gemacht, damit wir schon viel bessere Wege und Zuwege haben. Das ist echt toll.
Wie gut ist deine Beziehung zu Thomas (Jensen) und Holger (Hübner)? Wie gut kennst du die beiden?
Nils: Holger habe ich 2004 kennengelernt. Wir haben uns immer mal wieder gesehen. Er kennt meinen Namen. Das Verhältnis ist sehr vertrauensvoll und seit Jahren gut. Das ist auf Augenhöhe und das ist auch gut so. Wir machen natürlich viel mehr mit Holger als mit Thomas, weil Holger ja mehr für diesen Bereich zuständig ist. Die vielen Details klären wir dann mit deren Team.
Nehmen wir an, dass das W:O:A 2021 stattfindet. Habt ihr schon ein Konzept oder ein Vorgehen bezüglich Corona in Planung?
Nils: Dazu kann man überhaupt nichts sagen. Das muss man ganz ehrlich sagen. Es muss natürlich erst einmal ein Hygienekonzept für die ganze Veranstaltung geben. Und auf Grundlage dieses Hygienekonzeptes muss man dann adaptieren. Das ist einfach so. Bevor man da nichts gesehen hat, kann man auch überhaupt nicht sagen, in welche Richtung es gehen kann. Es gibt derzeit tausend Überlegungen in welche Richtung das Ganze gehen könnte. Aber es ist viel zu früh darüber irgendetwas sagen zu können. Das sind natürlich auch Dinge, die vom Veranstalter aus kommen müssen. Ich weiß, dass dort in diese Richtung gearbeitet wird. Wie das nachher aussehen wird, kann ich nicht sagen. Da bin ich auch nicht involviert.
Hatte der Ausfall im letzten Jahr für euch einen großen Effekt?
Nils: Oh ja. Für uns als Ortsverein Kaltenkirchen hatte das einen erheblichen Effekt. Das Monetäre ist das eine. Aber was man sagen muss, für uns ist es überhaupt ein schweres Jahr 2020 gewesen. Das hat aber nicht nur mit dem W:O:A zu tun. Das Wacken Open Air ist ja nur eine Veranstaltung, die wir nicht gefahren haben. Aber es sind gefühlt 120 andere Veranstaltungen, die wir im letzten Jahr nicht gefahren haben. Und das ist ein Riesenproblem.
Es fängt schon mit unserer Stammmannschaft an, also sprich meine Bereitschaft Kaltenkirchen. Da du da nicht viel machen kannst während des Komplettlockdowns. Dann darfst du dich mit 10 Leuten treffen, dann mit 20, dann mit 40. Dann auch nur mit Abstand und mit Masken und mit bereitgestellten Desinfektionsmitteln. Das ist ja alles richtig. Das will ich ja gar nicht bestreiten. Aber das ist für unsere Arbeit in den DRKs echt schwierig. Wir halten uns auch mit der Unterstützung von Einkaufsaktionen zurück, weil wir nicht wissen, für was wir noch gebraucht werden. Wir sind eingebunden in die Katastrophenschutzeinheiten und in die Strukturen des erweiterten Rettungsdienstes und so. Da kann ich meine Helfer nicht – bitte nicht negativ verstehen – für Einkaufsdienste zur Verfügung stellen. Ich muss dann abwarten, was an großen Aufgaben auf uns zukommt, für die wir wirklich ausgebildet sind. Es ist keine einfache Zeit momentan, weil uns natürlich auch viele Einnahmen im letzten Jahr weggebrochen sind. Noch schaffen wir es zu „überleben“. Es wird aber auch viel geholfen. In staatlicher Hinsicht. Aber die Hilfsorganisationen sind da ein bisschen außen vor. Es gibt natürlich viele Einheiten, die ihre Teststationen betreiben oder so. Das machen wir alles nicht. Wenn dann noch die Einnahmenseite von den ganzen Sanitätsdiensten, die nicht gerade unerheblich ist, wegfällt, dann ist das schon eine Belastung. Aber wir werden das schaffen. Ich bin da ganz euphorisch, dass wir das schaffen. Wir sind da gut aufgestellt.
Seid ihr in Impfaktivitäten involviert?
Nils: Wir selber nicht, aber einzelne Mitarbeiter schon. Viele machen das auf Honorarbasis im Rahmen ihrer Tätigkeiten. Man muss aber auch dazusagen, dass wir ein breites Spektrum der Helferschaft sind. Wir sind ja nicht nur Krankenschwestern oder Rettungsdienstler. Einige sind auch in anderen Bereichen tätig und teilweise auch von Kurzarbeit betroffen. Dann ist es natürlich eine willkommene Einnahmequelle, wenn du über die Tätigkeit in einer Impfstation für deine Familie noch etwas Geld akquirieren kannst.
Die Veranstalter des W:O:A sind ja sozial sehr engagiert, wie z.B. mit Blutspenden, DKMS oder Barrierefreiheit. Wie nimmst du das wahr und seid ihr da irgendwie involviert?
Nils: Wir vom Ortverein Kaltenkirchen unterstützen den Blutspendedienst in Wacken. Wir helfen schon seit Jahren aktiv im Landgasthof mit. Mag auch daran liegen, dass unser Vorsitzender auch der Vorsitzende des DRK Wacken ist, auch wenn das zwei verschiedene Kreise sind.
Barrierefreiheit ist etwas, das wir auf dem Festival ja schon seit Jahren miterleben. Es gibt mittlerweile MediCenter, die auch direkt auf dem Platz sind, mit denen wir superengen Kontakt haben. Das ist supertoll und wir kriegen da auch immer ganz viel zusammen hin. Wenn wir Handicap-Patienten hatten, die Hilfe suchten, weil eines ihrer Hilfsmittel kaputt war, dann standen sie uns immer zur Seite. Ich kenne aber auch kein anderes Festival, wo es so einen Service gibt. Zumindest ist mir keines bekannt. Das finde ich einfach super. Wir hatten auch mal eine 78-jährige Patientin. Zuerst dachte ich, die käme aus dem Dorf, bis wir nachträglich erfuhren, dass sie vom Zeltplatz kam. Das war das Jahr, wo Rammstein auftraten. Die Dame wollte mit ihren Enkeln und Urenkeln unbedingt nochmal Rammstein sehen.
Es ging ihr aber nicht so gut. Mit 78 im Zelt auf dem W:O:A zu sein, find ich schon beeindruckend. Mittwoch haben wir sie aufgegabelt und Donnerstag waren Rammstein Headliner. Die konnte sie sich schließlich auch ansehen, weil unsererseits nichts dagegensprach. Das war echt super.
Die sozialen Aspekte sehen wir tagtäglich auf dem W:O:A, das ist echt super. Und wir unterstützen halt die Blutspendeaktion.
Hast du eigentlich einen Metalhead in deiner Familie?
Nils: Nein. Überhaupt nicht. Meine Frau war dieser Musikrichtung schon immer viel mehr zugeneigt als ich. Aber visuell stellt sie das nicht so dar. Wobei ich dazusagen muss, dass ich wahrscheinlich mehr Wacken-Shirts im Schrank habe als so mancher Metalhead. Das fängt natürlich mit den Crew-Shirts an, von denen man jedes Jahr eins bekommt. Familiär gibt es zwar keine Metalheads, aber im Freundeskreis gibt es viele. Da ist es schon relativ weit verbreitet.
Also kanntest du vorher schon Metalheads?
Nils: Mein Bruder hörte die Musik zwar, war aber kein typischer Metalhead.
Wir würden dir gerne ein paar Schlagworte nennen und du sagst uns, was dir dazu einfällt. Ok?
Nils: Ja, gerne.
Rituale
Nils: Auf dem Wacken Open Air habe ich ein Ritual, dass ich es immer schaffe mit meinem ärztlichen Leiter aufs Infield zu gehen und ein Bier zu trinken. Das machen wir seit 2004. Und es ist meistens der Freitagabend. Donnerstag geht das nicht, weil wir nicht wissen, was durch die Headliner passiert. Da müssen wir im Hintergrunddienst sein. Aber am Freitagabend gehen wir immer los und trinken ein Bier. Oder zwei. Und das ist ein Ritual, das wir auch auf anderen Veranstaltungen, wie dem Werner Rennen, machen. Dieses Ritual ist für mich wichtig und ich liebe es.
Als Ritual gibt es für das Wacken Open Air auch den sogenannten Sichterstab. Wer bei uns auf den Behandlungsplatz reinkommt, der muss erst einmal zum Sichter, der bestimmt, ob du kritisch bist oder nicht und ob es Zeit hat oder nicht. Und bei dem gibt es einen großen Holzstab, den der Sichter immer hat. Ich weiß gar nicht, wer den damals mitgebracht hat, aber für mich ist auch dieser Sichterstab ein Ritual.
Ernährung
Nils: Besser als zuhause. Das ist gar nicht böse gemeint. Aber dadurch, dass wir eine total tolle Küche mit dabeihaben, kriege ich dreimal am Tag regelmäßig was zu essen – und das immer superlecker und in allen Varianten. Im normalen Leben hetze ich von einem Termin zum nächsten und dann gibt es auch mal auf der Autobahn schnell was zu essen. Beim Wacken Open Air ist das einfach super.
Nachhaltigkeit
Nils: Das ist bei uns echt schwierig. Ich finde Nachhaltigkeit total wichtig, aber im Rahmen der Medizin gibt es so viel Einweg-Material, dass man Nachhaltigkeit leider gar nicht so darstellen kann. Leider. Das hat einfach mit Hygieneaspekten und zertifizierter Aufbereitung zu tun, was mich persönlich immer wieder ärgert. Kühlpacks zum Beispiel, kann man knicken und dann kühlen sie. Die haben wir die ersten zwei Jahre benutzt und dann dachten wir uns, dass wir diese ganze Chemie eigentlich gar nicht bräuchten. Jetzt vewenden wir sie nur noch in ganz seltenen Fällen. Stattdessen haben wir eine riesige Kühltruhe mit Unmengen an Crushed-Ice und machen mit Butterbrotbeuteln die Kühlpacks selber. Im Nachgang kann man den Beutel einfach aufschneiden und damit die Blumen gießen oder den Rasen wässern. „Nur noch“ der Plastikmüll bleibt – auch noch schlimm genug Aber Nachhaltigkeit ist für uns generell ein Problem.
Was ist gut finde, sind die Mehrwegbecher und -beutel, die wir auch verwenden. Bei uns im Küchenbereich wollten mal welche mit Einweg-Geschirr arbeiten, was von uns ganz schnell abgebügelt wurde. Mittlerweile haben wir eine große Spülstraße und Mehrweg-Geschirr dort im Einsatz. Das finde ich auch viel schöner.
Werte
Nils: Was mir da einfällt und was mir selbst sehr wichtig ist, ist das Thema Freundschaft. Freunde, die man jahrelang immer einmal im Jahr sieht, die habe ich beim Wacken Open Air. Dass Leute aus ganz Deutschland wieder zusammen sind. Man trifft sich nach einem Jahr wieder und knüpft da an, wo man vor einem Jahr aufgehört hat. Die Leute sind einfach unglaublich gut drauf. Und das sind Werte, die ich habe. Diese Freundschaften über Jahre. Da sind Helfer, die schon seit 10, 15 Jahren da sind, mit denen ich seit Jahren das Wacken Open Air zusammen mache. Diese Freundschaften sind Werte, die mir wichtig sind. Und dann gibt es ja auch noch Beziehungen darüber hinaus, wie in meinem Fall meine Frau.
Ethik
Nils: Ethik hat für mich auch mit Schaden und Haftung zu tun. Wir versuchen jeden Patienten, der eine Problematik hat, abzuschirmen, ihn aus seiner Situation rauszuholen und ihn zu schützen.
Vorhin habe ich ja schon über diese Box für Intimgeschichten gesprochen. Das gehört für mich ganz massiv zur Ethik dazu. Auch, dass wir gegebenenfalls Leute über Stunden betreuen können. Das ist mir einfach auch wichtig. Für mich ist das Thema sehr umfangreich. Es hat für mich aber auch sehr viel mit Selbstverständlichkeit im Rettungsdienst oder Sanitätsdienst zu tun. In meiner Einstellung ist das eine grundlegende Geschichte. Und auch für die Leute, mit denen ich das zusammen mache.
Schwarz
Nils: Wenn es nichts Dunkleres gibt, kann man das super tragen. Ich muss zugeben, dass ich mittlerweile viele schwarze Sachen in meinem Kleiderschrank habe, seit ich mit meiner Frau zusammen bin. Und es wird auch immer mehr. Mein Auto ist aktuell auch schwarz.
Hast Du denn andere Metal-Shirts außer Wacken-Shirts?
Nils: Natürlich. Aber was heißt Metal-Shirts? Wenn ich jetzt sage, ich habe Volbeat-Shirts. Ist das ein Metal-Shirt?
Klar. Das geht.
Nils: Metallica-Shirts habe ich auch.
Toleranz
Nils: Toleranz gehört für mich einfach dazu. Jeder soll so leben, wie er möchte. Jeder soll sich so ausleben, wie er möchte. Das sieht man auch sehr gut durch die Vielfalt unserer Helfer. Guck bei uns durch die Reihen. Wer da nicht tolerant ist, ist fehl am Platz. Wir haben auch schon Leute des Dienstes verwiesen, weil sie sehr voreingenommene Einstellungen hatten. Es gibt 10 Grundregeln des Roten Kreuzes und wenn ich nicht tolerant und unparteilich wäre, könnte ich bei dem Verein nicht sein. Darum gehört Toleranz für mich ganz weit nach oben.
Alter
Nils: Was mir seit 2004 auffällt, ist, dass der Metalhead immer älter wird. Das ist einfach so. Wenn man mich fragt, warum wir Schlaganfälle und Herzinfarkte auf dem W:O:A haben, sage ich, dass man sich nur die Geburtsjahrgänge anschauen muss. Ich habe auch das Gefühl, dass die Metalheads immer „weicher“ werden. Das soll nicht böse klingen, aber schaut mal, wieviel Wohnwagen und Wohnmobile mittlerweile auf dem Campground stehen. Man hat es mit dem Rücken und möchte sich gerne den Kaffee morgen anständig machen. Man hat ganz gerne Strom dabei. Ich als Mitt-Vierziger habe aber, ehrlich gesagt, auch keine Lust mehr 14 Tage in der Turnhalle zu schlafen. Ich bin dankbar, wenn ich in meinem Wohnwagen schlafen kann, in dem es warm und trocken ist. Das hat für mich was mit dem Alter zu tun. Mir fällt es mit Mitte Vierzig auch nicht mehr so leicht so wenig Schlaf zu bekommen, wie mit Mitte Dreißig. Auch ich werde älter.
Finanzen
Nils: Ich persönlich denke, 220 Euro für Festival-Karte ist nicht teuer. Für das, was da geboten wird und für die Bandvielfalt, die da ist. Ich ziehe mal einen Vergleich. Ich gehe mit meiner Familie oft auf Mittelalterveranstaltungen. Auch gewandet. Wenn ich da ein Wochenende unterwegs bin, kostet mich das am Wochenende mit 2 bis 3 Tagen pro Person fast genau dasselbe wie das Festival. Mit Eintrittsgeldern, mit Trinken und Essen, etc.. Und da habe ich nicht so namenhafte Headliner. Und auch nicht die Infrastruktur. Wenn ich also unbedingt auf das W:O:A will, dann muss ich mir einfach überlegen, wie ich an das Geld rankomme. Natürlich mit legalen Mitteln. Mit Arbeit, mit Sparen oder so. Dann kann ich mir das auch leisten. Ich glaube auch, dass es bestimmt Leute gibt, die sich das nicht leisten können. Das tut mir für die auch total leid. Aber deshalb zu sagen, die Welt sei schlecht, ist auch nicht richtig. Ich stelle mich ja auch nicht hin und sage, dass bei Lidl und Aldi das Fleisch so teuer ist und dass deswegen das Fleisch um 50% billiger werden muss. Also nochmal, die Kosten auf dem W:O:A sind, finde ich, nicht übertrieben für das, was da geboten wird.
Umweltschutz
Nils: Ist ein wichtiges Gut. Ich finde es immer erschreckend, wenn man am Sonntag über den Campground geht. Ich finde es total toll, dass die zurückgelassenen Schlafsäcke, Luftmatratzen, Zelte und Stühle eingesammelt werden und der Obdachlosenhilfe gespendet werden. Das ist für mich aktiver Umweltschutz. Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass Leute pfandfreie Dosen mitbringen. Wenn man richtig Gas gibt, kann man auch die 20 Euro Pfand mitinvestieren. Die Dosen kann man auch der Wacken Foundation geben, wenn die gerade am Müll sammeln sind und man selber keinen Bock hat die Dosen wieder mitzunehmen. Dann hast du auch noch etwas für einen guten Zweck getan. Vom Umweltaspekt ist das natürlich auch noch viel besser. Aber extra nach Dänemark raufzufahren, um pfandfreie Dosen zu holen und nachher damit wie Rotz umzugehen, ist totaler Quatsch. Dann lieber das Pfand investieren und am besten nachher der Wacken Foundation spenden.
Gemeinschaft / Zusammenhalt
Nils: Ich glaube, es gibt ganz viele Gemeinschaften in Wacken. Wir als Sanis sind eine tolle Gemeinschaft. Alle BOS-Kräfte (BOS = Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) sind eine super Gemeinschaft. Also Feuerwehr, Polizei, Rettungskräfte und so. Für mich hat das immer etwas mit Familientreffen zu tun. Übergreifend sind wir auch mit der Mitarbeiterschaft vom Wacken Open Air eine Gemeinschaft. Für mich ist es auch ein Gemeinschaftserlebnis, zu sehen, was da innerhalb von wenigen Tagen entsteht und was man so als Gemeinschaft hinkriegt. Für mich als Sanitätsdienst ist das eine bombastische Gemeinschaft. Für mich ist das eine ganz eigene Welt und ein Zusammenkommen mit ganz vielen Freunden. Und dann gibt es natürlich noch die Metalheads an sich als Gemeinschaft. Da gibt es ganz viele tolle Gemeinschaften, die man immer wieder beobachten kann.
Gesellschaftliche Verantwortung
Nils: Ich bin der Meinung, dass jeder eine Vorbildfunktion hat. Da kann sich auch niemand rausnehmen. Jeder steht in der Verantwortung ein Vorbild zu sein. In vielen Aspekten. Ob es das soziale Verhalten ist oder Integration oder Umweltbewusstsein oder Inklusion. Da gibt es tausend Dinge. Wenn sich jeder wie ein Vorbild verhält, dann wäre schon ganz viel getan. Das ist die Verantwortung für jeden selber.
Familie
Nils: Familie ist absolut wichtig. Meine Frau hat gerade letztens auf dem Rechner Fotos und Videos geguckt. Und unser Kurzer ist jetzt sechs und wird bald sieben. Er ist im Februar geboren. Und 2014 müssen Volbeat da gewesen sein. Es gibt ein Video, wie meine Frau im Schlafzimmer die Live-Übertragung von Volbeat schaut und mein damals halbjähriger Sohn völlig abgeht in seinem Kinderbett. Da lachst du dich tot, wie der da sein Bett rockt.
Familiär ist für mich das Wacken Open Air wichtig. Ich habe meine Frau dort kennen gelernt. Unser großer Sohn war beim Wacken Open Air 2008 dabei, ohne dass wir es wussten, denn sie war schwanger. Wir haben unmittelbar nach Wacken geheiratet. So hat das Wacken Open Air bei uns familiär einen hohen Stellenwert.
Wir haben ein paar persönliche Fragen, die wir dir gerne stellen würden. Ist das in Ordnung?
Nils: Gucken wir mal, ob ich auf alles antworten kann.
Welches ist dein Lieblingstier?
Nils: Der Wolf.
Dein Lieblingsfilm?
Nils: The Blues Brothers. Aber das Original.
Dein Lieblingsbuch?
Nils: Ich liebe die Harry Potter-Saga. Ich kann auch die Hörbücher empfehlen. Rufus Beck finde ich einfach toll. Der liest die ja vor. Das ist fantastisch. Wir haben auch die komplette Edition zuhause. Die Bücher, die Hörbücher und natürlich die Filme. Meinem Sohn habe ich aber verboten, die Filme zu schauen, bevor er nicht zumindest das Hörbuch gehört hat. Das Hörbuch ist ja 1:1 gelesen und das ist schon toll. In den Filmen fehlt ja unheimlich viel. Es fehlen viele Szenen, einige sind umgeschrieben oder aus dem Zusammenhang gerissen im Vergleich zu den Büchern.
Deine Lieblings-CD?
Nils: Das ist gemein. Aber ich glaube es ist von Eric Clapton das Unplugged-Album. Der Soundtrack von den Blues Brothers ist auch ganz weit oben. Aber es gibt so viel Musik, die ich gerne mitnehmen würde. Das Problem ist halt, dass ich im Außendienst viel im Auto sitze und da läuft immer Amazon Music oder Spotify. Da wird halt viel gestreamt. Rapalje und Schandmaul kommen mir da auch gerade in den Sinn.
Dein Lieblingsessen?
Nils: Das gibt es leider nicht mehr, weil meine Mama vor 15 Jahren von uns gegangen ist. Das waren ihre Kohlrouladen mit Kartoffeln. Es haben viele versucht, mich mit Kohlrouladen glücklich zu machen, aber keiner hat es geschafft wie meine Mutter. Ich habe eine Tante, die ist 81, deren Kohlrouladen kommen nah dran. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich es nicht bei meinen Eltern im Esszimmer esse.
Dein Lieblingsgetränk?
Nils: Es gibt zwei. Einmal Cola. Damit halte ich mich den ganzen Tag bei Laune. Wenn es abends gemütlich werden darf, ist es Red Bull-Wodka.
Dein Hobby?
Nils: Das ist und bleibt das Rote Kreuz. Das mache ich jetzt seit 35 Jahren. Das ist ein ganz großer Teil meines Lebens, neben meiner Familie und meiner Arbeit. Auch wenn es jetzt gerade natürlich etwas eingeschränkt ist. Und wenn dann noch etwas Zeit bleibt, ist es das Handwerken.
Dein Lieblingsreiseziel?
Nils: Da gibt es zwei. Das eine ist Südtirol zum Skifahren mit der gesamten Familie. Oder Sommerurlaub in Dänemark. Das sind meine beiden großen Ziele und die genießen wir auch sehr, wenn es möglich ist. Mit Italien hat es dieses Jahr nicht geklappt. Aber der Dänemark-Urlaub hat letztes Jahr geklappt und ist auch schon für dieses Jahr gebucht.
Gibt es etwas, das du gar nicht beherrschst?
Nils: Malen. Wenn ich etwas male, ist das eine Katastrophe. Wenn ich eine Handskizze von einem Pferd machen soll, sieht das eher aus wie eine Kuh. Technisches Zeichnen ist ok, aber kreatives Malen überhaupt nicht.
Deine größte Sorge oder Angst?
Nils: Dass meiner Familie etwas passiert. Dass meine Kinder oder meine Frau verunfallen oder, dass da irgendetwas schief geht. Das ist meine größte Angst.
Was liebst du am meisten?
Nils: Meine beiden Jungs. Meine beiden großen Räuber. Oder meine Familie generell. Meine Frau und meine beiden Kinder. Das ist und bleibt einfach das Oberste für mich.
Was verabscheust du am meisten?
Nils: Intoleranz. Rassismus. Faschismus. Homophobe Äußerungen. Das sind Dinge, die ich abgrundtief hasse. Wann immer ich die Chance habe, wettere und agiere ich auch dagegen. Das ist für mich das Allerschlimmste. Dass man mal frotzelt, davon kann sich wohl niemand freisprechen. Aber dieses ernstgemeinte, toleranzlose Geseier kann ich nicht abhaben.
Dein größter Traum für dich selbst?
Nils: Da gibt es ganz viele Wünsche. Mittelfristig. Langfristig. Mein größter Wunsch ist natürlich, dass wir alle gesund bleiben und, dass die Pandemie bald vorbei ist. Mein Lebenstraum ist aber, mit Anfang 60 sagen zu können: Das war’s. Und meine Frau und ich dann im Wohnmobil 6 bis 8-mal im Jahr für ein paar Wochen durch die Welt kutschieren können. Einfach frei zu sein und zu bleiben, wo es schön ist. Und zu wissen, dass meine Jungs zuhause alles im Griff haben. Das wäre ein Fernziel, dass ich aber auch gerne durchziehen möchte.
Dein größter Wunsch für die Welt?
Nils: Dass wir endlich dieses Drecks-Corona-Virus unter Kontrolle kriegen und wir einfach wieder zur Normalität zurückkehren. Ja, ich trage Maske, auch wenn ich das nicht gerne tu‘. Aber ich möchte einfach wieder Menschen in den Arm nehmen können ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich halte mich an alle Vorgaben, auch wenn ich das nicht will. Ich wünsche mir einfach wieder Normalität. Und ich wünsche mir, dass die Impfungen gut laufen und dass die Impfstoffe wirksam sind.
Hast du zum Abschluss des Interviews noch eine schöne Anekdote?
Nils: Eine der schönsten Anekdoten, mit der ich heute immer noch aufgezogen werde, war folgende: Ich bin bekennender BossHoss-Hörer und an dem Tag NEF-Quad (NEF = Notarzteinsatzfahrzeug) gefahren. Das heißt, der Notarzt saß hinten drauf und ich war sein Fahrer. Und BossHoss sollten um 16 Uhr auf der Party-Stage spielen. Ich habe dann Bescheid gesagt, dass ich um 16 Uhr an der Bühne sein möchte. Der Notarzt war zum Glück einer meiner besten Freunde. Um Viertel vor habe ich mich dann bei der Leitstelle über Funk gemeldet und gesagt, dass ich nun in Richtung Bühne fahre und dann dort erreichbar bin. Bis dahin hatten wir nur zwei Einsätze. Ansonsten war nichts los. Aber kaum war ich an der Bühne angekommen, wurde ich ganz auf die andere Seite des Campgrounds nach „Y“ gerufen zu einer Verbrühung. Als der Krankenwagen da war und der Patient versorgt und übergeben war, wollten wir direkt wieder los zur Bühne, um BossHoss zu sehen. Als ich mich aber wieder bei der Leitstelle meldete, hatten sie gleich den nächsten Einsatz für uns und danach direkt den nächsten. Letztendlich war ich dann pünktlich zum Schlussakkord hinter der Bühne angekommen. Das BossHoss-Konzert habe ich mir nachher im Stream angesehen. Aber das ist natürlich etwas Anderes.
Ein anderes Highlight war aus dem Jahr 2000. Es gibt ja die Metalbags und in diesen Metalbags sind ja Patches, die man sich auf die Kutte nähen kann. Und irgendwann kam einer zu uns in den Sani-Bereich, dem seine Freunde nachts so einen Patch auf den Oberarm genäht hatten. Da waren die total stumpf.
Aber das Wacken Open Air hat so viele Geschichten über die Jahre geschrieben. Und eine ist kurioser als die andere. Hoffentlich wird es dieses Jahr wieder etwas mit dem W:O:A.
Interview: Lydia Polwin-Plass und Michael Gläser
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Wir würden uns sehr freuen.
Vielen lieben Dank für euren Support.
Lydia Dr. Polwin-Plass
Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de