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Interview mit Enno Heymann, Wacken Music Camp – TEIL 1 Interview mit Enno Heymann, Wacken Music Camp – TEIL 1
Michael und Lydia haben vor einigen Wochen für ihr Buch zum sozialen Aspekt der Metalszene am Beispiel Wacken mit Enno Heymann, dem Initiator und... Interview mit Enno Heymann, Wacken Music Camp – TEIL 1

Michael und Lydia haben vor einigen Wochen für ihr Buch zum sozialen Aspekt der Metalszene am Beispiel Wacken mit Enno Heymann, dem Initiator und Betreuer des Wacken Music Camp gesprochen. Er erzählte von der Entstehungsgeschichte, der unbändigen Kreativität der teilnehmenden Kids, vom Vertrauen, das man ihnen entgegenbringen muss und von ähnlichen Camps in anderen Ländern. Hier der erste Teil des Interviews. Den zweiten veröffentlichen wir erst nach dem Buch-Release.

Hallo Enno. Vielen Dank, dass du dir die Zeit für unser Interview nimmst. Könntest du dich kurz vorstellen und erzählen, was du mit dem W:O:A zu tun hast?

Enno: Seit 2004 arbeite ich mit den Wacken-Leuten zusammen und habe eigentlich einen Musikverlag. Ich bin also sozusagen an der Wahrnehmung von Urheberrechten beteiligt. Über die letzten Jahre habe ich einen relativ großen Katalog an Metal, Folk Metal und Deutschrock aufgebaut. Ich habe aber auch immer schon Dienstleistungen für‘s Wacken Open Air gemacht. Ich war mal Projektleiter bzw. technischer Leiter bei einem Jugendprojekt, das SchoolTour hieß. Dann habe ich in Wacken selber Dienstleistungen gemacht. Ich war im Produktionsbüro tätig und hab‘ auch mal den Artist Shuttle-Bereich geleitet. Ich habe sozusagen die Wacken Foundation-Area aufgebaut, bin da quasi auch Kurator der ersten Stunde und hab‘ den Metal Battle übernommen. Das ist der Nachwuchswettbewerb auf dem W:O:A. Den mache ich jetzt aber nicht mehr operativ – das macht jetzt Sascha Jahn. Der ist im operativen Geschäft mit mittlerweile 60 Ländern aktiv, die an diesem Wettbewerb teilnehmen. Ich achte eher darauf, dass sich der Metal Battle inhaltlich entwickelt.

Wacken liegt im Kreis Steinburg und Steinburg ist eigentlich eher ein Transitbereich zwischen Hamburg und Sylt. Auf der A23 fährt man da vorbei, würde aber nie auf die Idee kommen rauszufahren. Dort gibt es nicht mal einen Autorasthof oder ähnliches. Da ist nichts. Wir haben dann 2012 überlegt, was man dort neben dem Wacken Open Air noch machen könnte. Man kann ja nicht Leute hinlocken, weil da ein schöner Strand ist oder weil da irgendwas Anderes besonders toll ist. Man muss ein besonderes inhaltliches Angebot formulieren. Wir wollten einfach Jugendlichen mal die Möglichkeit geben, hinter die Kulissen zu gucken, wenn da grad nichts stattfindet. Auf dieser Kuhwiese steht sonst eine Bühne, die ziemlich groß ist und man kennt sie aus dem Fernsehen. Aber ansonsten ist das nichts weiter als eine Kuhwiese. Wir haben also ein Angebot geschaffen ­– zielgerichtet für Kids, die an Metal interessiert sind oder Interesse an handgemachter Musik haben.

Enno Heymann

In der Regel sind wir ja die Toleranten. Das muss man ja auch mal sagen. Wir schließen niemanden aus. Wenn du im Bereich der Popularmusik-Förderung mit Metal um die Ecke kommst, wirst du erstmal komisch angeguckt. Und erwartet man, dass da langhaarige Volltätowierte mit einer Harley ankommen. Selbst im Bereich der aufgeschlossenen Popularmusik sind wir immer noch eine Rand-Sparte. Das ist Fluch und Segen. Aber wir wollten dann mal zielgerichtet ein Angebot für unser Klientel machen. Ohne Pop und Jazz – speziell etwas für Metalkids, die ja sonst keine Angebote finden. Für diese Gruppe beschlossen wir etwas zu formulieren. Daraus ist dann das Wacken Music Camp entstanden.

Wir haben damals einfach über den Daumen gepeilt, wieviele Kids man vernünftig entertainen könnte bzw. bei wievielen man eine vernünftige Betreuungsdichte hätte, um ein gutes Kreativ-Angebot schaffen zu können. Dagegen haben wir den Aufwand abgewogen. Das waren dann maximal 100 Kids, die entsprechend in Bands aufgeteilt werden sollten.

Es gibt auch keine Beschränkungen, wer da mitmachen darf. Die meisten sind natürlich das erste Mal dabei, aber wir haben auch Wiederholungstäter. Interessant war auch die Art des Zusammenlebens. Gerade beim ersten Camp 2014 hatte man nach kurzer Zeit das Gefühl, dass die Kids einander schon ewig kennen. Die kannten sich aber nicht. Es gab vielleicht mal zwei oder drei, die zusammen hingekommen waren, aber ansonsten sind die meisten einzeln gekommen und aus irgendwelchen Dörfern, wo sie keine Gleichgesinnten hatten. Wo sie auch nicht Musik machen konnten, weil es keine anderen gab, die Bock auf Metal hatten und mit denen sie zusammenspielen konnten.

Im Music Camp sind sie dann zusammengekommen und konnten sich dort sozusagen ungeschminkt zeigen. Die kommen von allgemeinbildenden Schulen. Da hört man halt viel Hip Hop. Ich habe auch Kinder und weiß, was die so hören. Und das ist nicht das, was ich gerne höre. Müssen sie auch nicht. Die können hören, was sie wollen. Aber so ein Metalkid ist da eher in der Minderheit. Und wenn dann so ein Kind auch noch Musik machen und in einer Band spielen will, dann ist es im ländlichen Raum relativ schwer Gleichgesinnte zu finden. Und als diese Kids dann zusammengekommen sind, war das so als ob die schon im Sandkasten miteinander gespielt hätten.

Wir machen das Music Camp ja auch einmal im Jahr in Bayern. Im Schloss Alteglofsheim im Winter. Im Prinzip sind das oftmals in der Kernbesetzung die gleichen Kids. Die kommen immer wieder, bis sie aus dem Alter raus sind und nicht mehr teilnehmen dürfen. Es wachsen aber immer wieder Neue nach.

Wieviele Bewerbungen habt ihr so durchschnittlich? Habt ihr mehr als ihr nehmen könnt?

Enno: Nein, bisher ist es immer so gewesen, dass alle, die sich dafür bewerben, auch angenommen wurden. Wir hatten nie die Situation, dass wir 180 Bewerbungen haben und nur 100 nehmen können. Im ersten Jahr hatten wir um die 80 Teilnehmer. Das variiert ein bisschen. In Bayern haben wir grundsätzlich ein bisschen weniger, weil das nicht im Freien ist, sondern im Schloss. Aber alle, die sich bis jetzt beworben haben, konnten wir annehmen.

Manchmal muss der Teilnehmer vielleicht ein bisschen Flexibilität mitbringen. Wenn es zum Beispiel 15 Drummer gibt, aber nur 8 Bands, dann müssen 7 Schlagzeuger vielleicht mal überlegen, ob sie nicht doch lieber Bassist werden oder sich mal als Sänger versuchen wollen. Das ist manchmal ein bisschen schwierig, aber es geht ja vordergründig nicht darum Frontalunterricht zu machen, sondern etwas Kreatives zu schaffen. Dazu gehört dann auch mal, dass man vielleicht primär nicht das spielt, wofür man ursprünglich gekommen ist, sondern etwas flexibel ist.

Am Anfang hatte man tatsächlich zu viele Schlagzeuger und Gitarristen. Niemand wollte Bass spielen. Beim letzten Music Camp hatte ich dann plötzlich einen Bassisten zuviel. Diese ganze bekehrende Arbeit hat sich darin niedergeschlagen, dass viele bei diesem Instrument geblieben sind. Die Kids haben sich dafür geöffnet und teilweise auch erkannt, dass sie eventuell gar nicht der Typ dafür sind, jeden Tag 7 Stunden Gitarrenlicks zu üben und sind dann beim Bass geblieben.

Treffen sich die Kids eigentlich nachher auch außerhalb der Music Camps? Hast du da was mitbekommen?

Enno: Teilweise ja, es gab sogar eine Band, die sich im Camp formiert hat und dann für eine gewisse Zeit zusammengeblieben ist. Die kamen aus einem machbaren Umkreis und die Eltern haben dann auch mitgeholfen. Das gehört dann auch nochmal dazu. Gerade wenn du noch nicht so flexibel bist.

Ansonsten ist so ein Treffen räumlich gesehen fast nicht möglich. Wenn einer aus Kassel kommt und der nächste aus Berlin und der andere aus Lübeck, ist das echt ein Problem.

2020 haben wir dann coronabedingt ein digitales Angebot organisiert und haben den Kids Zoom-Räume zur Verfügung gestellt. Die waren auch wirklich kreativ und das lief wirklich gut. Die konnten übers Internet sehr gut miteinander agieren und waren sehr, sehr lange zusammen in diesen Räumen. Nachher haben sie auch noch ihre Freizeit gemeinsam verbracht und gezockt. Der Highscorer war 16 Stunden online. 6 Stunden mit seiner Band und dann noch 10 Stunden im Chat und in Spielen.

Organisiert ihr das Music Camp alleine oder habt ihr Kooperationspartner?

Enno: Das machen wir in Kooperation mit dem Landesverband der Musikschulen. Es geht ja im Camp nicht darum, den richtigen Weg zu zeigen, jemandem etwas beizubringen. Bei uns geht es darum, aufzuzeigen, dass man mit relativ einfachen Mitteln kreativ sein kann. Ob man dann, um das Lieblingsinstrument zu erlernen, auf eine staatliche Musikschule geht oder sich siebenundvierzig Millionen YouTube-Tutorials ansieht, ist im Prinzip egal.

Als wir damals gezeltet haben, waren 24/7 wenigstens zwei Leute wach, um die ganze Zeit am Lagerfeuer zu sitzen und nachts darauf zu achten, dass wenn jemand zur Toilette geht, er/sie auch wiederkommt. Und wenn er/sie zulange wegbleibt, dass dann mal jemand mit der großen Taschenlampe hinterher geht.

Sowas musst du dir echt gut überlegen, wenn du sowas veranstaltest. Du musst Überzeugungstäter sein. Es könnten so viele kleine Sachen passieren, wo du richtig einen vor den Bug geschossen bekommst. Aber auch da ist das wichtigste zu vertrauen.

Und auch in Bayern haben die Kids das Vertrauen bisher noch nie missbraucht. Das ist wirklich erstaunlich und das ist auch der Grund das weiter zu machen. Wenn WIR es nicht machen, macht es keiner. Du findest ansonsten kein Camp für Metalinteressierte in Deutschland. Da gibt es sonst gar nichts.

Vielleicht gibt es da auch gar nicht so viele Interessierte. Wir haben uns natürlich auch überlegt, was wir machen, wenn wir 400 Anmeldungen bekommen und dann auswählen müssten. Wir hatten uns schon irgendwelche Excel-Zufallstabellen zurechtgelegt. Letztendlich waren es 78 Kids bundesweit. Dabei hat es das W:O:A ja auch kommuniziert und die Szene hat es ja auch irgendwie mitbekommen. Die Eltern aus unserer Szene kennen das Camp. Die haben davon zumindest schon mal gehört. Die meisten Kids, die zu uns kommen, haben aber gar keine Verbindungen über ihre Eltern zu unserer Szene. Das sind Kids, die das Angebot in ihrer Musikschule sehen.

Nur etwa 20% haben Metal-Eltern als Hintergrund. Kids ohne diesen Hintergrund haben es vielleicht auch gar nicht so leicht. Da sagen die Eltern vielleicht: Du willst auf so ein Hottentotten-Camp zu den ganzen schwarzen Typen, die alle tätowiert sind, und wo den ganzen Tag nur laute Musik läuft? Die fressen dich doch morgens alle auf. Geh doch mal lieber zur christlichen Jugend Bad Segeberg. Das kann alles sein. (lacht) Warum findet jemand, dessen Eltern Schlager toll finden, plötzlich Slayer gut?

Wer hatte die Ursprungsidee zu diesem Camp? Wie wurde es gegründet?

Enno: Ich hatte irgendwann mal eine Praktikantin, die das ausarbeiten musste. Die Aufgabe war: Stell dir vor, du bist in Wacken, aber es ist nicht Festival. Lass uns mal überlegen, was man tun müsste, um Angebote zu schaffen. Es gab ein paar Vorgaben: Man sollte campen und das Gelände genießen. Wir wollten aber auch etwas Kreatives haben, was mit uns und dem Bereich Metal zu tun hat. So haben wir das als erste grobe Skizze entwickelt. Erfahrungen aus meiner School Tour Zeit, dass es möglich ist, auch in kürzester Zeit einen eigenen Song zu schreiben, haben da mitreingespielt.

Es ist zum Beispiel ein riesiger Unterschied zu den Bands, die nur covern. Der Timo Kotipelto macht ja ein ähnliches Camp in Finnland. Crater Rock heißt das. Da hat er im Prinzip hochdotierte Lehrer wie Kai Hahto, dem Drummer von Nightwish. Ich war mal vor Ort. Unfassbar, dort sind Topmusiker. Aber die suchen sich halt irgendeinen Song wie Paradise City zum Beispiel. Und dann covern sie ihn mit den Kids. Die kriegen da richtig Unterricht. Das ist ein ganz anderer Ansatz als unserer.

Timo glaubte nicht, dass man innerhalb von einer Woche einen Song schreiben könnte. Ich sagte ihm dann, er könne ja mal vorbeikommen und mitmachen.

Wir hatten dann also diese Grobskizze des Music Camps und dann gab es mal ein Projekt „Steinburg 2030“. Das war ein zukunftsorientiertes Projekt darüber, wo Steinburg im Jahr 2030 stehen sollte. Und so haben wir von unserer Skizze einen 7-Seiter einfach mal an die Wand gepinnt. Der Bürgermeister von Wacken fand unser Konzept super.

2013 kam dann Helmut Kolzer vom Landesverband der Musikschulen in Schleswig-Holstein in unserer Firma vorbei und wollte auf dem Wacken einen Informationsstand aufbauen, um über die Musikschulen in Schleswig-Holstein zu informieren. Ich habe dann gesagt, dass das zwar super wäre, aber auch total uninspirierend. Nur so einen Stand hinzustellen kann nicht alles sein. Dann haben wir ihm von unserer Idee erzählt und er war sofort Feuer und Flamme.

So ist der Landesverband der Musikschulen unser Kooperationspartner geworden. Das hat uns natürlich einen sehr seriösen Anstrich gegeben. Der Verband ist in solchen Projekten auch sehr bewandert. Besonders wenn es um Fördergelder geht, die wir auch bekommen. Es ist schon etwas anderes, wenn der Landesverband der Musikschulen Fördergelder beantragt oder irgendwelche langhaarigen Hippies aus Wacken.

Wir wollten das Camp auch immer sehr zugangsoffen haben. Diese ganze Woche inklusive Vollverpflegung, Freizeitunternehmungen und allem Drum und Dran kostet knapp unter 300 Euro. So wurden sie unser Kooperationspartner und das Music Camp wurde 2014 realisiert. Es war für das, was wir nach Außen kommunizieren konnten, wichtig, dass es diesen seriösen Part gab. Wobei die Musikschulen mit der Konzeptionierung des Musikprogramms erst einmal gar nichts zu tun hatten. Der Helmut war ein alter Pfadfinder und hat sich um den Zeltaufbau gekümmert. Wir haben uns das am Anfang sehr gut eingeteilt. Er machte das Lager, ich die Musik. Nach Außen war das aber egal.

Der Bürgermeister hat das alles auch sehr mitgetragen. Und auch das Dorf hat das weitestgehend getan. Nur ein paar wenige meinten, dass doch das Festival schon so laut sei. Dabei hören uns ja maximal ein oder zwei Häuser direkt nebenan. Aber dann kamen ein paar Anrainer mal in der Schule vorbei und fanden unser Projekt total super. Letztendlich profitiert das Dorf ja auch davon. Es gibt ja eine sehr starke Symbiose zwischen dem Dorf und uns. Und die meisten waren dann auch wirklich daran interessiert, was wir da so machen.

Wäre es vorstellbar, das Camp dieses Jahr unter Corona-Bedingungen stattfinden zu lassen?

Enno:  Das ist schwer zu beantworten. Aktuell wüsste ich nicht, wie man das bewerkstelligen könnte. Wir haben ja eine lange Zeit gecampt und haben dann quasi in der Schule auch unsere Lager aufgeschlagen. Es gibt zwei Turnhallen in der Grundschule. So können dann in einer Turnhalle die Mädels pennen und in einer die Jungs. Das kann man da ganz charmant regeln. Man benutzt dann aber die gleichen Sanitärräume und kocht gemeinsam auf relativ kleinem Raum. In der Schule gibt es auch eine Küche, die wir benutzen dürfen. Wo die Kids auch zum Küchendienst eingespannt werden. Da sind die Teilnehmer natürlich ziemlich eng zusammen. Abstandhalten funktioniert da nicht. Das halte ich auch für äußerst schwierig.

Es ist natürlich nicht generell auszuschließen, dass man das Camp dieses Jahr macht, wenn es unter erträglichen Bedingungen möglich ist. Aber ich kann es mir aktuell noch nicht so richtig vorstellen. Ich möchte da auch nicht den ganzen Tag mit dem Regelbuch rumrennen und den Kids erzählen, was sie dürfen und was nicht. Das wäre genau das, wofür wir nicht angetreten sind. Natürlich gab es auch vorher Spielregeln, aber nur grobe. Kein Alkohol, keine Drogen und so. Aber nicht, wo sie lang gehen und wieviel Abstand sie halten müssen. Das ist auf jeden Fall ein Problem, das wir haben. Das ist natürlich schade, weil im letzten Jahr sich bei den Kids die Defizite noch verstärkt haben. Zur-Schule-gehen funktioniert ja gerade auch nicht. Mit 16 in die Disco zu gehen und die Sau rauszulassen ist auch nicht möglich.

Theoretisch wäre das Camp ja ein komplett abgeschlossener Mikrokosmos. Der Einzige, der mal rausgeht, ist vielleicht der Koch, der was zu essen einkauft. Aber dann hast du ja doch einen, der es sich dann vielleicht einfängt, weil er auf dem Edeka-Parkplatz noch mit einem geschnackt hat. Und ein Teilnehmer nimmt es dann mit nach Hause zu seiner Oma, die vielleicht dummerweise noch nicht geimpft ist. Es gibt einfach keine 100%ige Sicherheit. Und wenn wir dafür ursächlich sind, dann weiß ich nicht, ob ich mir das auf die Fahne schreiben möchte, nur weil ich auf Biegen und Brechen etwas machen wollte.

Wir wären mit 70 Kids plus 40 Mann vom Team, also 110 Leute 24 Stunden am Tag zusammen. Da kannst du nicht überall sein und alles überwachen.

Ich halte das Ganze also immer noch für hochriskant. Auch weil es nicht das allgemeine Alltagsrisiko ist. Ich bin sicherlich kein Freund davon, die Kids dauerhaft nicht zur Schule zu schicken und ihnen komplett ihren sozialen Umgang zu verbieten. Aber das Camp ist ja nichts Existenzielles, wie zum Beispiel die Schulbildung. Ob wir es dann wieder digital machen, weiß ich noch nicht. Ich würde aber schon gerne irgendein Angebot schaffen. Aber, ob das vor Ort sein kann, weiß ich nicht.

Seid ihr denn mehr im Freien oder in Räumen?

Enno: Das ist natürlich wetterabhängig. In der Schule werden im Prinzip Räume in Proberäume und Musikstudios umgebaut. In der Schule selber sind dann halbtags die Kids während des Musikprogramms in den Klassenräumen. Die andere Hälfte des Tages haben sie dann Freizeit für Klettergarten und Ähnliches. Oder sie hängen in der Turnhalle rum und werfen Basketballkörbe. Oder sie gehen raus auf die Wiese, nehmen eine Gitarre mit und spielen zusammen. In der Freizeit sind die Kids relativ viel draußen. Während des Musikprogramms sind sie in den Klassenräumen, den Proberäumen oder im Studio.

Wir haben übrigens eine super Betreuung. Wir machen das zusammen mit der Fachhochschule Heide, die eine Koryphäe im touristischen Bereich ist. Wir haben auch immer Studentinnen, die als Bandmanagerinnen arbeiten. Die Kids sind daher sehr gut betreut. Aber am Ende des Tages sind es halt doch gut 100 Leute.

Und da die Zuverlässigkeit der Tests auch noch Fragen aufwirft, gibt es insgesamt zu viele Fragezeichen. Und trotzdem habe ich noch keine abschließende Meinung dazu.

Denkst du, dass Impfungen für Jugendliche hier eine Rolle spielen können?

Enno: Also, ich bin ja auch Bandmanager und das Jahr 2021 habe ich mental schon fast abgehakt. Mit dem Impfen müssen wir mal sehen. Ich weiß auch nicht was kommt. Wir gucken ja auch oftmals in andere Länder, wie zum Beispiel Israel. Beim Metal Battle ist Israel ja auch dabei. Ich habe da eine Gesangsdozentin, die Sängerin bei der Band Scardust ist. Die machen richtig anspruchsvollen Progressive Metal. In Israel haben ja schon über 60% ihre zweite Impfung und selbst die sind noch nicht wieder in der Normalität angekommen. Wenn wir das bei uns mal hochrechnen, wie langsam wir impfen und wo unsere ganzen Schwierigkeiten noch hängen. Die denken ja noch etwas nationaler, während wir EU-mäßiger und sogar weltweiter denken. Wir haben insgesamt sehr viele Probleme und Hürden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dieses Jahr alle durchgeimpft sein werden. Das Überraschungsmoment hat doch sehr zugenommen.

Hast du von deinem Musikverlag oder deinen Bands her eine Planung, was vielleicht noch gehen könnte im Sommer oder in diesem Jahr?

Enno: So wie ich es mitbekommen habe, liegen bisher für die wenigsten Veranstaltungen behördliche Genehmigungen vor. Im letzten Jahr war zum Beispiel das Autokino nicht so angekommen, wie man sich das vorgestellt hat. Erst gab es ein paar Autokinos, dann gab es einen riesigen Run und dann hatte jedes Dorf eines. Dann wurden ein paar auch schon wieder abgebaut. Der Hype war ziemlich schnell vorbei.

Dann gibt es noch diese Strandkorbgeschichten. Aber auch die sind von der Kapazität noch nicht so, dass du mit einer Genehmigung arbeiten könntest. Wenn du dafür jetzt Karten verkaufst, ist das mit einem großen Risiko verbunden. Das Problem ist generell in der nächsten Zeit, dass du relativ geringe Kapazitäten hast und relativ hohe Kosten. Da musst du dir als Band natürlich überlegen, ob du etwas machst, nur damit du etwas machst.

Wenn du mit Equipment und Crew anrollst und mit 1000 Leuten planst und dann kommen nur 300 – wer trägt dann das Risiko? Und die Veranstaltungsstätten lassen sich dieses Risiko natürlich vergüten. Die Autokinos zum Beispiel hatten auch wahnsinnige Mietvorstellungen. Dabei hatten die nicht einmal richtige PAs, sondern nur eine duselige Trailer-Bühne mit einer LED-Wand hingestellt und einen komischen Radio-UKW-Sender, der das alles in die Autoradios ausstrahlte. Das waren teilweise Mieten wie für eine große Halle. Und ob die Leute dieses Jahr solche Lösungen noch annehmen, ist völlig unklar. Das Konsumverhalten ändert sich ja sukzessive.

Die Fragen sind: Was will ich machen? Bin ich bereit für ein Streaming-Konzert Geld auszugeben? Wann kaufe ich mir eine CD? Wann macht der Mediamarkt auf? Für die Branche ist das echt schwierig.

Auch die Regeln sind irgendwie unverständlich. Vier Leute dürfen nicht proben, aber ein Kirchenchor darf singen? Ziemliche Verunsicherung gibt es auch bei den Videodrehs. Die wurden ja auch zu Corona-Zeiten gemacht. Und dann gab es die Vorgaben, dass sich Bands zu beruflichen Zwecken zusammenfinden konnten, wie zum Beispiel für Streaming-Konzerte oder Online-Konzerte. Bei sowas durftest du dann ohne Mundschutz performen. Aber das war auch erst ein halbes Jahr später. Am Anfang durftest du nichts. Da durfte man nicht zusammen proben, auch wenn man sich sonst nebenbei getroffen hat. Aber für den Videodreh galten die privaten Regelungen nicht. Einige hatten dann Angst, weil sie beim Dreh mit anderen Leuten zusammenkamen, die zum Beispiel hinter der Kamera standen. Für uns ist das aber auch eine Art von Erwerb. Und wenn wir wegen irgendwelchen Unklarheiten eine Strafe von 1000 Euro zahlen müssten, dann würden wir das in Kauf nehmen. Der Verlust dadurch, sich ein Jahr lang nicht zu zeigen, ist viel höher als so eine Strafe.

Ich glaube insgesamt nicht, dass dieses Jahr mit Tests das Problem gelöst wird. Ich weiß, dass es ein Elektro-Festival mit etwa 5.000 Leuten geben soll. Die wollen aber jeden Tag das Gelände vollkommen räumen und auf‘s Neue Schnelltests machen. Wie soll das gehen? Das wird nicht funktionieren.

Bist du noch als Kurator für die Wacken Foundation tätig?

Enno: Ja, das Kuratorium sind die Leute, die über die eingehenden Anträge beraten. Die Wacken Foundation ist eine anerkannte Stiftung zur Förderung von Heavy Metal Musik. Jeder der glaubt, dass dieser Förderzweck für ihn zutrifft, kann einen Antrag stellen. Und das Kuratorium berät über diese Anträge. Der Vorstand entscheidet dann darüber, welche Anträge angenommen werden und welche nicht. Das ist sozusagen die Inhaltsschmiede. Der illustre Diskussionskreis.

Hast du besondere Erlebnisse mit Metalheads gehabt, die die besondere Einstellung der Metalheads widerspiegeln?

Enno: Ich war ja selber mal Punk-Fan und wurde dann Metal-Fan. Master of Puppets von Metallica war sozusagen meine Erleuchtung, bei der ich dem Punk abgeschworen und mich dem Metal zugewandt habe.

Mein erstes Konzert war in Osnabrück im Haus der Jugend: S.D.I.. Die Band habe ich jetzt im Verlag. Das war mein erstes Konzert und jetzt habe ich Reinhard Kruse bei mir als Autor im Verlag. Ob das jetzt wirtschaftlich toll ist – scheiß egal. Das war echt geil.

Ansonsten ist meine Fan-Attitüde durch die langjährige Arbeit in dem Business in den Hintergrund getreten.

Was mich aber immer wieder begeistert an den Metalheads, ist das friedliche Zusammenleben. Ich bin in Wacken immer wieder davon fasziniert, wie das funktioniert. Als ich vor 14 Jahren in der Produktion und direkt mit der Security zusammengearbeitet habe, habe ich natürlich Vieles mitbekommen. Und das Viele, das du da mitbekommst, ist, dass es relativ wenig ist. Das finde ich immer wieder faszinierend.

Es gibt auch total selten Anzeigen von Belästigung unter Alkoholeinfluss. Einmal gab es eine Schlägerei, aber die war nicht auf dem Campground, sondern Backstage. Das waren zwei skandinavische Bands, von denen zwei Mitglieder dieselbe Frau interessant fanden. Diese beiden Bandmitglieder haben sich dann im V.I.P.-Bereich verdroschen. Das wäre vielleicht nicht passiert, wenn sie die letzten 30 Bier weggelassen hätten. Aber das war es dann auch.

Ansonsten ist das Arbeitsleben auf dem Wacken Open Air relativ stressig. Wenn du hinter den Kulissen arbeitest, kriegst du den Rest nur peripher mit. Als Artist Shuttle-Dienstleister habe ich zu den besten Zeiten vielleicht einen Auftritt von einer Band gesehen, weil ich ansonsten nur im Container war.

Wir haben ein paar Schlagwörter und würden dich bitten, zu sagen, was dir spontan dazu einfällt.

Ernährung

Enno: Gewinnt immer mehr an Bedeutung und halte ich für extrem wichtig. Den Ursprung der Ernährung und zu verstehen, dass man etwas dafür tun muss. Beim Wacken Music Camp mussten die Kids in der Küche mithelfen, um zu sehen wie ein Broccoli aussieht oder eine Kartoffel, wenn sie keine Pommes ist. Das Essen anzufassen und davor eine Art Respekt zu entwickeln, durch Kochen. Dass gegenüber der Aussage „Der Scheiß schmeckt mir nicht.“ jemand steht, der kocht oder vielleicht sogar ein Tier, das sterben musste. Diese Erfahrung halte ich für wichtig. Und außerdem heißt es ja: „Nur in einem gesunden Körper lebt ein gesunder Geist.“

Auch für Bands auf Tour ist eine gesunde Ernährung wichtig. Ich selber bin Ausdauersportler. Daher ist sie für mich auch wichtig.

Mein Sohn möchte sich zurzeit gerade sehr vegetarisch ernähren, deswegen kaufen wir ganz wenig Fleisch. Kaufe ich Soja- oder Ei-Produkte, dann lese ich, dass für diese Produkte auch Tiere und der Regenwald sterben müssen, weil das alles ja auch irgendwo angebaut und transportiert wird. Vielleicht ist es dann doch besser das Rind vom Bauern um die Ecke holen? Das löst in mir einen Konflikt aus, den ich für mich selber gar nicht beantworten kann. Ich kann nur versuchen mein Bestes zu geben. Ob das richtig oder falsch ist, weiß ich nicht. Das System ist so komplex, dass man das als Konsument gar nicht nachvollziehen kann.

Wacken

Enno: Ein Kaff in Steinburg

Alter

Enno: Das ist ein ungeliebtes Thema. Manche Sachen werden mit dem Alter mit Sicherheit leichter. Man wird hoffentlich auch ein bisschen gelassener. Aber der Alterungsprozess des Körpers ist ein totales Arschloch.

Finanzen

Enno: Wenn man Finanzaufsicht für andere macht, ist es wichtig, gut strukturiert zu sein. Es ist Definitionssache, wie wichtig einem das ist. Für mich persönlich ist es nicht so wichtig. Ich würde gerne gut klarkommen, aber nicht um jeden Preis. Zeit für Kinder und Sport ist mir wichtiger als der nächste große Scheck.

Umweltschutz

Enno: Total wichtig. Die Frage ist nur: wie. Ich glaube, dass da viele gerne etwas machen würden, dass es aber eine sehr große Verunsicherung darüber gibt, was der richtige Weg ist. Es gibt da eine sehr starke Auseinandersetzung von Interessen. Ich persönlich glaube zum Beispiel, dass ein Elektroauto nicht sonderlich viel umweltfreundlicher ist, wenn man sich den Herstellungsprozess des Akkus mal anguckt und unter welchen Bedingungen irgendwelche seltenen Erden abgebaut werden. Das E-Auto dann als die zukunftsträchtige Mobilität zu betrachten, halte ich für verkehrt.

Ich weiß es aber auch nicht. Vielleicht ist das auch nur ein Übergangsprozess zur absolut umweltverträglichen Version. Ich selber fahre ein sehr altes Auto. Der verbraucht zwar relativ viel, aber ich glaube, dass der in seiner Gesamt-CO2-Emission wesentlich besser dasteht als ein neues Auto, das nach 140.000 Kilometern den Geist aufgibt oder gar ein Elektroauto. Es ist ja nicht nur damit getan, da Sonnenenergie reinzutanken, sondern es muss ja auch irgendwie alles hergestellt und wieder entsorgt werden. Ich glaube nicht, dass diese Kette umweltverträglicher ist. Früher hat man Sachen gebaut, die sehr lange gehalten haben. Und ich glaube, dass in der Gesamtbetrachtung des CO2-Stempels diese Dinge nachhaltiger waren, als ein schnelles Konsumgut.

Wenn also jeder bei sich anfängt und mit absoluter Klarheit wüsste, was er beitragen kann, wäre vieles einfacher.

Gemeinschaft / Zusammenhalt

Enno: Wichtig, aber auch nicht um jeden Preis.

Familie

Enno: Das wichtigste – ohne Kompromisse.

Vielen Dank, Enno, für das tolle Interview       

Den zweiten Teil des Interviews posten wir erst nach Buchveröffentlichung.

Hier aber noch zwei YouTube-Videos zum Wacken Music Camp 2019:

YouTube-Video zum Abschlusskonzert 2019: Defenestration – Find Me

 

Lydia Dr. Polwin-Plass

Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de