Interview mit Dr. Lina Katib Mitinitiatorin des World Metal Congress
InterviewsNews 10. Oktober 2022 Lydia Dr. Polwin-Plass
Dr. Lina Katib ist Mitinitiatorin des World Metal Congress. Sie hat uns im Interview für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ über die internationale Community erzählt und mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen hat.
Hallo Lina wir veröffentlichen ein Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene. Könntest du dich bitte vorstellen und uns ein wenig über dein Engagement für die Metalszene des Nahen Ostens und deine Projekte, wie dem World Metal Congress erzählen?
Lina: Gerne, ich wurde in Beirut geboren und bin Britin libanesischer Herkunft. Als ich im Libanon gelebt habe, war ich wie viele andere dort, Metalhead. Direkt nach dem Bürgerkrieg haben im Libanon Leute wie ich jede Menge Metalbands gegründet. Das war eine sehr urwüchsige Szene, da der Krieg gerade zu Ende war, das Land kaum Ressourcen hatte und auch der Kontakt zur Außenwelt größtenteils fehlte. Aber wir haben versucht uns irgendwie auszudrücken und etwas zu tun. Viele der Metalbands wurden in den frühen Neunzigern gegründet. Ich war Teil dieser Szene und hatte meine eigene Sendung im öffentlich-rechtlichen libanesischen Radiosender. Der Sender hieß Radio Libanon und meine Show war die einzige Metalsendung im öffentlich-rechtlichen Radio. Bis dahin gab es nur Metalshows auf Piratensendern. Es gab viele Sender ohne Lizenz, die Metal spielten.
Später bin ich nach England gezogen und hab angefangen mich sehr für die libanesische Metal Szene und überhaupt für die Szene im Nahen Osten einzusetzen. Bands in Ägypten und dem Libanon. Und auch heute versuche ich noch Bands aus diesen Regionen zu unterstützen. In England lebe ich jetzt schon über 20 Jahre.
Teilweise weiß die Musikindustrie gar nicht, dass es eigentlich sehr viel talentierte Bands in dieser Region gibt. Manche wissen nicht einmal, dass es überhaupt eine Szene gibt. Vor allem an den Orten, wo Konflikte herrschen, wie in Syrien. So haben wir entschieden den World Metal Congress ins Leben zu rufen. Das war im Jahr 2019. Dafür haben wir eine große Menge an Metalbands aus verschiedensten Ländern eingeladen.
Die Headliner waren „Wormrot“ aus Singapur. Die zweiten Headliner waren „Zombies Ate My Girlfriend“ aus Südmerika, die 2016 den Wacken Metal Battle gewonnen hatten. Wir hatten aber auch Bands aus England. Das war ein sehr internationales Line-up. Wir hatten Livemusik und eine Konferenz mit Diskussionen zu wichtigen Themen. Auch die Sprecher kamen aus der ganzen Welt. Aus Lateinamerika, Asien, Amerika, dem mittleren Osten und Europa – alle Kontinente waren vertreten. Durch das Netzwerken kamen viele wichtige Themen ans Tageslicht. Neben der Konferenz hatten wir die Shows, Videopräsentationen, die 80 Bands aus 80 verschiedenen Ländern präsentierten und Filmvorstellungen, wie die Dokumentation über die syrische Metalszene („Syrian Metal is War“) und einen Film über die Szene in Lateinamerika. Zudem gaben wir dem Publikum die Möglichkeit mit den Filmemachern zu sprechen. Wir stellten die Botschaften der Bands vor und spielten ihre Musik. Die Idee dahinter war, zu zeigen, dass Metal eine globale Sache ist. Und so wurden die Bands sowohl den Fans als auch der Musikindustrie vorgestellt.
Die Ticketpreise waren sehr niedrig, damit auch wirklich jeder die Chance hatte, teilzunehmen. Und von jeder Band durfte eine Person gratis teilnehmen. Wir wollten keine weitere „High Level“ Musikkonferenz schaffen, die teuer, exklusiv und nicht für alle zugänglich ist.
Wir wollten damit auch zeigen, dass die Metalszene sehr hilfsbereit und sozial ist. Wir diskutierten unter anderem über Themen wie das Image des Metal außerhalb der Szene, wie schwer es für Musiker aus Entwicklungsländern ist Fuß zu fassen – alleine schon Visa oder Tickets für die Flüge zu Gigs oder Festivals zu bekommen.
Ich empfinde meine Arbeit für den Metal als ständige Evolution – immer inspiriert von den Erfolgen und den Reaktionen entspannter Menschen.
„Zombies Ate My Girlfriend“ waren ja die Gewinner des Metal Battle und so wurden sie vom Wacken Team unterstützt, damit sie am World Metal Congress teilnehmen konnten. Ich hoffe hier natürlich noch auf weitere Kooperationen. Da der Kongress ja global ist, und jedes Mal woanders stattfindet, hoffen wir, dass wir vielleicht den nächsten in Hamburg machen können. Wegen der Pandemie machen wir seit letztem Jahr eine Webcast Serie als Bestandteil des World Metal Congress. Hier sprechen wir mit Musikern und der Musikindustrie über essenzielle Themen, die bestimmte Länder betreffen und Themen wie „Metal gegen Extremismus“, „Metal vs. Covid“, „Metal vs. Kirche“, etc.
Kürzlich hatten wir eine Episode mit Gojira, die sich ja sehr für die Umwelt einsetzen und die Aufmerksamkeit auf den Klimawandel lenken wollen.
Davor hatten wir eine Folge, in der sich alles um Gesundheit drehte. In dieser Folge haben wir Jesse Leach, den Sänger von Killswitch Engage eingebunden und einen Psychologen und Experten für geistige Gesundheit. Damit wollten wir auch zeigen, dass sich die Metalszene sehr für solche Themen interessiert. Uns geht es also nicht nur um die Musik und darum eine schöne Zeit zu haben, sondern wir wollen etwas bewegen und uns mit gesellschaftlichen Themen und Problemen befassen.
Wer kam eigentlich ursprünglich auf die Idee diesen Kongress zu gründen und wer organisierte das erstmals?
Lina: Der Gründer und ursprüngliche Organisator des World Metal Kongresses ist Alexander Milas. Er war ursprünglich der Herausgeber des Metal Hammer Magazins in England. Als er Herausgeber des Metal Hammer war, startete er eine Aktion, die nannte sich Golden Gods Award, bei dem jährlich Metal Künstler nominiert und prämiert werden. Und diese Aktion war auch bereits für die internationale Szene gedacht. Preise gingen an Musiker aus Nepal, aus Indien, Afghanistan und anderen Ländern. Er hatte also bereits die Vision.
Ich habe ihn dann in London kennengelernt, da haben wir uns erstmals darüber unterhalten, dass diese globale Szene unterstützt werden muss. Und Alex kannte dann noch zwei weitere Leute, die ähnlich dachten wie wir. Auf der einen Seite der Promoter Josh Retallick, der von Berufs wegen internationale Bands nach England bringt. Und auf der anderen Seite der Universitätsprofessor Dr. Niall Scott. Niall meinte, dass es unter den Akademikern sehr viele Metalheads gäbe.
Ihr seht, wir vier kommen alle aus verschiedenen Ecken und Berufen und haben einen sehr unterschiedlichen Background. Und wir vier bilden das Stammteam, das den World Metal Kongress organisiert.
Wie macht ihr das finanziell?
Lina: So war die Idee geboren, und wir fanden sie gut. Der nächste Schritt war Sponsoren zu organisieren. Wir benötigten Geld, um die Vortragenden einfliegen zu lassen, um Rechnungen zu bezahlen und gute Redner zu engagieren. Durch Josh haben wir dann einen Sponsor gefunden. Und zwar eine Bierfirma und auch Wacken hat uns, durch die Verbindung mit „Zombies Ate My Girlfriend“, ebenfalls ein wenig unterstützt, indem sie die Flüge der Band aus Südafrika bezahlten. Außerdem haben wir auch noch den Arts Council als Partner gewonnen, eine öffentliche Einrichtung in UK, die Künstler fördert. Die initiieren auch Events. Wir hätten nicht gedacht, dass sie auch etwas unterstützen, das mit Metal zu tun hat. Aber wir hatten ja nichts zu verlieren und versuchten es einfach. Und siehe da, wir bekamen die Unterstützung. Man kann sogar sagen, der Großteil der Finanzen für den World Metal Kongress kommt vom Arts Council.
Ein bisschen kam natürlich auch über den Ticketverkauf herein, aber da die Tickets ja so günstig waren, war das nicht viel.
Aber letztlich konnten wir die Veranstaltung ohne Verlust durchführen. Wir hatten all das Geld, das wir brauchten, um eine erfolgreiche Veranstaltung zu organisieren.
Wie viele Teilnehmer hattet ihr?
Lina: Das waren ungefähr 700.
Mit welchen Problemen werden die Metalheads im mittleren Osten konfrontiert? Und vor allem wie geht es Frauen in der Szene?
Lina: Man kann diesbezüglich den mittleren Osten, beziehungsweise die Länder des mittleren Ostens nicht verallgemeinern. Die Situation ist in jedem Land anders. Manche Orte sind offener als andere. Und in einigen Regionen ist es auch besser geworden in den letzten Jahren.
Aber ganz allgemein gibt es in der Region eigentlich fast überall Zensur. Metalheads haben sehr oft das Problem, dass sie als Satanisten oder als gesellschaftsgefährdend angesehen werden. Das war im gesamten mittleren Osten ein großes Problem.
Dennoch gibt es Orte, wo das viel besser geworden ist. Dubai zum Beispiel, zeigt sich in den letzten Jahren als sehr weltoffen. Die Region ist viel entspannter geworden. In Dubai treten sogar internationale Metalbands auf. Dubai hat sogar eine eigene Metal Szene.
Der Libanon ist um Vieles offener als andere Orte im mittleren Osten. Und doch gibt es immer wieder Probleme mit Zensur.
Zum Beispiel hat eine bekannte libanesische Band einen Song von einem bekannten Popsänger gecovert. Dieser Popstar hat damit gedroht, die Band zu verklagen, weil er der Meinung war, dass eine Metalband unwürdig sei, seinen Song zu covern. Er meinte: Metal sei ein sehr böses Genre und wie sie es wagen konnten seinen Song so zu verunstalten.
Es fehlt also der Öffentlichkeit ganz allgemein an Verständnis für diese Musikrichtung und an Wertschätzung. Aber prinzipiell ist Metal im Libanon erlaubt und auch Metal Konzerte nicht verboten.
In Ägypten ist es ungefähr dasselbe. Es gibt immer wieder und unvorhersehbar Probleme mit Zensur. Es gibt sogar eine bekannte Metalband aus Ägypten, die heißt Crescent.Die haben 2015 das lokale den Wacken Metal Battle Finale für den Mittleren Osten gewonnen und sind mittlerweile bei Listenable Records, einem bekannten französischen Label, unter Vertrag.
Saudi Arabien war eigentlich die am wenigsten tolerante Gesellschaft. Metal konnte nur im Untergrund und illegal existieren. Keine Konzerte, nichts – Metal war in der Öffentlichkeit nicht möglich.
Auch Saudi-Arabien ist jetzt viel offener geworden. Heute können Metal Musiker öffentlich auftreten. Deshalb sage ich, es kommt auf den Ort an und Länder verändern sich auch ständig. Das Image, dass der mittlere Osten total gruselig ist, stimmt nicht mehr ganz, denn auch die konservativsten Orte öffnen sich mehr und mehr.
In Kriegsgebieten wie Syrien formieren sich sogar ziemlich viele neue Bands. Dafür sind von den älteren Bands sehr viele von der Bildfläche verschwunden. Entweder weil sie das Land verlassen haben, oder aus anderen Gründen. Denn während des Krieges war es für Metalbands und andere Künstler sehr schwer aufzutreten.
Im Film „Syrian Metal is war“ kann man sehr deutlich sehen, wie Metal Bands auch in den größten Krisenzeiten versucht haben, zu performen. Trotz Bombardierungen und Krieg. Auf die Gefahr hin, dass die Regierung Polizei oder Militär geschickt hat, um diese Performances zu beenden. Natürlich gab es da kein großes Publikum, aber immerhin haben die Künstler immer wieder versucht Konzerte zu geben. Das ist der wahre Geist des Metal, auch während der härtesten Zeiten – Metalheads und Metal Musiker lassen sich niemals unterkriegen.
Im gesamten mittleren Osten wird Musik eigentlich von der Regierung nicht unterstützt. D.h., es fehlt meist schon an der Infrastruktur. Darüber hinaus sind die meisten dieser Länder auch arm und es gibt keine Unterstützung für Equipment, Studios, etc.
Durch die neuen Technologien ist es natürlich heute leichter geworden, auch von zu Hause aus gute Aufnahmen zu machen. Aber natürlich haben die Musiker nicht die gleichen Zugänge wie europäische Musiker.
Ich fand es sehr problematisch, wenn Leute versucht haben die Gender-Karte zu ziehen, um Aufmerksamkeit zu erregen. So auf die Art: wir sind Frauen, wir werden so unterdrückt, etc. Aber die Probleme, mit denen Metal Band zu kämpfen haben, haben Frauen und Männer gleichermaßen. Also sowohl Männer als auch Frauen haben es schwer, aber sowohl Männer als auch Frauen schaffen es immer wieder zu Bekanntheit in der Öffentlichkeit. Und vor allem gelten ja Frauen in der Metal Szene prinzipiell als gleichberechtigt. Also innerhalb der Metal Szene im mittleren Osten werden Frauen nicht unterdrückt. Und ich hab‘ schon viel gesehen und lange im Libanon gelebt.
In Saudi-Arabien durften Frauen bis vor kurzem nicht mal Autofahren. Diese Form der Unterdrückung hat aber alle Frauen betroffen und nichts mit der Metal Szene zu tun. Aber hier ändert sich gerade viel und es ist schon einiges besser geworden. Aber im Metal sind Frauen gleichberechtigt.
Wie war das eigentlich mit deiner Radiosendung? Hattest du da Probleme Metal zu präsentieren und zu spielen?
Lina: Als ich im Radiosender mit meiner Show begonnen hatte, war Metal offiziell aus den öffentlichen Radiostationen verbannt. Offiziell wurde Metal weder im Fernsehen noch im Radio je thematisiert, geschweige denn gespielt, da die Regierung meinte, dass Metal schädlich für die Gesellschaft wäre. Auch Schallplatten bekam man nur am Schwarzmarkt. Und der Radiosender, für den ich arbeitete, war ein öffentlicher Sender und der vom Ministerium für Information in Beirut betrieben wurde. Und doch hatte ich eine Metalshow (lacht). Der Grund, warum ich damit durchkam, war, dass die Regierung Metal zwar verboten hatte, aber nicht wusste wie Metal eigentlich klingt. D.h. es war ihr gar nicht klar, dass ich hier die ganze Zeit eine Metalshow hatte und den verbotenen Metal spielte (lacht). Ich bekam bis zum Ende der Show nie Probleme, weil die das nie gemerkt haben.
Zu deinem Beruf gehört ja auch Politik. Siehst du eine Verbindung zwischen Metal und Politik?
Lina: Ja, eigentlich schon. Als wir den World Metal Congress in London organisiert hatten, arbeitete ich für ein Institut für politische Analysen. Nachdem wir den Film „Syrian Metal is war“ performed hatten, hatten wir eine Diskussion dazu. Und die Themen, die wir behandelten, betrafen die ganze Welt. Vor allem haben wir darüber gesprochen, wie sich Krieg auf die Kultur auswirkt und wie Musik verschiedene Gruppen der Gesellschaft vereinen kann.
Kultur ist eine sehr wichtige politische Komponente. Kultur und dazu gehört auch Metal ist absolut systemrelevant und ein wichtiger Teil der politischen Debatten. Kultur ist friedensstiftend und völkerverbindend.
Und auf der anderen Seite sind sehr viele Bands auch politisch engagiert, nicht nur im mittleren Osten. Im Metal wird Politik sehr oft thematisiert und kommentiert. D.h. die Musiker engagieren sich unmittelbar politisch.
„Zombies Ate My Girlfriend“ machten zum Beispiel mal ein Video, das wie eine Nachrichtensendung aufgezogen war. Der Song kommentierte internationale politische Ereignisse. Das Video stellt sich klar gegen Rechtspopulismus und Trumpismus.
Municipal Waste, eine amerikanische Band, hat sich auch ganz klar in der Öffentlichkeit gegen Trump gerichtet und sogar T-Shirts zu diesem Thema herausgegeben. Auf dem Rücken des T-Shirts haben sie sich ganz klar gegen den Mauerbau, den Trump geplant hatte, positioniert. Da stand irgendetwas wie „die einzigen Mauern die wir wollen, sind die „Walls of Death“. Natürlich gibt es immer noch Bands die nur über Trinken und Party machen singen, aber sehr viele haben auch gesellschaftskritische Texte.
Demonic Resurrection, eine indische Band, zum Beispiel, hat ein ganzes Album, das sich nur mit religiösen Themen befasst. Denn sie halten Religion in Indien für ein großes Problem. Man kann sagen weltweit befassen sich Metal Bands auch mit politischen und religiösen Themen.
Haben Metalheads im mittleren Osten mehr Probleme mit religiösem Fanatismus oder mit politischer Unterdrückung?
Lina: Schwer zu sagen, aber eigentlich mit beidem. Religiöse Fanatiker, die Metal hassen, gibt es leider auf der ganzen Welt. Nicht nur im mittleren Osten oder in Indien. Auch im Westen gibt es Probleme mit religiösen Fanatikern. Mit politischen Problemen sind Metalheads im Westen wahrscheinlich weniger konfrontiert, aber mit religiösem Fanatismus sehr wohl. Man sieht ja auch was in Polen mit dem Leadsänger von Behemoth abgeht, weil er sich sehr klar gegen die Kirche stellt. Der wird dauernd verhaftet und hat ständig Probleme. Im mittleren Osten betrifft das eigentlich alle alternativen Musikrichtungen. Die Probleme tauchen meistens mit der jeweiligen Regierung auf und gehen mit ihr auch wieder. Die Regierungen lösen diese moralische Panik aus, um von ihrer eigenen Inkompetenz und Korruption abzulenken. So werden oft Künstler zu Feindbildern gemacht.
Könntest du dir vorstellen, dass Metal politischer wird durch Trumpismus, die Pandemie, etc.?
Lina: Ich denke, Metal wird sich immer in politischen Themen engagieren. Trump mag zwar weg sein, aber die Themen, die er repräsentiert hat, sind leider geblieben. Leider haben wir hier auch ein negatives Beispiel mit dem Iced Earth Sänger. Es ist schön zu sehen, wie Angehörige der Metalszene das, was er getan hat, verurteilen. Er repräsentiert – Gott sei Dank – nicht die Mehrheit in der Metalszene, sondern eine kleine Minderheit. Auch der Rechtsruck ist leider ziemlich aktuell und immer wieder gerne in Songtexten thematisiert. Viele Bands engagieren sich gegen Rechts, besprechen Rassenthemen, und setzen sich für Frauenrechte ein, etc.
In der Musikszene ganz allgemein, und da gehört Metal natürlich auch dazu, ist Sexismus ein großes Thema. Im Moment gibt es diesbezüglich eine große Diskussion wegen Marilyn Manson. Und einige Veröffentlichungen werden in der Gesellschaft stark diskutiert. Und Sexismus ist ein absolut politisches Thema. Und dieses Thema wird uns auch noch einige Zeit erhalten bleiben.
Ein weiteres Thema, das sowohl im Metal als auch politisch sehr aktuell ist, ist die Klimakrise. Und auch das ist ein absolut politisches Thema.
Wahnsinnig überraschend ist, dass aktuell ein Metal Album in den US Charts den ersten Platz belegt. Gojira haben mit ihrem Album Umweltthemen angesprochen, um etwas zu verändern. Auch das Thema Umwelt wird uns im Metal noch länger erhalten bleiben.
Hast du das Gefühl, dass die Texte ganz allgemein engagierter und bedeutungsvoller werden?
Lina: Ja, genau das denke ich auch. Ich glaube, dass auch die Pandemie sehr viel dazu beigetragen hat, dass sich Bands noch mehr mit wichtigen Themen auseinandersetzen. Die Texte werden immer reflektierter und auch engagierter. Das Bewusstsein für Sexismus, Umwelt, Rechtsruck und andere wichtige Themen ist ganz allgemein gewachsen. Auch Ungerechtigkeiten werden immer deutlicher sichtbar. Metal ist eine lebende Materie, die beeinflusst wird vom Kontext, in dem er sich bewegt. Wenn Themen ganz allgemein stärker in die Aufmerksamkeit der Menschen rücken, dann passiert das natürlich auch in der Metal Szene. Die Szene ist ja eng mit der Gesamtgesellschaft verbunden und keine in sich abgeschlossene Welt. Metal ist eine Schlüsselkomponente der Gesellschaft. Ich denke also, dass die Lyrics tatsächlich immer engagierter werden.
Meinst du, dass Metalheads prinzipiell sozial engagierter sind als andere Menschen?
Lina: Ich glaube ja. Ich glaube, dass in der Metal Szene sehr viele engagierte Menschen sind, die tatsächlich etwas in der Welt verändern wollen. Wir sehen das ja auch an Wacken, und wie sehr die vom W:O:A initiierten Aktionen von den Metalheads unterstützt werden. Natürlich sind nicht alle Metalheads so, aber eine signifikante Anzahl. Natürlich gibt es auch in der Metal Szene schlechte Menschen. Metalhead zu sein, bedeutet ja nicht, dass man ein guter Mensch sein muss. Aber ein Großteil der Metalheads ist sozial engagiert und versucht tatsächlich, etwas in der Welt zu bewegen und dabei zusammenzuarbeiten.
Durch die Pandemie fand Kommunikation ja hauptsächlich online statt, und ich konnte beobachten, dass Menschen in anderen Ländern genauso denken, wie hier. Es haben sich tolle globale Kooperationen gebildet. Auch das wird einen sehr guten Einfluss auf soziales Engagement weltweit haben. Euer Buch ist ja das beste Beispiel dafür.
Könnte die Gesellschaft von uns Metalheads etwas lernen?
Lina: Auf jeden Fall! Vor allem Stärke und Widerstandskraft. Die Szene würde Aufgeben niemals akzeptieren, auch nicht unter den widrigsten Umständen. Metalheads sind teilweise wahre Überlebenskünstler. Sie können mit sehr wenig auskommen und zufrieden sein. Mit den kleinsten Ressourcen können Sie die Dinge bewegen. Das ist eine tolle Eigenschaft und die Gesellschaft kann hier einiges lernen.
Wir haben gelesen, dass du auch beim Wacken Metal Battle involviert warst?
Lina: Ja, zwei Mal war ich in der Jury eingebunden. Einmal in Island und einmal in Schweden. Das war eine ganz großartige Erfahrung. Ich musste jeweils das Finale beurteilen. Und es war toll daran beteiligt zu sein, lokale Talente zu unterstützen.
Kennst du Holger und Thomas persönlich? Und denkst du, dass ihr in naher Zukunft weitere Projekte gemeinsam machen werdet?
Lina: Ich hoffe sehr, dass wir beim nächsten World Metal Congress kooperieren und ihn eventuell in Hamburg abhalten können. Natürlich wissen wir noch nicht, ob die Pandemie das zulässt.
Wie oft warst du selbst denn Wacken?
Lina: Auf dem Festival nur 2015 aber ich war bei den Hamburg Metal Days 2019. Dort habe ich auch das letzte Mal Holger und Thomas gesehen. Letzten Sommer habe ich in Hamburg Tim Hoffmann getroffen und über diese Kooperation gesprochen. Ich versuche das Team zumindest einmal im Jahr zu treffen.
Und planst du in nächster Zeit wieder am W:O:A teilzunehmen?
Lina: Auf jeden Fall, wenn die Pandemie es zulässt. Ich arbeite auch noch an einem zweiten Projekt, in das ich Tomas und Holger auch gerne einbinden möchte. Aber das Projekt befindet sich noch in der Entwicklung.
Wie denkst du über Metal als Lifestyle oder Lebensphilosophie?
Lina: Metal als Lifestyle bedeutet für mich Freude und Genuss. Wenn ich eine Band sehen will, steige ich ins Flugzeug und fliege hin. Metal macht offen für neue Erfahrungen, ist international und macht es möglich Menschen aus aller Welt zu treffen. Und zum Lifestyle gehört, dass man Festivals an verschiedensten Orten besucht und Bands weltweit. Man verbindet sich mit gleichgesinnten Menschen. Und Metal ist von Haus aus sehr kommunikativ – man MÖCHTE andere Menschen aus aller Welt treffen. Das ist eine Art Lebensphilosophie. Dazu gehört auch, dass man sich von den Herausforderungen des Lebens nicht unterkriegen lässt und das Beste aus dem macht, was man hat. Eine Kombination aus Überleben und Genießen.
Stichwortabfrage:
Rituale: Moshpits sind das erste Bild, das mir in den Kopf kommt.
Ernährung: Bier, auch wenn ich es selber nicht trinke, bekommt man ja manchmal an vorderster Front bei Festivals oder Konzerten mal eine Bierdusche ab (lacht).
Nachhaltigkeit: Das Erste was mir dazu einfällt ist, dass Festivals heute über die Umwelt nachdenken. Ich finde es sehr schön, dass Festivals heute darüber diskutieren, wie sie am besten nachhaltig und umweltfreundlich werden. Welche recycelbaren Materialien man verwendet, welche Nahrungsmittelmarken man anbietet etc. Zurzeit gibt es eine Kampagne, die Musiker dazu auffordert, keine Plastikverpackung für ihre CDs zu verwenden. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit wächst im Moment.
Werte: Wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Sexismus, soziale Gerechtigkeit, Politik, etc.
Ethik: Da fällt mir eine Unterhaltung ein, die wir auf dem World Metal Congress hatten. Da ging es um die Plattenindustrie und wie mit Metal Musikern aus bestimmten Ländern umgegangen wird. Ich glaube, in der Musikindustrie gibt es noch große Probleme mit fairer Bezahlung der Künstler, etc. Online Plattformen verdienen sehr viel Geld mit der Musik der Musiker aber die Musiker selbst bekommen viel zu wenig. Auch die Erwartung, dass Bands überall kostenlos spielen sollten, ist ein Problem. Hier liegt einiges im Argen, da muss noch so manches verbessert werden.
Wacken: Der Holy Ground! (lacht) Ich werde nie Wacken 2015 vergessen, als es so schlammig war, dass viele Leute ihre Stiefel im 40 cm tiefen Schlamm verloren haben. Und doch fahren die Meisten immer wieder hin. Das sagt doch einiges über die Metalheads aus.
Schwarz: Meine Lieblingsfarbe
Toleranz: Das ist auch eine tolle Eigenschaft, die in der Metal Szene gerade ziemlich wächst. Toleranz für Menschen aus anderen Kulturen, Toleranz für Menschen mit Behinderungen, Toleranz für andere Meinungen. Ich denke die Metal Szene erkennt immer mehr die Wichtigkeit von Toleranz.
Meinst du, dass das Wacken Open Air eine Art Vorbildfunktion in Sachen Toleranz hat?
Ja, absolut. Alleine wie viele Nationalitäten dort friedlich zusammenleben. Und auch der Wacken Metal Battle zeigt, wie global diese Musikrichtung und Szene ist. Immerhin ist Wacken die größte Metal Veranstaltung und der Metal Battle der größte Metal Wettbewerb der Welt. Also eine internationale Sache, die auch eine internationale Plattform für Fans und Musiker der ganzen Welt bietet.
Alter: Hat im Metal keine Bedeutung. Man sieht Kinder und alte Leute gemeinsam feiern und es funktioniert. Man sieht auch an den Metalmusikern, wie die Musik jung hält. Ich denke da immer an Toni Iommi, einen meiner Lieblingsmusiker.
Finanzen: Der heilige Gral. Das, wovon die Mehrheit nie genug hat. Durch die Pandemie kämpfen ja überhaupt jetzt einige ums finanzielle Überleben. Musiker und andere Künstler, selbst wenn sie große Stars sind, kämpfen zum Teil jetzt. Und Fans müssen oft lange sparen, um sich Festivals leisten zu können. Mit Metal kann man auch nur in den seltensten Fällen reich werden
Umweltschutz: Der erste Gedanke, der mir in den Kopf kommt, ist GOJIRA. Die haben wirklich so viel gemacht, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Und es ist auch toll, dass ihre Botschaft langsam ankommt. Aber natürlich wurde dieses Bewusstsein nicht erst durch GOJIRA in die Köpfe der Metalheads gepflanzt. Schon in den achtziger Jahren haben Metalbands Songtexte über die Abholzung im Amazonas gemacht und über Naturvölker und andere Themen. Doch jetzt werden die Themen mehr und mehr auch gehört.
Gemeinschaft und Zusammenhalt: Das ist großartig: die Metal Szene hat immer wieder bewiesen, wie Gemeinschaft und Zusammenhalt funktionieren und dass Solidarität grenzüberschreitend herrscht. Und das ist sehr inspirierend.
Soziale Verantwortung: Wird immer wichtiger in der Gesellschaft und in der Metalszene vor allem. Langsam versteht man, dass man nicht nur für sich selbst verantwortlich ist, sondern auch für seine Umgebung, Gemeinschaft und die Gesellschaft.
Ein tolles Beispiel ist auch, wie das Festival in Wacken mit dem Dorf umgeht. Das Festival hält das Dorf am Leben. Auch andere Festivals können noch einiges von Wacken lernen.
Familie: Die Metal Community sieht sich selbst als große Familie und das ist großartig. Und wo immer ich hingehe, ich kann überall Metalheads, also Familienmitglieder treffen. Man ist also niemals alleine.
Interview: Michael Gläser und Lydia Polwin-Plass
„WACKEN – das perfekte Paralleluniversum: Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann„, unser Buch über die Liebenswürdigkeit der Metalheads und den sozialen Aspekt der Metalszene, könnt ihr überall im Buchhandel oder signiert über info@metalogy.de bestellen.
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Lydia Dr. Polwin-Plass
Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de