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Interview mit den Gründerinnen der FullAccess Event Services Christina Riedler und Martina Gollner Interview mit den Gründerinnen der FullAccess Event Services Christina Riedler und Martina Gollner
Im Interview für unser Buch "Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann" haben wir mit den Gründerinnen der FullAccess... Interview mit den Gründerinnen der FullAccess Event Services Christina Riedler und Martina Gollner

Im Interview für unser Buch „Wacken – Das perfekte Paralleluniversum. Was die Gesellschaft von Metalheads lernen kann“ haben wir mit den Gründerinnen der FullAccess Event Services, Christina Riedler und Martina Gollner gesprochen. Unter anderem haben wir im Gespräch erfahren, dass es bezüglich Inklusion noch viel zu tun gibt, auch auf Festivals und Konzerten.

Hallo Christina und Martina, würdet ihr euch für die Leser bitte vorstellen?

Christina Riedler: Ich bin Online Community Managerin bei der Tageszeitung Standard in Österreich und Doktorandin am Institut für Theater,- Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Ich schreibe gerade an meiner Doktorarbeit über die Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auf Live Musik Events, am Beispiel des Wacken Open Air und Rock in Rio.

Martina Gollner: Ich bin Sozialarbeiterin bei einem Verein der Menschen mit Sehbehinderungen und Blindheit unterstützt. Ich selbst bin hochgradig sehbehindert und bin die Projektpartnerin bei Christinas Dissertation, aber wir haben auch gemeinsam eine Firma gegründet.

Christina: das war im Mai 2016, als wir die erste Accessibility Consulting Agentur, die FullAccess Event Services OG gegründet haben. Unser Ziel ist es, Veranstaltungen aus dem Freizeitbereich, Konzerte, Kongresse, Festivals, etc. dabei zu unterstützen, Menschen mit Behinderung aufzufangen und die Veranstaltung für Menschen mit Behinderung so gut wie möglich zu adaptieren, zugänglich zu machen und alles Nötige zur Verfügung zu stellen, damit diese Menschen ein angenehmes Live Event erleben können. Die Firma haben wir relativ spontan gegründet und ohne lange Vorplanung.

Die Unternehmensgründung basiert aber auf einer ganz konkreten persönlichen Vorgeschichte. Wir sind immer schon gerne gemeinsam auf Konzerte gegangen, wobei ich als Martinas Begleitperson hingegangen bin. Und wir haben, vor allem in Österreich, keine so guten Erfahrungen gemacht.

2014 waren wir dann auf einem Festival in Großbritannien. Das war das Sonisphere Festival in Knebworth. Auf dieser Veranstaltung gab es zwei große Plattformen für Menschen mit Behinderung. Das war schon einmal der erste Unterschied, denn in Österreich gab es immer nur eine Rollstuhlplattform. Zu den Menschen mit Bewhinderung zählten nicht nur Rollstuhlfahrer – auch Menschen mit ganz anderen Behinderungen als Gehbehinderungen durften auf diese Plattformen. Sogar Besucher mit temporären Behinderungen, wie einem Gipsbein. Eigentlich sah man dort die gesamte Bandbreite an sichtbaren Behinderungen. Ein riesen Unterschied zu Österreich.

Auch wir durften hinauf.

Auf einer dieser Plattformen war ein junger Mann, der tatsächlich auf eine Krankenliege gebettet war. Er hatte zwei Betreuungspersonen und war völlig bewegungsunfähig – bis auf den Kopf, den er noch ein wenig bewegen konnte. Der junge Mann war aber von Kopf bis Fuß in Fanmontur und man hat gemerkt wie viel ihm dieses Erlebnis bedeutete. Wir fanden es sehr beeindruckend, dass er trotz seiner Behinderung an der Veranstaltung teilnehmen konnte. Das wäre bei uns in Österreich undenkbar gewesen. Denn sogar wir beide hatten immer wieder Probleme bei Veranstaltungen. Aber in England dürfte das eine Selbstverständlichkeit gewesen sein, dass auch Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen an Veranstaltungen teilnehmen können.

Kultur ist ja eigentlich ein Menschenrecht – wie wichtig muss wohl für diesen jungen Mann dieser Tag gewesen ist. So wie für uns alle eben. Für ihn wahrscheinlich noch viel mehr, da er sicher in irgendwelchen Behinderteneinrichtungen leben muss. Und doch konnte er im Rahmen seiner Möglichkeiten an einem derartig tollen Event teilnehmen. Und das war für mich der Auslöser dafür, etwas verändern zu wollen. Denn es kann ja nicht sein, dass ein derartig reiches und privilegiertes Land wie Österreich, für Menschen mit Behinderung so wenig tut.

So war 2014 für uns ein Kick-off.

Martina: 1015 ging es dann weiter mit der Projekteinreichung. Eine Gründung aus einem universitären Kontext heraus. Christina hat das ganze promotet, sogar auf einer großen Einkaufsstraße in Wien in einem Glascontainer..

Christina: Das Lustige war, dass wir eigentlich über Gründung gar nichts wussten. Wir hatten ja keine Ahnung wie man einen Business Plan einreicht, eigentlich wussten wir damals nicht mal was das ist und mussten erst googeln, um herauszufinden was zu tun ist. Und bei einem Informationstag an der Universität Wien kamen wir dann an ein Gründerzentrum, denen unsere Idee gefiel. So sind wir dann irgendwie hinein gerutscht in ein Programm, bei dem wir das einzige weibliche Team waren und eines von zwei, das sich mit Menschen mit Behinderung befasste.

Die meisten Teams waren nur auf einen Exit aus. D.h. sie machen einige Monate ihr Ding und hoffen auf einen Investor, der Ihnen ihre Idee abkauft, sie reich macht, damit sie sich nicht  weiter mit ihrer Sache beschäftigen müssen. Also eigentlich relativ unberührt von der emotionalen Seite. Und wir waren natürlich ganz anders und mit einer ganz anderen Intention dort. Für uns war das eine Herzenssache. Wir haben gleich gemerkt, dass es nicht leicht werden würde für uns. Dennoch wollten wir eine Sensibilisierung im Veranstaltungsbereich für Menschen mit Behinderung schaffen.

Wenn man mit Veranstaltern gesprochen hat, und das ist teilweise immer noch so, gehen die meistens von männlichen Rollstuhlfahrern aus. Einige sagen dann, dass sie ihre Stammgäste haben, um diese sich kümmern, aber das war’s dann.

Martina: So auf die Art: „wir kennen den einen Blinden ja eh schon, der immer kommt“ (lacht). Das ist größtenteils immer noch so.

Christina: Und dann haben wir eine Förderung bekommen von der Wirtschaftsagentur Wien, das war Ende 2015 und dafür war die Bedingung, dass wir wirklich gründen. Bis dahin waren wir uns eigentlich noch nicht wirklich sicher, ob wir das wirklich durchziehen. Aber das war dann natürlich der Ansporn die Idee umzusetzen.

Mit welchem Festivalbetreibern habt ihr eigentlich schon gesprochen?

Christina: „Das bekannteste Festival aus dem deutschsprachigen Raum, mit dem wir schon am längsten und intensivsten zusammenarbeiten, ist das Wiener Donauinselfest. Das ist immerhin das größte Festival in Europa bei freiem Eintritt. Ungefähr 1,8 Millionen Besucher täglich. Die Veranstalter waren von Anfang an total offen und ließen uns auch viel ausprobieren.

Martina: 2016 haben wir eine Erhebung gemacht, was überhaupt gebraucht wird was sich Besucher mit Behinderungen überhaupt wünschen. Und 2017 haben wir mit dem DIF bereits durchgestartet. Da ja 2020 coronabedingt das Festival nicht so stattfinden konnte, wie sonst, gab es natürlich auch für uns als Dienstleister eine Pause.

Christina: Interessant ist das Ganze noch zusätzlich dadurch, dass ich ja projektbegleitend meine Dissertation schreibe. Auf der einen Seite die Theorie und auf der anderen die Praxis, also Ansätze im realen Leben, die sich auch umsetzen lassen. Als Rahmen der Dissertation haben wir uns auch Best-Practice Beispiele ausgesucht. Und so haben wir dann Kontakt mit den Wacken Veranstaltern aufgenommen und konnten uns in den Jahren 2015 und 2016 im Zuge einer Feldforschung vor Ort alles ansehen, Interviews führen, etc. Das Ganze hat sich dann 2019 mit dem Rock in Rio Festival fortgesetzt.

Leider bekamen wir von der Uni ziemlich viel Gegenwind. In den technischen Bereichen laufen solche Projekte immer reibungslos, also dachten wir, das müsste auch in den Geisteswissenschaften möglich sein. Aber da hatten wir uns getäuscht. Ein Jahr lang musste ich kämpfen, um das Thema durchzubringen, weil die diese projektbegleitende Thematik nicht verstehen. Man warf uns vor, dass die wissenschaftliche Distanz fehle, kurzum es gab viele Diskussionen.

Martina: Was ihnen auch nicht gefiel, war unsere Entscheidung eine Firma zu gründen. Weil sich die Geisteswissenschaften überhaupt nicht mit Unternehmertum identifizieren. Vielleicht ist es ja auch speziell die Theaterwissenschaft, wo absolute Konsumkritik vorherrscht. Wir haben aber ganz bewusst keinen Verein, sondern ein Unternehmen gegründet. Denn wir wollten keine Spenden sammeln und uns auch nicht einreihen in die Vereinslandschaft. Ich kenne sie ja bestens von innen und konnte genug Eindrücke sammeln. Wir möchten erreichen, dass Veranstalter auch ihre BesucherInnen mit Behinderungen als Kunden sehen. Denn letztlich zählt für den Veranstalter der Ticketverkauf, bzw. Die zahlende Kundschaft.

Christina: Auf der anderen Seite ist es auch im Interesse der Menschen mit Behinderungen, als zahlender Kunde gesehen zu werden. Unsere Erhebungen und die direkte Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen haben das klar gezeigt. Menschen mit Behinderungen möchten keine Bittsteller sein, sie sind auch bereit für das was sie konsumieren, zu bezahlen. Und genauso wie andere Kunden, dürfen Sie sich auch beschweren, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

Und einen dritten Aspekt gibt es auch noch: die UN kritisiert mit ihrem Charity Modell genau diese Vereinslandschaft. Diese ist sehr alt und auch alt eingesessen und daher auch schwer aufzulösen. Im aktuell bestehenden Charity Modell sind Menschen mit Behinderung immer nur Bittsteller. Das ist wahnsinnig überholt und davon wollten wir uns bewusst loslösen. Unser Social Business Ansatz ist etwas revolutionär und im Sinne der Menschen mit Behinderung und gleichermaßen der Veranstalter. Die UN befürwortet dieses Modell in ihrem Paper.

Martina: Weg von der Fürsorge und der Wohlfahrt hin zu einem selbstbestimmten Leben. Wo man mit finanziellen Möglichkeiten ganz normal, unter Anführungszeichen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann.

Vereine finanzieren sich ja auch anders. Über Fördermittel, Spenden oder Mitgliedsbeiträge, und so bieten Sie ihre Dienstleistungen meist kostenlos an.

Wir als Firma bieten dem Veranstalter unsere Leistung, Beratung, Unterstützung vor Ort, wenn dies gewünscht ist, aber wir als Dienstleister müssen dafür auch bezahlt werden. Wir sind zuversichtlich, dass es dafür irgendwann ein selbstverständliches Budget geben wird. Vielleicht werden dafür ja auch Bundesländer-Fördertöpfe geschaffen. Natürlich ist das eine zusätzliche Ausgabe für den Veranstalter, aber auf der anderen Seite gewinnt er damit ja auch eine Kundengruppe. Mit den Social Development Goals (SDGs) werden  sich in den nächsten fünf Jahren alle Veranstalter befassen müssen. Man sieht ja jetzt schon, dass die grüne Seite der Veranstaltungen immer wichtiger wird. Vom Stromverbrauch, über die Müllentsorgung bis hin zum Catering inklusive Mehrwegbechersysteme. Es gibt schon ganz andere Ansätze im Bereich Nachhaltigkeit als vor einigen Jahren. Und es ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend auch weiter fortsetzt.

Das Wacken Open Air hat ja in dieser Hinsicht seit einigen Jahren sehr viel getan. Habt ihr den Eindruck, dass ihr da auch noch einwirken könntet?

Das letzte Gespräch mit einem Mitarbeiter von ICS hatten wir im Jahr 2017. Seither haben wir nicht mehr nachverfolgt wie sich die Sache weiterentwickelt hat. Der damalige Deal war: dass wir kommen können und danach einen Bericht schreiben über alles was uns aufgefallen ist und was verbesserungswürdig ist. Wir haben auch Verbesserungsvorschläge gemacht. Danach gab es bisher kein weiteres Gespräch mehr.

Was konkret habt ihr denn vorgeschlagen?

Martina: In beiden Jahren, als wir in Wacken waren, war das Wetter sehr schlecht und der Wunsch nach gut begehbaren, sicheren oder mit Rollstuhl befahrbaren Wegen auf dem Gelände sehr groß. Auch bezüglich Toilettensituation für Besucher mit Behinderungen hatten wir Verbesserungsvorschläge. In 2016 musste man sich, zur Benutzung einer Behinderten Toilette am Campground, einen Schlüssel an einer bestimmten Stelle abholen, weil es auf dem ganzen Festival nur zwei Schlüssel gab. Die Toiletten wurden versperrt, damit sie nicht von den anderen Besucherinnen als zusätzliche Klos frequentiert würden. Wir haben vorgeschlagen auf ein Euro Key System umzustellen, damit man die Schlüsselkarten, die man für die öffentlichen Behindertenklos, wie z.B. auf Autobahnen benutzt, auch für diese Toiletten einsetzen kann. Jeder, der Anspruch hat, kann einen solchen Eurokey beziehen. D.h. behinderte Menschen sind normalerweise im Besitz eines solchen Schlüssels Ob und wie die Sache gelöst wurde, wissen wir leider nicht.

2019 gab es erstmals eine Gebärdensprachendolmetscherin. Wie denkt ihr darüber?

Martina: Wir denken, dass das durchaus Sinn macht für die Ansprachen und Reden, die gehalten werden. Aber um die Songtexte zu übersetzen, ist dies nicht nötig und wahrscheinlich auch für viele Gehörlose trotzdem schwer zu lesen. Außerdem kann man sich die Texte, wenn man sich dafür interessiert, auch vorher durchlesen. Solche Maßnahmen sollten immer von behinderten Menschen selbst geplant und umgesetzt werden. Denn in diesem Fall waren es, soviel ich weiß, hörende Frauen, die sich darum gekümmert haben. Denn um wirklich zu wissen, was Menschen mit Behinderung brauchen, muss man mit Menschen mit Behinderungen reden und planen. Wir wissen aus der Community der Gehörlosen, dass, so wie die Sache umgesetzt wurde, es für Gehörlose sehr schwer zu verstehen war. Gut gemeint, aber noch ausbaufähig. Um das wirklich sinnvoll handzuhaben, braucht man wirklich ExpertInnen. Vor allem bei Musik, denn dafür sind die Texte viel zu komplex.

Prinzipiell hat Gebärdensprache eine große Breitenwirkung und beeindruckt jeden Besucher. Man sieht sofort, dass Festivals, die Sie einsetzen was tun für Menschen mit Behinderungen. Das war in Wacken bestimmt nicht die Intention, aber bei anderen Veranstaltungen durchaus.

Christina: Ich selbst habe einen Gebärdensprachen-Kurs begonnen. Man muss auch die Community selbst etwas verstehen, denn sie ist ein in sich geschlossenes System, Die Menschen legen auch sehr viel Wert auf ihre Muttersprache. Deshalb raten wir eher davon ab, Gebärdensprachedolmetscher für das Übersetzen von Lyrics einzusetzen. Für das gesprochene Wort hingegen, macht es absolut Sinn. In unserem Maßnahmen-Katalog steht diese Maßnahme aber eher weiter hinten, auch wenn die Medienresonanz dadurch ziemlich beträchtlich ist.

Jetzt bezogen auf das Donauinselfest, wie viele Menschen von den unterschiedlichen Behinderungsgruppen nehmen denn teil? Wie ist das denn gestaffelt?

Martina: Es sind ungefähr 20 % der Besucher und Besucherinnen, die eine Behinderung haben. Die meisten davon haben aber Behinderungen, die man gar nicht von außen sehen kann. Denn auch chronische oder psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel MS, Parkinson, etc. zählen zu Behinderungen. Genau diese“ unsichtbaren Behinderungen werden auch nicht wahrgenommen und serviciert. Innerhalb der verschiedenen Behinderungsformen befinden sich die wenigsten Menschen im äußersten Extrem. D.h. der kleinste Teil der Menschen mit Sehbehinderungen ist vollblind. Der kleinste Teil der Menschen mit Gehbehinderung sitzt dauerhaft im Rollstuhl. Und nur wenige Menschen mit Gehör-Beeinträchtigungen sind gehörlos. Die Bandbreite an Behinderungen, von leichten bis schweren Einschränkungen, ist sehr groß.

Es gibt aber eine beträchtliche Gruppe von Menschen, die sich mit dem Begriff Behinderung nicht identifizieren wollen. Vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Wir als Firma wollen alle Arten von Behinderungen ansprechen und den größten gemeinsamen Nenner finden, damit sich die Veranstalter nicht an unterschiedlichste Vereine wenden müssen, um dort zu erfragen was Menschen mit bestimmten Behinderungen dann zu brauchen. Wir möchten Angebote schaffen, die sich an alle richten.

Christina: Es gibt eine große Schnittmenge und die ist die Basis für unsere Arbeit. Denn der Veranstalter hat keine Lust sich mit sämtlichen Behinderungsformen einzeln zu befassen. Das wäre zu unübersichtlich und zu kleinteilig.

Macht es einen Unterschied, ob Veranstaltungen kostenlos oder kostenpflichtig sind?

Christina: nein, eher nicht, es macht eher einen Unterschied, welchen Background der Veranstalter hat und welche persönlichen Gründe ihn dazu zu bewegen, etwas umzusetzen.

Martina: Ich habe das Gefühl, dass gerade auf kostenlosen Veranstaltungen mehr Senioren sind. Auf der einen Seite, weil die Veranstaltung kostenlos ist, auf der anderen Seite, weil sie da einfach mal problemlos und ungezwungen vorbeischauen können. Viele können sich ja den Eintritt für Veranstaltungen gar nicht leisten, Stichwort Altersarmut.

Christina: in Rio gab es sogar schon beim Ticketing Möglichkeiten für Menschen, die finanziell schlechter gestellt sind.

Gibt es außer dem Donauinselfest auch noch andere Festivals, die sich im Bereich Inklusion vorbildlich verhalten?

Ja, das Sonisphere Festival England und natürlich haben wir auch Wacken ganz bewusst gewählt. Da das Wacken Open Air schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt ausführliche Informationen für Menschen mit Behinderungen auf seiner Website hatte, durch die sich Betroffene positiv angesprochen fühlten, war das Festival auch für unsere Forschung sehr interessant. Wir hatten uns auch gleich gefragt, warum ein Metal Festival sich hier so Mühe gibt, während irgendwelche Pop Konzerte meist gar nichts bieten.

Auch die Erfahrungen direkt auf dem Festival waren total anders als auf Popkonzerten. In Wacken hatten wir uns wirklich sehr sicher gefühlt. Auf Pop und Softrock Konzerten mussten wir ganz andere Erfahrungen machen.

Martina, wie hast du denn als Frau mit Sehbehinderung diesen Unterschied im Umgang mit behinderten Menschen, in der Metalszene im Vergleich mit anderen Szenen oder Veranstaltungen erlebt.

Martina: Ich hatte die Vorstellung, dass es auf den Konzerten sehr rau zugeht und hatte deshalb immer Bedenken hinzugehen. Ich dachte Metal Konzerte wären ein einziger großer gewalttätiger und aggressiver Moshpit. Die Erfahrungen waren letztlich ganz andere. Als ich mal bei einem Soft Rock Konzert war, ich glaube es war Bon Jovi, hatte ich Karten für die Wavebreakerzone. Das hat mir letztlich gar nicht gefallen, denn dort standen nur Fanclub Mitglieder und Leute, die sich eben diese Karten leisten konnten, und sich untereinander kennen und sowas wie eine unangenehme Elite bildeten. Man fühlte sich dort überhaupt nicht willkommen.

Wenn man das erste Mal auf dem Wacken Open Air ist, ist das ganz anders. Fremde Leute bieten dir ihre Hand an, um dich durch die Wasserlöcher und den Matsch zu führen. Nach dem Schema, wenn wir eine Menschenkette bilden, fallen wir alle nicht so leicht um. Und genau das hatte ich erlebt. Ich fand das wirklich rührend. So viel Herzlichkeit und Gemeinschaftsgefühl habe ich vorher noch nirgends erlebt.

Wenn ich zum Beispiel mein Monocular auspacke, merken die umstehenden Menschen sehr schnell, dass ich sehbehindert bin. Auf Metalkonzerten dauert es meist nicht lange, bis mir jemand seinen Platz mit besserer Sicht anbietet. Dort beharren die Leute nicht auf ihren eroberten Standplätzen, es bildet sich eine homogene Masse, die ständig in Bewegung bleibt. Das ist auf Rock- und Popkonzerten oft ganz anders. Da bleiben Menschen häufig stur auf ihren Plätzen stehen. Austausch und Rücksichtnahme sind da ganz anders. Man verbringt auf Metalkonzerten einfach eine wahnsinnig nette Zeit mit allen umstehenden Personen. Mit einem sehr familiären Gefühl.

Christina: Ich möchte noch einen anderen Aspekt ansprechen: und zwar das Thema Frauen. In der Metal Szene ist der Frauenanteil im Vergleich zum Männeranteil immer noch sehr gering. Normalerweise fühlt man sich als Frau unter so vielen Männern etwas komisch.

Dazu eine kleine Anekdote: zugetragen hat es sich in Luxemburg. Wir hatten ein Konzert besucht auf einem Festival Ground, der sehr abgelegen und nur durch ein Waldstück erreichbar war. Am Nachmittag hat man sich dabei noch nicht viel gedacht, aber am Rückweg, als es stockdunkel und Nacht war, müsste man normalerweise als Frau in Panik verfallen. Wir waren nur von Männern umgeben. Dennoch hatten wir nicht die geringste Angst, denn obwohl die Männer alle schwarz angezogen und teilweise riesengroß waren,  fühlten wir uns komplett sicher. Wenn wir das aber anderen Menschen erzählen, dann fragen Sie, ob wir wahnsinnig sind, mitten in der Nacht als Frauen alleine unter so vielen fremden Männern durch den Wald zu gehen. Wir sagen dann: „in der normalen Gesellschaft würden wir sowas auch niemals tun, und uns auch niemals in so eine Situation bringen, aber wir waren ja unter Metalheads.“

Verrückt ist, dass in letzter Zeit Festivals eigene Frauenbereiche errichtet haben, mit Frauen Camping und Notfall-Zelten, etc. damit sich Frauen sicher fühlen können. Das ist eine unfassbar traurige Entwicklung und es kann nicht sein, dass man Frauen isolieren muss, um sie zu schützen. Diese Entwicklung geht komplett in die falsche Richtung. Erstens festigt es den Opfer Status, zweitens wird so vom Veranstalter aus kommuniziert, dass die weiblichen Besucherinnen auf der Veranstaltung in Gefahr sind und beschützt werden müssen. Und leider gibt es auch sehr viele Veranstaltungen auf denen man sich als Frau sehr objektisiert fühlt. Das ist in der Metal Szene und auf Metal Veranstaltungen ganz anders und war aus unserer Erfahrung her noch nie Thema.

Martina: Und sollte sich tatsächlich mal ein Betrunkener danebenbenehmen, dann kann man sich darauf verlassen, dass andere einen beschützen und denjenigen zurechtweisen. Sogar von der Bühne aus, wird aufgepasst. Auch die Musiker betonen immer wieder, dass die Metalheads gut aufeinander achtgeben sollen. Und wenn sie von der Bühne aus sehen, dass irgendwo etwas nicht in Ordnung ist, schicken Sie auch sofort Security, Rettung oder was auch immer benötigt wird, dorthin. Das ist wirklich sehr schön und sehr positiv.

Christina: In den bereits existierenden Büchern über die Metal Szene, wird teilweise ein sehr sehr eindimensionales Bild gezeichnet: männlich, niedriges Bildungsniveau, weiß und mit Alkoholproblemen. Metal und die Metaller haben also keinen so guten Ruf. Wenn ich zum Beispiel Kollegen bei der Zeitung erzähle, dass ich mich in der Metal Szene bewege, dann muss ich mir manchmal anhören, dass man mich gar nicht als so proletenhaft eingeschätzt hätte. Und dieses verzerrte Bild empfinde ich als sehr traurig.

Martina: Was der Gesellschaft auch ziemlich fehlt, ist dass man sich einfach so ungehemmt ausleben kann. Dass man sich ausdrücken kann, seine kathartischen Momente haben kann, etc. Und die aufgestauten Energien und Aggressionen entladen sich dann oft bei der Kirmes, beim Fußball oder bei Krampus Umzügen. Wo dann teilweise richtig schlimme Dinge passieren. Den Menschen fehlt oft der Raum, Ihre Aggressionen und aufgestauten Gefühle kontrolliert auszuleben und punktuell zu entladen.

Wo kann man denn normalerweise Stunden lang laut herumschreien, wie auf einem Metal Konzert, ohne dass einem dabei die Optik verrutscht. Einfach uncapriziös, ungeschönt und authentisch. Nach dem Motto der Urschrei Therapie (lacht). Überall sonst wäre es mit einer Form von Ästhetizismus verbunden. Man müsste weiterhin auf sein Äußeres achten. Auf einem Metal Konzert kannst du rumbrüllen, wenn dir danach ist, und musst dabei auch nicht schön aussehen.

Wie war Rock in Rio im Vergleich zu Wacken? 

Martina: Rock in Rio hat nur mehr einen Metal Tag. Bei manchen Leuten dort hat man das Gefühl, dass sie nicht wissen, warum sie an diesem Tag auf das Festival kommen. Es sind wahnsinnig viele nicht Metalheads dabei, die einfach nur kommen, weil sie eine Karte haben. Und das spürt man an der Stimmung auch manchmal.

Christina: Dazu eine lustige Anekdote: wir wollten unbedingt Sepultura sehen. Dazu muss man vorausschicken, Südamerika ist sehr katholisch. Neben mir stand eine Frau mit einem überdimensionalen Kreuz mit Jesus auf ihrem Ring. Und ihr Mann hatte ein riesiges Kreuz um den Hals, ebenfalls mit Jesus drauf.  Das Kreuz war mindestens 15 cm groß. Auch die Tattoos zeigten nur religiöse Motive, vor allem Jesus. Mit den beiden kamen wir ins Gespräch. Sie kamen aus der Umgebung um Rio herum.

Und dann kamen Sepultura auf die Bühne, die ja DIE brasilianische Metalband schlechthin sind. Nach dem zweiten oder dritten Song stupst mich die Frau an und fragt mich, ob wir die Band kennen. Wir haben natürlich erstaunt geantwortet: natürlich das sind Sepultura, die berühmteste brasilianische Metalband überhaupt. Nach einer Weile hat sie dann gefragt:“ sind die Satanisten?“ Ich war total perplex und hab‘ gefragt wie sie das denn denke? Und dann hat die Frau geantwortet: naja auf der Videowall zeigen die immer wieder den Teufel in Form eines Ziegenbocks. Ich habe dann zu ihr gesagt, dass Sepultura keine Satanisten sind. Aber vom Artwork her, hat sie angenommen, dass sie Satanisten wären (Lacht)

Martina: Witzig ist, egal welche Musik du BrasilianerInnen vorspielst, sie werden immer dazu singen. Sofort nach dem ersten Ton wird lauthals mitgesungen. Egal ob sie die Musik kennen oder nicht.

Christina: Und teilweise laufen die Mädels halb nackt herum und keiner wundert sich. Die Leute waren eher nicht sehr kommunikativ, ganz anders als Süd Europäer zum Beispiel. Die Leute brauchen sehr lange bis sie auftauen. Da war ein massiver Unterschied zu den europäischen Veranstaltungen und Festivals. Auf keinen Fall so angenehm wie Wacken oder auch nur Rock Festivals in Europa. Eigentlich fühlt es sich eher wie ein riesiges Marketing Event an. Die Musik scheint dort sehr nebensächlich zu sein.

Martina: Da war ein riesiger Rummelplatz, ein riesiger Spielplatz und sehr viel kostenloses Merchandising von verschiedenen Firmen.

Christina: Als Marketing Veranstaltung ist es sehr gut aufgezogen. Aber der Fokus liegt halt auf ganz was Anderem als auf der Musik.

Habt ihr in nächster Zeit irgendwelche Kooperationen mit ICS geplant?

Christina Die warten noch auf die fertige Doktorarbeit (lacht). Die soll bis Ende des Jahres fertig werden und dann melden wir uns dort wieder.

Ihr haltet ja ab und zu Keynotes zum Thema BesucherInnen mit Behinderungen. Wie sind denn eure Erfahrungen damit? Und wie ist das Feedback?

Christina: Das Tolle an unserem Vortrag auf dem BrandEx in Dortmund war, das es die erste Veranstaltung war, auf der wir gesprochen haben, die nicht aus dem Kontext Behinderungen kam. Sondern es handelte sich um eine allgemeine Marketing Konferenz. Und das ist eben das, was uns ja auch so wichtig ist: dass wir von der anderen Seite kommen und ein Mainstreaming daraus machen. Wenn man auf so einem Markenkongress spricht, der eigentlich überhaupt keinen Fokus auf Menschen mit Behinderung hat, dann können wir mit diesem Thema wirklich Wellen schlagen. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn die Leute eigentlich auf das Thema noch gar nicht so ein gestimmt sind. Da kann man das Thema ganz anders behandeln als innerhalb der Community, innerhalb derer das Thema ja schon lange bekannt ist und auch behandelt wird. Aber vom Mainstream aus betrachtet, ist der Ansatz noch mal ein ganz anderer. Deshalb hat uns diese Keynote ganz besonders viel bedeutet.

D.h. ihr denkt schon, dass ihr jetzt wirklich etwas bewirken könnt und auf dem richtigen Weg seid?

Martina: Natürlich muss immer noch ziemlich viel Basisarbeit gemacht werden, und irgendwie muss man immer noch mit jedem Veranstalter sämtliche Themen von der Basis an durchgehen, damit er merkt, dass es mit Kleinigkeiten noch nicht getan ist. Das mag vielleicht etwas mühsam sein, hinterlässt aber meistens viel Eindruck.

Wenn ich denen dann auch noch sage, dass ich selbst eine Behinderung habe, dann sind sie zuerst meistens ziemlich perplex. Und dann noch dazu eine Frau mit Behinderung. Und das wird von uns immer mitkommuniziert, auf jedem Panel, vor jedem Veranstalter, Bei jeder Kundin, bei jeder Keynote, überall. Manchmal nimmt es den Leuten auch so ein bisschen die Barrieren und Ängste in den Köpfen der Menschen. Nach den Gesprächen können Sie sich meistens sogar vorstellen Menschen mit Behinderungen in Ihrem Unternehmen einzustellen. Wenn sie gesehen haben, dass Menschen mit Behinderung auch ganz normal ihre Arbeit nachgehen und tolle Dinge bewegen können.

Wo gibt es denn noch die größten Defizite eurer Meinung nach?

Martina: Es kommt immer darauf an, womit sich die Politik gerade vorrangig beschäftigt. Manchmal kommen Themen an die Oberfläche und verschwinden dann auch gleich wieder. Als die Flüchtlingskrise so aktuell war, ist das Thema „Menschen mit Behinderung“ wieder in den Hintergrund gerückt.

Und nach wie vor fehlt es in der Gesellschaft stark an Grundverständnis. Vor allem für weibliche Menschen mit Behinderung. Viele Menschen denken, wenn man mal ein bisschen spendet, hat man genug getan.

Gleichzeitig ist das Thema ja auch nicht gerade angenehm, auch das ist uns bewusst. Es ist nicht schön sich über Behinderungen und alle Ursachen, Begleiterscheinungen und Spätfolgen zu unterhalten. Viele Menschen fühlen sich von dem auch Thema überhaupt nicht betroffen. Man darf aber nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Und dass dieses Thema immer näher rücken kann – für jeden von uns. Und diesen Gedanken schieben Menschen gerne von sich weg.“

Christina: dazu möchte ich gerne ein paar Fakten aus meiner Forschung ergänzen. Das Verständnis für unangenehme Themen ist im Metal bedeutend größer, weil man sich im Metal, auch von den Lyrics her, durchaus mit unangenehmen Themen beschäftigt. Da geht es sehr oft um Krieg, Schmerz, Trauer, Angst, Tod und andere unangenehme Themen. Daher ist der Boden von Haus aus besser aufbereitet. Wenn ich mich bereits damit abgefunden hab, dass menschliches Dasein endlich ist, dann bin ich alleine schon offener für Themen, die in der Gesellschaft oder im Mainstream gerne verdrängt werden.

Man muss jung, schön und gesund sein und diesen Status Quo so lange halten wie möglich. Würdevoll zu altern z.B., fällt in der Gesellschaft vielen sehr schwer.

Man hat einen ganz anderen Zugang zu solchen Themen.

Martina, wenn du uns eventuell noch ein zwei Anekdoten erzählen könntest, über deine Erfahrungen mit der Sehbehinderung innerhalb der Metalszene, dann würden wir uns sehr freuen. 

Martina: Ich denk drüber nach und liefere euch noch ein paar Geschichten.

Christina Ich hätte eine Geschichte: Als wir in München beim Rockavaria waren, wurde im vorderen Bereich extrem viel gepogt. Das war bei Testament, da war der ganze vordere Bereich ein riesiger Moshpit. Und irgendwie rückte die „Schlacht“ immer näher zu uns heran. Uns wurde es dann ein wenig zu viel und wir haben uns immer wieder angesehen, oder die Hände gehoben, um uns zu schützen. Das Nette war aber, dass die Leute aus dem Pit das bemerkten und den ganzen Pit von uns weg verlegten. Das ist ein weiteres Zeichen für die Regeln der Community. Man würde annehmen, dass man einfach genötigt wird, mitzumachen. Aber nein, es wird Rücksicht genommen und der Moshpit für uns sogar fünf bis zehn Meter von uns weg verlegt. Uns hat das sehr beeindruckt: Erstens dass man unsere besorgten Gesichter wahrgenommen hat und dass man zweitens auch noch respektiert hat, dass uns das unangenehm war und darauf auch Rücksicht genommen hat.

Und eine zweite Geschichte habe ich auch noch: bei einem Konzert in Barcelona, das indoor stattgefunden hatte, war die Stimmung sehr aufgeheizt. Und die Menge hat gewogt in Wellenbewegungen. Das war schon sehr gruselig. Neben mir stand ein junger Mann, der gemerkt hatte, dass ich etwas beunruhigt war. Er sagte: mach dir keine Sorgen, das ist gleich vorbei und außerdem passe ich auf dich auf. Er hat sich so hingestellt, dass er diese Wellenbewegungen etwas von uns abfangen konnte. Das war wunderbar und ich konnte mich wieder auf das Konzert konzentrieren.

Wie war es denn für euch als ihr das erste Mal in Wacken wart?

Christina: Kulturschock (lacht)

Zunächst war die Größe nicht abzusehen und wir hatten ja auch ziemliches Pech mit dem Wetter. Die Größe des Areals hat uns zunächst etwas überfordert. Und dazu noch der kniehohe Schlamm. Aber es hat nicht lange gedauert, bis wir uns wohlgefühlt haben, weil überall Leute waren, die geholfen hatten und uns Wege gezeigt haben, etc. Wir wussten damals ja auch nicht, dass man wirklich unbedingt Gummistiefel mithaben muss.

Aber da war so viel Hilfsbereitschaft, dass man sich trotzdem wohl gefühlt hat. Auch die Höflichkeit im Umgang miteinander hat uns damals sehr beeindruckt. Ich habe zum Beispiel eine 10 cm große Tätowierung am Unterarm, die wollten immer wieder Leute sehen. Aber die Art, wie ich gefragt wurde, ob ich sie herzeigen würde, war einfach extrem nett und höflich. Ganz allgemein, waren wir am Ende ziemlich begeistert, denn es war noch viel toller als erwartet.

Martina: Der nette Umgangston der Menschen untereinander lässt einen automatisch reinkippen und man möchte auch unbedingt wieder hin. Auch die Internationalität hat uns sehr gefallen.

Mit einem Bild, dass wir auf unserem zweiten Wacken Besuch geschossen haben, haben wir sogar einen Preis bei einem Universitäts-Wettbewerb gewonnen. Ein Rollstuhl, der von mehreren Leuten pferdchengleich durch den Schlamm gezogen wird.

Martina: Ich verbinde Wacken auch mit Schlamm, der nach Kuh riecht (lacht)

Stichwortabfrage

Rituale:

Christina: Metal.

Martina: (Lacht) Der Verein, aus dem ich ausgetreten bin: die katholische Kirche.

Ernährung:

Martina: Früher dachte ich: Notwendiges Übel. Heute koche ich gerne. (lacht)

Christina: Wichtig für Körper und Geist

Wie steht ihr zu Massentierhaltung? 

Martina: Wir essen komplett wenig Fleisch und wenn wir mal Fleisch kaufen, dann darf es auch mehr kosten für bessere Qualität. Dann möchte ich auch wissen, wo das Fleisch herkommt, wie das Tier gehalten wurde, womit es gefüttert wurde, etc. Es sollte auch ein regionales Produkt sein.

Nachhaltigkeit:

Christina: Social Development Goal

Martina: Ins Thema Nachhaltigkeit fällt ja sehr viel hinein. Auf der einen Seite das Thema „Green“, und für uns natürlich auch das Thema soziale Nachhaltigkeit.

Werte:

Christina: Individuell unterschiedlich.

Ethik: 

Christina: Wichtig sich damit zu befassen, aber sehr kontextbezogen. Man muss damit sehr differenziert und mit Fingerspitzengefühl umgehen und beobachten. Die Ethikkommission ist zum Beispiel eine sehr wichtige Institution, braucht aber sehr viel Fingerspitzengefühl. 

Wacken:

Martina: Gerne jederzeit wieder, auch bei Schlamm und bei Schlechtwetter. Und das nächste Mal mit Campingausrüstung (lacht)

Schwarz:

CHRISTINA: Weiß

Toleranz:

Martina: Toleranz ist kein so positiv aufgeladenes Wort, wie man eigentlich glauben würde. Ich hab‘ oft das Gefühl, wer dieses Wort in den Mund nimmt, will sich nur damit schmücken. D.h. noch lange nicht, dass derjenige oder diejenige es tatsächlich lebt. Bezüglich Toleranz zählt bei mir nur, das was man tut, nicht das was man sagt. 

Alter: 

Christina: Demographischer Wandel

Martina: Mit dem Älterwerden habe ich prinzipiell kein Problem, auch die Sozialarbeiterinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind durchaus ältere Menschen. Im Gegenteil: wenn man mit Menschen unterschiedlichen Alters zu tun hat, erfährt man auch viel mehr Perspektiven. Wenn man auf einem anderen Punkt im Leben steht, und verschiedene Lebensrealitäten da sind, ist der Austausch sehr bereichernd.

Finanzen:

Christina: Darüber spricht man in Österreich nicht (lacht)

Umweltschutz: 

Martina: Mülltrennung, Müllvermeidung, etc. Leider ein Thema, das in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen ist, weil andere Themen im Vordergrund standen, aber ein sehr wichtiges Thema. 

Gemeinschaft/Zusammenhalt

Martina: Ich habe das Gefühl, dass das jetzt in der Corona Zeit ein wenig abhandengekommen ist. Gesellschaftlich gesehen haben sich Grüppchen gebildet, die eher gegeneinander agieren als miteinander. Gruppen, die einander die Schuld zuschieben. Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung wäre ein wünschenswerter gesellschaftlicher Zustand.

Gesellschaftliche Verantwortung

Christina: Gesellschaftliche Verantwortung wurde aktuell etwas in den Hintergrund gerückt, Angesichts des individuellen Bedürfnisses, alles möglichst schnell zu bekommen.

Christina: Und alles im großen Kontext zu sehen, dass man nicht nur als Individuum zählt und durch die Welt marschieren sollte, da ins eigene Leben immer andere Menschen mit involviert sind, das sollte wieder ein wenig in den Fokus gerückt werden. 

Martina: Im Corona Kontext kann man ja sehr schön sehen, dass zum Beispiel Masken tragen nicht nur einen selbst schützt, sondern auch andere. Umso verantwortungsloser ist es, andere zu gefährden, in dem man keine Masken trägt. 

Familie: 

Martina: Familie kann viel sein. In meinem Fall zum Beispiel ist meine Familie die Christina und nicht so sehr meine biologische Familie. Familie sind die Menschen, die man sich selbst aussucht.

Abschließend: was kann denn die Gesellschaft von uns Metalheads lernen?

 Martina: Die hohe soziale Kompetenz und die hohe emotionale Intelligenz. Und das Bewusstsein, auch auf seine Mitmenschen zu achten und nicht nur an sich selbst zu denken. Nicht nur daran zu denken, wie man selbst aus Situationen am meisten profitieren kann, sondern auch zu schauen, wie es anderen damit geht. Und es auch zu genießen, wenn man andere unterstützen kann, es als etwas Positives zu empfinden. Es ist ein unheimlich gutes Gefühl mit anderen Menschen in positivem Austausch zu stehen.

 Christina: Ich möchte noch ergänzend hinzufügen, dass unangenehme Themen zum Mensch sein dazu gehören und eine Auseinandersetzung damit durchaus positiv sein kann. Wenn man lebt und vor allem wenn man lange lebt, wird man Dinge mitbekommen, die unangenehm sind oder auch selber Dinge erfahren, die nicht schön sind. Man ist mit Tod und Krankheit konfrontiert, die im Mainstream kaum thematisiert werden. Im Metal findet ein offener Umgang mit unangenehmen Themen statt. Sowas muss zur Sprache kommen und thematisiert werden, denn nur so hat man eine Chance solche Themen zu verarbeiten. Es gibt im Metal einen Umgang damit, ohne dass nur destruktive und depressive Bleichgesichter herumlaufen, die nur darauf warten irgendwann tot umzufallen (lacht). Ganz im Gegenteil, im Metal hat man einen sehr lebensbejahenden Zugang zu unangenehmen Themen, indem man sich damit auseinandersetzt. Jeder Mensch strauchelt mal, wichtig ist nur dass man damit fertig wird. Die Message: es macht nichts hinzufallen, wichtig ist nur, wieder aufzustehen. Da oft die Hilfe andere nötig werden kann, wenn einem selbst die Kraft fehlt, müssen in der Gesellschaft einige Tabus abgebaut werden, um sich einander anzunähern kann. Denn wir alle haben eines gemeinsam: das Menschsein.

Interview: Lydia Polwin-Plass und Michael Gläser

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Lydia Dr. Polwin-Plass

Promovierte Journalistin und Texterin, spezialisiert auf die Themen Kultur, Wirtschaft, Marketing, Vertrieb, Bildung, Karriere, Arbeitsmarkt, Naturheilkunde und Alternativmedizin. Mehr über Dr. Lydia Polwin-Plass auf ihrer Website: http://www.text-und-journalismus.de