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Klinische Studien – Von menschlichen „Versuchskaninchen“, Heilungschancen und lukrativen Nebenjobs Klinische Studien – Von menschlichen „Versuchskaninchen“, Heilungschancen und lukrativen Nebenjobs
Jedes Medikament muss per Gesetz vor der Zulassung für den Markt in klinischen Studien am Menschen auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen getestet werden. In Deutschland... Klinische Studien – Von menschlichen „Versuchskaninchen“, Heilungschancen und lukrativen Nebenjobs

Jedes Medikament muss per Gesetz vor der Zulassung für den Markt in klinischen Studien am Menschen auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen getestet werden. In Deutschland werden derzeit etwa 800 klinische Studien durchgeführt – am zweitmeisten weltweit hinter den USA. Und nirgendwo gibt es mehr Unterschiede in der Wahrnehmung von klinischen Studien als hierzulande. Neben der Angst als Versuchskaninchen missbraucht zu werden, sollen im folgenden Artikel auch die Chancen durch ein neues, innovatives Medikament geheilt zu werden und finanzielle Aspekte an einer klinischen Studie teilzunehmen beleuchtet werden.

Medikamente müssen, bevor sie für die Vermarktung und somit für die Behandlung von Patienten zugelassen werden, am Menschen getestet werden. Dieses geschieht in sogenannten klinischen Studien. Diese sind in Deutschland durch das Arzneimittelgesetz vorgeschrieben und geregelt. In der deutschen Gesellschaft ist der Ruf von klinischen Studien trotz strenger gesetzlicher und behördlicher Auflagen und einem wissenschaftlichen und medizinischen Interesse eher von Skepsis und Misstrauen geprägt. Der Ausdruck „Versuchskaninchen“ ist eine typisch deutsche Kreation. Gleichermaßen ist der Ruf der Pharmaindustrie im Allgemeinen nicht der beste. In den USA hingegen wird dieses positiver gesehen und es stehen die Innovation und die Chance auf Heilung durch ein neues Medikament zu erhalten im Vordergrund.

DIE HISTORIE

Das Misstrauen in der deutschen Gesellschaft lässt sich durchaus durch die deutsche Geschichte und einen Skandal aus dem Jahr 1961 erklären. Die unvorstellbaren und leider wahren Schauergeschichten über Dr. Mengele, der als Lagerarzt von Auschwitz menschenverachtende medizinische Experimente an Häftlingen durchführte, sind sicherlich das dunkelste Kapitel medizinischer Forschung in Deutschland.

Medikamente_ Foto_Lydia Polwin-Plass

Medikamente_ Foto_Lydia Polwin-Plass

1961 erschütterte Deutschland dann der wohl gesellschaftlich prägendste Skandal die medizinische Forschung. Das Beruhigungsmittel Contergan (Wirkstoff: Thalidomid) konnte bei der Einnahme in der frühen Schwangerschaft zu schweren Wachstumsstörungen des ungeborenen Kindes (Fötus), wie Fehlbildungen oder das Fehlen von Gliedmaßen hervorrufen. Immer wieder werden dieser Skandal und der unsägliche Umgang mit den Opfern von den Medien aufgegriffen. Auf das Arzneimittelrecht und den Zulassungsprozess von Medikamenten hatte der Contergan-Skandal weitreichende Folgen.

DIE GESETZE UND REGELN

Bis zum heutigen Tag werden die gesetzlichen Vorgaben für die Zulassung eines Medikaments aufgrund gewonnener Erkenntnisse immer weiter verschärft. Aber wie sehen diese genau aus und welche Risiken, Vorteile oder Rechte und Pflichten haben Teilnehmer von klinischen Studien?

Hier ein paar grundlegende Fakten zu klinischen Studien:

  • Für klinische Studien gibt es drei Phasen:
    • Phase I: Das Prüfpräparat wird an gesunden Probanden (gesunde Menschen, die sich freiwillig dafür melden) auf Verträglichkeit und mögliche Nebenwirkungen getestet.
    • Phase II: Das Prüfpräparat wird an wenigen Patienten (mit der relevanten Erkrankung) getestet, um das Therapiekonzept zu überprüfen und die Wirksamkeit verschiedener Dosen (Dosisfindung) zu testen.
    • Phase III: Große Studie an einer Vielzahl an Patienten zum Nachweis einer signifikanten Wirksamkeit. Die Ergebnisse dieser Studie sind entscheidend für die Marktzulassung durch die Behörden.
  • Die Durchführung klinischer Studien ist gesetzlich vorgeschrieben und wird durch eine unabhängige Ethik-Kommission und die zuständige Bundesoberbehörde geprüft und genehmigt, bevor ein Patient in der Studie behandelt wird. Ethik-Kommissionen bestehen aus erfahrenen Medizinern, Theologen, Juristen und Laien, die unabhängig von der Pharmaindustrie sind. Sie wägen (u.a. gestützt auf die vorangegangenen Untersuchungen) ab, ob und unter welchen Auflagen eine geplante Studie aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht durchgeführt werden kann.
  • Der Patient muss vor seiner Teilnahme an einer klinischen Studie vom Arzt über den Ablauf, den Hintergrund, die Risiken, seine Rechte und Pflichten im Rahmen der Studie informiert werden und schriftlich in seine Teilnahme einwilligen. Diese Einwilligung kann der Patient jederzeit ohne Angabe von Gründen zurücknehmen und somit seine Teilnahme an der Studie beenden, ohne dass ihm für die Behandlung ein Nachteil entsteht. Weiterhin ist der Patient im Rahmen der Studienteilnahme gesondert versichert.
  • Klinische Studien werden nach strengen gesetzlichen Vorgaben durchgeführt, die u.a. im Arzneimittelgesetz oder den Leitlinien der guten Klinischen Praxis vorgeschrieben sind.
  • Jedes Medikament muss zunächst eine vorklinische Entwicklung durchlaufen, bevor es für die Gabe an einen Menschen durch die zuständigen Behörden zugelassen wird.
  • Sinn einer klinischen Studie ist es, die Wirkung, die Nebenwirkungen und die Verarbeitung eines Medikaments im Körper eines Patienten zu untersuchen. Ziel: Eine möglichst positive Wirkung bei wenig bis keinen Nebenwirkungen (Positives Risiko-Nutzen-Profil).

DIE UNTERNEHMERISCHE SICHT

Forschende Arzneimittelunternehmen tragen ein hohes Risiko bei der Entwicklung neuer Medikamente oder Wirkstoffe. Von etwa 10.000 Wirkstoff-Kandidaten kommt nur ein Einziger zur Zulassung. Einige Kandidaten scheitern erst, nachdem bereits Millionen-Summen investiert wurden. Es gilt als Faustregel in der Pharmaindustrie, dass die Entwicklung eines Wirkstoffs etwa 2 Milliarden Euro kostet. Durchschnittlich dauert die Entwicklung eines Medikaments 13 Jahre. Die entstehenden Kosten schlagen sich letztendlich auf den Preis des Medikaments nieder.  So lässt sich erklären, dass neue, innovative, gut wirksame Medikamente ihren Preis haben. Generikahersteller, die Medikamente nicht selber entwickeln, sondern nur kopieren, können deutlich billigere Preise anbieten, da sie die Entwicklungskosten nicht tragen müssen.

Medikamente_Foto_Lydia Polwin-Plass

Medikamente_Foto_Lydia Polwin-Plass

DIE PATIENTENSICHT

Als Triebfeder zur Teilnahme an einer klinischen Studie dienen hauptsächlich zwei Aspekte: Gesundheitliche und Finanzielle.

Der gesundheitliche Aspekt

Der gesundheitliche Aspekt spiegelt sich vor allem darin wider, dass der Patient die Chance hat, ein neues Medikament kostenlos zu erhalten und somit vielleicht eine zusätzliche Hoffnung auf Heilung. Dieses geht mit der Einschätzung möglicher unbekannter Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen einher. Nachweislich lebensrettende Substanzen werden durch die Zulassungsbehörden dabei durch ein beschleunigtes Zulassungsverfahren schneller geprüft und stehen somit schneller allen Patienten und nicht nur den Studienteilnehmern zur Verfügung.

Besonders deutlich wird der Hoffnungsaspekt bei klinischen Studien im Bereich der Krebsforschung. Hier ist die Bereitschaft einer Teilnahme an einer klinischen Studie meist sehr hoch, da sich der Patient bis zuletzt Hoffnung auf Heilung macht.

Ein ganz anderes Risikobewusstsein herrscht dagegen bei klinischen Studien mit Kindern. Die Pharmaindustrie hat die Vorgabe durch die Behörden, neue Medikamente auch für Kinder zu entwickeln und somit an Kindern klinisch zu prüfen. Das ist wichtig, damit Kinder Medikamente in der richtigen Dosierung erhalten können und nicht nur nach der individuellen Einstellung des jeweiligen Arztes behandelt werden. Aber welche Mutter bzw. welcher Vater möchte sein Kind einem Risiko oder möglichen Nebenwirkungen aussetzen, wenn sie/er nicht einen maximalen Nutzen für sein Kind sieht. Hier steckt die Gesellschaft in einer moralischen Zwickmühle. Deshalb ist die Bereitschaft sein Kind an einer klinischen Studie Teilnehmen zu lassen eher gering, solange nicht auch hier der Gedanke der Hoffnung in Form eines letzten Strohhalms mit hineinspielt.

Hervorzuheben ist aber in jedem Fall, dass Patienten, die an klinischen Studien teilnahmen, während ihrer Teilnahme eine deutlich höhere Aufmerksamkeit der Ärzte und des Pflegepersonals genossen und unter Umständen sogar eine bessere Basistherapie (neben dem Studienpräparat) erhielten. Zudem können diese Patienten kostenlos Zusatzuntersuchungen erhalten, die die Krankenkasse standardmäßig nicht übernehmen würde. Hier besteht also ein Vorteil für den Studienpatienten im Vergleich zur Standardbehandlung seiner Erkrankung.

Der finanzielle Aspekt
Neben dem gesundheitlichen gibt es noch einen finanziellen Anreiz, der sich aber an eine andere Zielgruppe wendet. Gesunde Probanden, die in einer Studie der Phase I ein Medikament testen (hier geht es nur um die Erforschung möglicher Nebenwirkungen), erhalten eine angemessene Aufwandsentschädigung. Einige Probanden betreiben Studienteilnahmen sogar als eine Art Nebenjob. Gibt man den Suchbegriff „Versuchskaninchen“ in die Jobsuchmaschine Gigajob.de ein, werden derzeit (Stand: 08.05.2017) 955.658 Stellenangebote inklusive unzähliger klinischen Studien angeboten, was auf einen sehr ausgedehnten Markt hinweist. Patienten mit entsprechender Erkrankung, die an Studien in den Phasen II und III teilnehmen, erhalten aus ethischen Gründen grundsätzlich keine Vergütung. Ihnen werden unter Umständen höchstens entstandene Reisekosten erstattet.

Zwei Skandale der letzten Jahre haben aber gezeigt, dass gerade in der Phase I, in der es das Geld zu verdienen gibt, das höchste Risiko besteht:

  • TeGenero-Skandal:

In einer Phase-I-Studie des Biotech-Unternehmens TeGenero im März 2006 traten schwere Komplikationen auf, durch die alle sechs Probanden nach Verabreichung des Antikörpers TGN1412 fast ums Leben gekommen wären. Damals erkrankten alle sechs gesunden Probanden innerhalb weniger Stunden nach der Gabe von TGN1412 an einem Multiorganversagen. Hiervon erholten sie sich nur langsam und ein Patient verlor dabei einzelne Zehen und Finger. Der Hersteller, die Würzburger Firma TeGenero, ging infolge des Skandals bankrott.

  • Bial / Biotrial-Skandal:

Ein Wirkstoff BIO 10-2474 der portugiesischen Pharmafirma Bial hat die schweren Komplikationen bei sechs Teilnehmern einer Phase I-Studie in Frankreich ausgelöst. Einer der Teilnehmer starb aufgrund der Nebenwirkungen des Wirkstoffs, andere erlitten Hirnschädigungen unterschiedlichen Schweregrades. Dem Auftragsforschungsunternehmen Biotrial, das die Studie in Auftrag von Bial durchführte, wurden dabei schwere Versäumnisse bei der Durchführung der Studie vorgeworfen.

Die erste dieser beiden Studien wurde in England, die zweite in Frankreich durchgeführt. In Deutschland trat ein solcher Vorfall bisher nicht auf. Ebenso wenig in Studien späterer Phasen. Es zeigt sich also, dass gerade in der Phase, in der Probanden Geld mit Ihrer Teilnahme verdienen können (Im Fall von TeGenero 3000 Euro), das Risiko am größten ist. Wobei es natürlich keinen direkten Zusammenhang zwischen Risiko und Vergütung gibt.

SCHLUSSWORT

Bei allen Aspekten, die die Entscheidung zu einer eigenen Teilnahme an einer klinischen Studie beeinflussen, sei abschließend verdeutlicht, dass die Forschung an neuen Medikamenten und Therapien wichtig und unerlässlich ist – egal ob diese von einer Universität oder eine Pharmafirma durchgeführt wird. Sie hilft Krankheiten zu heilen, Leiden zu mindern und kranken Menschen Hoffnung zu geben.

Quellen: www.vfa.de, www.aerztblatt.de

Text: Michael Glaeser

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