UKL-Infektionsmediziner untersuchen den Einfluss der Umweltverschmutzung in Indien auf die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Immer neue, gefährlich resistente Erreger beschäftigen die Infektionsmediziner weltweit. Die wirksamsten Waffen im Kampf gegen die durch solche Erreger ausgelösten Entzündungsprozesse, die Antibiotika, verlieren zunehmend ihre Wirkung. Woher kommen die neuen Supererreger, wie entstehen sie?
In einer Vorgänger-Studie fand der UKL-Infektiologe Privatdozent Dr. Christoph Lübbert bereits 2015 Belege dafür, dass multiresistente Erreger durch Reisende „importiert“ werden. Besonders auffällig waren die hohen Raten einer Besiedlung mit den potenziell gefährlichen Bakterien bei Reisenden, die aus Indien zurückkamen. Dazu Lübbert: „Asien erwies sich insgesamt als der Kontinent mit dem höchsten Risiko eines Kontakts mit multiresistenten Erregern. Mehr als 70 Prozent aller Indienreisenden waren nach der Rückkehr Träger, bei Reisenden aus Südostasien waren es ca. 50 Prozent.“ Die Studie wurde im „International Journal of Medical Microbiology“ publiziert. Für Gesunde ist eine solche Besiedlung zunächst unproblematisch. Gefährlich wird es erst, wenn eine Erkrankung oder ein Kontakt mit kranken, bzw. immungeschwächten Menschen hinzukommt. Beängstigend war der Umstand, dass alle Betroffenen Träger wurden, ohne slebst in einem Krankenhaus gewesen zu sein. „Damit wird deutlich, dass die Erreger in den asiatischen Ländern offenbar direkt in der Umwelt bzw. in der Nahrungskette vorkommen müssen“, so Lübbert.Diesem Verdacht ging er in einer zweiten Studie nach. Diese wurde in der Fachzeitschrift „Infection“ publiziert. Gemeinsam mit Journalisten eines Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung um Christian Baars (NDR) entnahm Lübbert in Indien vorort Umweltproben in der Nähe großer Pharmafabriken, die den Weltmarkt mit den wichtigsten Antibiotika versorgen. „Wir wollten prüfen, ob sich möglicherweise hohe Konzentrationen von Antibiotikarückständen in der Umwelt finden lassen, und ob diese mit dem Auftreten multiresistenter Erreger verbunden sind“, erklärt Lübbert.Dazu Prof. Arne Rodloff, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie am Universitätsklinikum Leipzig. „Je häufiger Bakterien auf Antibiotika treffen, umso eher entwickeln sie Abwehrmechanismen und neue multiresistente Varianten von bekannten Infektionserreger können entstehen.“
Hohe Konzentrationen in der Umwelt
Rodloff untersuchte die Proben, die Lübbert aus Hyderabad mitbrachte, im mikrobiologischen Labor. Analysiert wurde vor allem die Belastung mit Gram-negativen Bakterien. „In mehr als 95 Prozent der Proben von insgesamt 28 Entnahmeorten fanden wir multiresistente Erreger mit wichtigen Resistenzmechanismen wie ESBL- oder Carbapenemase-Bildung“, erklärt Prof. Rodloff. Ein weiteres Labor, das unter Leitung des Pharmakologen Prof. Fritz Sörgel stehende Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg, untersuchte die Proben auf Rückstände von Antibiotika und Antimykotika (Pilzmittel). „Es wurden in fast allen Umweltproben, die an 16 unterschiedlichen Stellen entnommen wurden, relevante Konzentrationen von Antibiotika und Antimykotika gefunden“, so Rodloff. Eine Probe aus einem Abwassergraben mitten im Industriegebiet Patancheru-Bollaram enthielt pro Liter 237 Milligramm des Pilzmedikaments Fluconazol. „Das ist eine Konzentration, die 20-mal höher liegt als der Maximalwert, den schwerkranke Patienten im Blut haben dürfen. Darüber hinaus ist das der höchste Wert, der jemals weltweit bei einem Medikament in der Umwelt gemessen wurde,“ beschreibt Lübbert. Erreger mit komplizierten Resistenzmechanismen wie VIM, KPC, OXA-48, NDM oder IMP-1 sind Namen, die in Europa noch wenig bekannt sind, jedoch sollten sich Ärzte heute schon mit einem möglichen Ende der antibiotischen Ära konfrontieren: „Gegen manche dieser Erreger helfen nur noch ein, maximal zwei bis drei Antibiotika. Entwickeln sich auch dagegen neue Resistenzen, haben wir eigentlich nichts mehr in der Hand,“ warnt Rodloff.
Die Untersuchung der Leipziger belegt, dass eine hohe Belastung der Umwelt in Indien mit antimikrobiellen Wirkstoffen direkte Auswirkungen auf die Entstehung und die Selektion von „Supererregern“ zu haben scheint. „Auch wir Europäer sind verpflichtet, die Situation vor Ort in Hyderabad und anderen Zentren der Medikamentenherstellung in Schwellenländern zu verbessern und so uns alle zu schützen“, so Lübbert abschließend.
Eine Reportage über die Probensammlung und die Ergebnisse der Analyse wurde am 8. Mai in der ARD unter dem Titel „Der unsichtbare Feind“ ausgestrahlt und kann in der Mediathek eingesehen werden.Quelle: UKL-Infektiologen Privatdozent Dr. Christoph Lübbert
Originalpublikation:
Lübbert C et al. „Environmental pollution with antimicrobial agents from bulk drug manufacturing industries in Hyderabad, South India, is associated with dissemination of extended-spectrum beta-lactamase and carbapenemase-producing pathogens“, Infection 2017 Apr 26. doi: 10.1007/s15010-017-1007-2
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